Thema der Exkursion war die Heimerziehung der 50er und 60er Jahre und welche Lehren man daraus in der Profession Soziale Arbeit ziehen muss. Kinder und Jugendliche wurden zu dieser Zeit von ihren Betreuern sehr häufig misshandelt, missbraucht und ausgebeutet. Einer der Jugendlichen war Wolfgang Rosenkötter, der mit 14 in die diakonische Einrichtung nach Freistatt kam. Mehr als vierzig Jahre lang hatte er seine Erlebnisse verdrängt und verschwiegen. Im Jahr 2015 schließlich war seine Geschichte nach einem Drehbuch von Nicole Armbruster und Marc Brummund im Kino zu sehen. Die heutige Begegnungsstätte Freistatt ist unter der Leitung von Bethel im Norden, ein Unternehmensbereich der Bodelschwingschen Stiftung, eines der wenigen ehemaligen Heime, das besichtigt werden kann. Rüdiger Scholz, Bereichsleiter im Fachzentrum Kinder-, Jugend- u. Familienhilfe, hat den Studierenden ausführlich und offen Auskunft über das in Freistatt begangene Unrecht an den Kindern und Jugendlichen gegeben.
Bevor die Exkusionsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Originaldrehorte mit Rosenkötter und Scholz besichtigten, sahen sie sich gemeinsam mit Rüdiger Scholz den Film an. „Danach herrschte absolute Stille und Betroffenheit – es ist den Kindern und Jugendlichen `im Namen des Herren` so unvorstellbares Leid angetan worden“, berichtete Radewagen. „Je näher wir dann dem ehemaligen Heim und der Filmkulisse kamen, desto stiller wurden wir alle“, so Studentin Sara-Lena Morkötter, „das war so, als würde man aus dem Film gar nicht mehr rauskommen.“
Rosenkötter führte die Studierenden der Hochschule Osnabrück gemeinsam mit Scholz durch seine ehemalige Zwangs-Heimat und beantwortete ihnen ihre Fragen. Nicht nur er hatte dabei mit den Tränen zu kämpfen. Er betonte gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch, dass die schrecklichen Szenen, die sie im Film für wenige Minuten zu sehen bekamen, für ihn jahrelang das reale Leben darstellten.
„Diese Eindrücke werde ich nie wieder vergessen, sie haben sich bei mir in den Kopf gebrannt und werden mich auch in meinem späteren Berufsleben noch begleiten“, erzählte Studentin Anne Middendorf. Die Sensibilisierung für den eigenen Umgang mit Menschen war unter anderem Ziel der Exkursion. „Die eigene Einstellung und das eigene Handeln immer wieder kritisch zu reflektieren, was ist richtig, was ist falsch, das ist etwas, was professionelle Soziale Arbeit ausmacht“, erklärte Radewagen seine Intention.
Alle Studierenden waren sich einig, dass auch heute noch mit erhöhter Aufmerksamkeit darauf geachtet werden müsse, Macht in Helferbeziehungen nicht zu missbrauchen und Machtmissbrauch aktiv entgegen zu treten. „Da ist einfach dieser Widerspruch zwischen Hilfe und Einschränkung, also, wie kann ich einem Menschen helfen, wenn ich ihn gleichzeitig einschränke?“, fasste Studentin Sarah Fuhrmeister die Diskussion zusammen.
Das Fazit der Studierenden fiel trotz allem positiv aus. Auch wenn sie emotional an ihre Grenzen hätten gehen müssen, so sei die Exkursion vor allem zur Veranschaulichung der theoretischen Studieninhalte lohnenswert gewesen.
Den Spielfilm „Freistatt“ zeigt Das Erste am 12. April um 20.15 Uhr. Im Anschluss wird die Dokumentation „Endstation Freistatt. Das Erziehungslager im Moor“ ausgestrahlt.