Vielfalt der Berufe aufzeigen
In Mittelhessen gibt es in allen Ausbildungsberufen mehr Bewerber als Stellen. "Dabei konzentrieren sich die meisten Bewerber auf 20 Modeberufe", bedauerte Horst Hahn. Grund genug, am Aktionstag vor allem auch Unternehmen anzusprechen, die berechtigt sind, in nicht alltäglichen oder neuen Berufen auszubilden. Im Rahmen einer Telefonaktion kontaktierten 50 Berufsberater der Agentur für Arbeit je 20 Unternehmen. Zwölf Außendienstmitarbeiter und die gesamte Geschäftsführung der Agentur für Arbeit besuchten 25 weitere Betriebe. Im Raum Gießen suchten Hans-Joachim Danne, Ausbildungsberater bei der IHK Gießen-Friedberg, Claudia Boleso, Arbeitsvermittlerin beim Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit und Bernd Ochsenhirt, Bereichsleiter bei der Agentur für Arbeit in Gießen, das Gespräch mit heimischen Unternehmern.
Fundiertes Grundlagenwissen erforderlich
Erste Station war das Gesundheitsnetz Gießen (GNG) in der Frankfurter Straße. In dem orthopädischen Facharztzentrum haben sich sieben Orthopäden und ein Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin unter einem Dach zusammen geschlossen, um Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates optimal diagnostisch und therapeutisch zu begleiten. "Wir decken 65 Prozent des Versorgungsbedarfs im Bereich Orthopädie in Gießen ab. Die Anzahl der Patientenkontakte liegt bei 21 000 pro Quartal", hob Marwan Abou-Chaar, Geschäftsführer Verwaltung des Gesundheitsnetz Gießen, hervor. Neu sei die enge Verknüpfung von Praxisgemeinschaft und Verwaltung. "Unsere Organisation ist mit der eines Krankenhauses vergleichbar", machte er deutlich.
Deshalb möchte das GNG erstmals auch zwei Kaufleute im Gesundheitswesen ausbilden. Einer von ihnen soll im Verbund mit der eigenständigen physiotherapeutischen Praxis Serry und Serry ausgebildet werden. Abitur, fundiertes Grundlagenwissen sowie die Fähigkeit und Bereitschaft, Prozessabläufe analytisch zu erfassen sind laut Marwan Abou-Chaar Voraussetzungen, welche die Bewerber mitbringen sollten. "Natürlich sind uns auch Seiteneinsteiger willkommen", antwortete der Geschäftsführer auf Nachfrage von Hans-Joachim Danne. Schwerpunkt der Ausbildung sei die Patientenführung, aber auch Personalwirtschaft, medizinische Dokumentation und Qualitätsmanagement würden vermittelt.
300 Quadratmeter des insgesamt 2 000 Quadratmeter umfassenden Gesundheitszentrums sollen künftig für den verwaltenden Bereich zur Verfügung gestellt werden. "Durch diesen Schritt erhoffen wir uns, eine erhebliche Entlastung der Ärzte und Arzthelferinnen, die somit mehr Zeit für die Patienten haben", akzentuiert Abou-Chaar. Derzeit bildet das GNG vier junge Frauen zur Arzthelferin aus, hinzu kommt eine EQJ-Praktikantin. "Seit Wegfall der Ausbildereignungsprüfung haben Probleme bei der Ausbildung deutlich zugenommen. Bei ihnen haben wir einen Vorzeigebetrieb gefunden", lobte Hans-Joachim Danne. Ein Lob, das Marwan Abou-Chaar gerne zurückgab: "Die Zusammenarbeit mit IHK und Agentur für Arbeit war für mich eine tolle Erfahrung."
