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Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben stieß auf großes Interesse

(lifePR) (Weingarten, )
"Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist inzwischen ein weit verbreitetes Thema, aber leider ein Thema, das in all seinen Facetten noch lange nicht in allen Betrieben angekommen ist", sagte Edith Köchel, Referatsleiterin Frau, Wirtschaft und Technik beim Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg. Sie war zu Gast bei einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), die sich mit der Facette Vereinbarkeit von Pflege und Beruf beschäftigte. Angesichts des neuen Pflegegesetzes, das am 1. Juli in Kraft getreten ist und unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Freistellung für Beschäftigte schaffe, die einen nahen Angehörigen zu Hause pflegen wollen, stelle sich die Frage: Was können Arbeitnehmer tun?, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Helmut Schnell bei der Begrüßung.

Heute gebe es in Baden-Württemberg rund 225.000 pflegebedürftige Menschen, so Edith Kö-chel. 65 Prozent davon werden zu Hause durch Angehörige oder Pflegedienste betreut, 35 Prozent in Heimen. Prognosen zufolge wird es 2030 circa 348.000 Pflegebedürftige geben. Bereits heute sind 25 Prozent der Hauptpflegepersonen gleichzeitig berufstätig, knapp die Hälfte davon in einer Vollzeitbeschäftigung. Dieser Anteil werde in Zukunft durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung der Frauen deutlich steigen.

Das Thema Pflege werde noch immer nicht als Gemeinschaftsaufgabe verstanden, bedauerte die Caritas-Sozialarbeiterin Birgit Linder-Schmid. Dabei sprächen auch die demografischen Zahlen in der Region Bodensee-Oberschwaben dafür, dies zu tun. Im Bodenseekreis gebe es 1900 Pflegegeldempfänger, im Landkreis Ravensburg 2900 und im Kreis Sigmaringen 1400, so Linder-Schmid. Zwei Drittel dieser Menschen würden zu Hause gepflegt. 23 Prozent der Pflegenden seien berufstätig. "Die durchschnittliche Pflegedauer in Familien liegt bei 8.2 Jahren", so die Caritas-Sozialarbeiterin. Durch das neue Pflegezeitgesetz habe ein Arbeitnehmer - unabhängig von der Größe des beschäftigenden Unternehmens - Anspruch auf eine kurzzeitige Arbeitsbefreiung von maximal zehn Arbeitstagen bei einer akut auftretenden Pflegesituation bei nahen Angehörigen. Ein Anspruch auf eine auf sechs Monate begrenzte Pflegezeit ohne Lohnfortzahlung bestehe nur in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten. An Personen, die zu Hause pflegten, seien enorme Anforderungen gestellt, gab Linder-Schmid zu bedenken. Pflege fordere Kraft, Ausdauer und Konfliktfähigkeit, um den Balanceakt zwischen dem Kranken, der eigenen Familie und dem Beruf zu bewältigen. In vielen Fällen sei dies ohne den Verzicht auf Freizeit, Urlaub oder Sozialkontakte nicht zu bewältigen. Darüber hinaus hätten Pflegende nicht selten mit Schuldgefühlen zu kämpfen. "Sie brauchen eine Anlaufstelle und die Möglichkeit sich austauschen zu können", betonte die Sozialarbeiterin und forderte eine Offenheit der Betriebe für das Pflegethema.

Eine familienbewusste Personalpolitik rechne sich wirklich, so die Rechtsanwältin Ricarda Bayer: "Weil sie mehr bringt als sie kostet." Motivation, Zufriedenheit und Effektivität der Mitarbeiter würden steigen, Fehlzeiten würden gesenkt, die Fluktuation verringere sich und die Rückkehrquote erhöhe sich. Nicht zuletzt verbesserten sich dadurch auch Unternehmensimage und Personalmarketing. "Familienbewusste Unternehmenspolitik wird zunehmend zu einem Standortfaktor und sollte Chefsache sein", so die Rechtsanwältin. In 72 Prozent der Fälle werde das Thema von der Unternehmensleitung angestoßen. Passgenaue Lösungen seien wichtig. Die Bandbreite der Möglichkeiten sei groß. Sie reiche von Gleitzeit, Arbeitszeitkonten und Vertrauensarbeitszeit bis hin zu Home Office und Telearbeitsplätzen. Ricarda Bayer empfahl, das Thema in bestehende Schulungen oder Kurse zu integrieren und Unterstützungsangebote für Beschäftigte zu schaffen. "Die Gerechtigkeit zwischen den Generationen im Betrieb muss gewährleistet sein", so die Rechtsanwältin. Gegenseitiger Respekt und Anerkennung seien dabei gefordert.

Bei der Gambro Dialysatoren GmbH in Hechingen existiere schon lange eine familienfreundliche Personalpolitik, berichtete Margot Kaiser. Das in der Medizintechnik tätige Unternehmen mit weltweit etwa 10.000 Mitarbeitern hat Produktionsstandorte in zehn Ländern und Vertriebsniederlassungen in 100 Ländern. Mit 1400 Mitarbeitern allein in Hechingen ist die Gambro Dialysatoren GmbH größter Arbeitgeber am Ort. "Wir arbeiten rund um die Uhr", so Margot Kaiser. "Nicht einmal an Weihnachten herrscht Stillstand." 2005 wurde das Unternehmen vom Audit "berufundfamilie" zertifiziert. Neben flexiblen Schicht- und Arbeitszeitmodellen bietet es seinen Beschäftigten auch Beratung und Betreuung über ein eigens eingerichtetes Sozialbüro "Arbeit und Leben" sowie Familien unterstützende Sozialleistungen. "Der Solidargedanke ist uns wichtig", betonte Margot Kaiser, die als Leiterin des Büros "Arbeit und Leben" bei Bedarf auch Heimplätze vermittelt und in ein Netzwerk mit ambulanten Hilfen, Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen eingebunden ist. "Die Mitarbeiter kommen mit ihren Problemen zu mir und gemeinsam finden wir Lösungen."

Die Lösung von Sozialfragen sei wichtig für das Betriebsklima, betonte auch Steffen Fischer, Personalleiter der ifm electronic GmbH in Tettnang. Für den Erfolg des Wirtschaftsunternehmens mit seinen rund 3000 Beschäftigten sei es erforderlich, dass "motivierte Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort im richtigen Umfang und in der richtigen Organisation" verfügbar seien. Ohne Einzelfallbetrachtungen komme man dabei nicht aus. "Wir haben keine Patentlösungen, sondern gehen im Einzelfall lösungsorientiert vor", so Fischer. Ziel dabei sei es, den Familienangehörigen und Mitarbeiter nicht zu entmündigen, sondern dessen Eigenverantwort-lichkeit zu fördern und zu stärken, ihn weiterzuqualifizieren sowie zu schauen, dass er den Arbeitsplatz behalte, berichtete ifm-Personalreferentin Hilke Müller-Meinhard. Dazu gehöre, bei Kollegen Verständnis für den von einer Pflegesituation betroffenen Mitarbeiter zu schaffen. "Wir sollten uns auch in Herzensbildung üben", so die Personalreferentin. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden: "Die Produktion muss weitergehen."
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