"Ich kann die Tore nur über Radio, Fernsehen oder Internet hören oder sehen. Das ist eine unmittelbare Medienwirkung - Jubeln, Hochspringen, weil Tor. Solche eindeutigen Zusammenhänge sind für die Wirkungsforschung eher die Ausnahme. Die Wirkung von Medien ist in aller Regel recht komplex." Selbst bei einer so starken Identifikation mit Mannschaft und Land wirkten noch eine ganze Reihe sozialer Faktoren, erläutert Harden: "Unter anderem wird das Grundbedürfnis nach Gruppenkohäsion, nach Zugehörigkeit befriedigt. Und sonst gibt es derzeit nicht so viel, worüber sich die Bürger freuen könnten: Wir haben eine verunsicherte politische Führung, eine anhaltende Wirtschaftskrise, eine Währungskrise, eine Finanzierungskrise, in Deutschland eine Bildungskrise." Da stürze sich die Gesellschaft auf etwas, "das große Freude macht, bei dem man abschalten kann von weniger erfreulicheren Themen auf der öffentlichen Agenda".
Diese "öffentliche Agenda" allerdings lasse sich durch eine erfolgreiche WM nicht ausblenden - so ist etwa die Kommunikation des Sparpakets der Bundesregierung aus Hardens Sicht schief gelaufen. Hinzu kommt für den Medienforscher und Unternehmensberater, dass Medien nicht objektiv berichten können. Sie tendieren demnach zum Erzählen von Geschichten. Sie berichten gerne und häufig in "dramatischen Narrationen", Filmdrehbüchern oder Theaterdramen nicht unähnlich.
Idealtypisch zeigt er das gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus Kocks, der ebenfalls am Institut lehrt, in der Lektüre "Vom Heiligen zum Halunken: Klaus Zumwinkel als Objekt der Empörungskommunikation". Wie konnte medial aus einem gefeierten Post-Starmanager ein abgeschriebener Steuersünder werden? "Zumwinkel ist für diese Analyse geradezu ideal, weil alle typischen Elemente eines Dramas hier auftauchen", sagt Harden: Exposition, Steigerung, Peripetie, Retardation, Katastrophe. Einen Einzelfall decke die Fallstudie vom November 2006 bis Mai 2009 nicht auf. "Denken Sie, was mit Margot Keßmann passiert ist, was möglicherweise mit dem einen oder anderen Bundesminister passieren wird." Je wertgeladener ein Thema und prominenter eine beteiligte Person, desto einfacher sei es, sich der traditionellen Erzählmuster zu bedienen - und genau diese würden mit Vorliebe gelesen, sagt Harden:
"Ich glaube, dass diese Erzählmuster in uns etwas bedienen, das zutiefst menschlich ist und wahrscheinlich der Bauweise unseres Gehirns entspricht. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die nachweisen, dass wir unser Leben immer als Erzählung konstruieren." Das müsse gar nichts mit den Fakten zu tun haben, so der Medienforscher: "Aber unser Gedächtnis funktioniert offenbar besser, wenn es sich selbst und anderen Geschichten erzählt."
Medien können ihm zufolge besonders dann Themen setzen, die auch im individuellen Leben der Mediennutzer eine Rolle spielen, "wenn Themen verhandelt werden, mit denen die Mediennutzer selbst relativ wenig Kontakt haben: Beispielsweise die Außenpolitik." Dass die Medien aber entscheidend negativ die Wahrnehmung der Lebenswelt beeinflussen, sei nicht nachgewiesen. So sei der Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellung im Fernsehen und der Ängstlichkeit von "Vielsehern" von George Gerbner in den 70er-Jahren "relativ gut widerlegt", so Harden. "Andere Variablen wie Geschlecht, Alter, Bildung oder das Herkunftsmil ieu haben einen viel größeren Einfluss als das Fernsehen." Mit dem Jubel nach den Müller-Toren verhält es sich aus Hardens Sicht schon deutlich einfacher: "Ganz selten lässt sich Medienwirkung so schlicht erklären."