"Wir bilden auf alle Fälle aus"
"Das Berufsbild des Personaldienstleistungskaufmanns ist umfassend und erfordert eine hohe soziale Kompetenz" erklärte Hans-Joachim Danne dem Geschäftsführer der FARA GmbH, Stefan Rathenow. Der Gießener Personaldienstleister möchte ab dem 1. August eine Personaldienstleistungskauffrau ausbilden. Voraussetzung: Die Auszubildende muss nicht nach Offenbach in die Berufsschule fahren. "Das kann ich der Auszubildenden nicht zumuten", sagte er. "Ob eine Klasse in Gießen zustanden kommt ist noch fraglich", antwortete Hans-Joachim Danne. "Bisher liegen erst drei Anmeldungen für einen Ausbildungsplatz in diesem Berufsbild vor, 15 müssen es laut Vorgabe des Ministeriums sein." In diesem Zusammenhang wies der Ausbildungsberater darauf hin, dass sich der eingetragene Beruf nach dem ersten Jahr noch einmal ändern lässt, da eine Spezifizierung in der Regel erst im zweiten Teil der Ausbildung erfolge. "Wenn keine Klasse in Gießen zustande kommt, bilden wir eben eine Bürokauffrau aus", erklärte Rathenow. "Uns ist wichtig, dass die Auszubildende ins Team passt und gut mit Menschen umgehen kann", unterstrich der Geschäftsführer. Die betreffende Person sei bereits gefunden worden. Der Personaldienstleister mit Standorten in Gießen, Bad Homburg, Schmalkalden und Nidda hat 19 interne Mitarbeiter und drei Auszubildende. 515 Mitarbeiter stehen derzeit zur Vermittlung bereit. "Im Schnitt werden bis zu 25 Prozent vom Auftraggeber in Festeinstellung übernommen", akzentuiert Susanne Link, die zusammen mit Mario Waitz die Geschäftsstelle in Gießen leitet.
Warten auf bessere (Reise)zeiten
"Reisebüros müssen heutzutage rechnen", begründete Reza Eghbal, Geschäftsführer des Reisecentrums am Rathaus in Linden, seine Entscheidung seit 2004 nicht mehr auszubilden. "Die Margen sind niedriger geworden, viele Kunden buchen über das Internet." Hinzu kämen schlechte Zeugnisse der Bewerber und eine "allgemeine Bocklosigkeit". Dennoch konnten Hans-Joachim Danne und Bernd Ochsenhirt den Geschäftsführer überreden, eventuell im nächsten Jahr auszubilden. "Wir werden im August diesen Jahres innerhalb Lindens umziehen, dadurch erhoffen wir uns einen größeren Kundenzuspruch", unterstrich Eghbal. Bei der Suche nach einem geeigneten Auszubildenden sagten sowohl Hans-Joachim Danne als auch Bernd Ochsenhirt ihre Unterstützung zu. "Die Erreichbarkeit unseres Arbeitgeberservice hat sich erheblich verbessert", hob Letzterer hervor. "Reiseverkehrskaufleute müssen heute nicht nur viele Computerprogramme beherrschen, sondern vor allem über Verkaufstalent verfügen", formulierte der Geschäftsführer die Anforderungen an den künftigen Auszubildenden. Derzeit beschäftigt Eghbal sechs Mitarbeiter in Linden und der Filiale Reiskirchen.
Das persönliche Gespräch ist wichtig
Günther Lohmann, Ausbildungsberater bei der IHK Gießen-Friedberg, und Mandy Schweitzer Arbeitsvermittlerin bei der Agentur für Arbeit in Lauterbach, waren im Kreis Vogelsberg ebenfalls erfolgreich bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. So wird die arte loge Werbeagentur GmbH in Lauterbach eine ehemalige Praktikantin zur Mediengestalterin Digital und Print ausbilden. Günther Lohmann und Mandy Schweitzer beglückwünschten den Geschäftsführer der Agentur zu dieser zukunftsweisenden Entscheidung und versprachen stets mit Rat und Tat weiterzuhelfen. Die arte loge Werbeagentur, die seit über zehn Jahren kleine und mittelständische Kunden in ganz Hessen betreut, hat derzeit keine anderen Auszubildenden. Voraussichtlich im nächsten Jahr will auch die Kraftverkehr Lauterbach GmbH erstmals einen Berufskraftfahrer ausbilden. Das Unternehmen, das hauptsächlich den Linienverkehr abdeckt, wurde 1948 gegründet und hat derzeit 30 Mitarbeiter. Nach eingehender Beratung durch die Agentur für Arbeit und die IHK hat sich Ernst Jürgen Zielke, Inhaber der gleichnamigen Offset-Druckerei in Lauterbach, entschlossen im Verbund mit einer anderen Druckerei ebenfalls auszubilden.
Welch wichtige Rolle eine qualifizierte Ausbildung spielt, ist den meisten Unternehmen bewusst - waren sich alle Beteiligten am Ende des Ausbildungstages einig. Hier gelte es anzusetzen und durch persönliche Unterstützung eventuelle Hemmschwellen, vor allem bei Erstausbildern, abzubauen.