Die Sylvester-Ereignisse von Köln haben gezeigt, daß mit manchen Flüchtlingen auch eine Art Macho-Kultur ins Land strömte. Ist das eine Frage der Kultur, der Mentalität, der Psychologie, womit wir uns abzufinden haben?
Die Zusammenhänge sind komplex und sicher sollten wir uns damit nicht abfinden. Zunächst: Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und großer Teile der Opposition scheint dem Muster deutscher Grandiosität zu folgen. Es gilt unausgesprochen das Motto: Wir haben ja inzwischen verstanden, dass uns die Welt nicht gehört, jetzt aber wollen wir sie retten. Die Politik der offenen Grenzen für alle hat mittlerweile dazu geführt, dass Deutschlands vor kurzem noch nobelpreisverdächtige Kanzlerin aufgrund ihres einsamen – sicher gut gemeinten - Entschlusses in dieser Angelegenheit von allen europäischen Nachbarn isoliert ist. Und nun sind unter der Million Flüchtlinge auch Menschen nach Deutschland gelangt, die sich über Regeln und Gesetze hinwegsetzen. Der Neid in ihrer Heimat und hier unerwünschter, zumeist nordafrikanischer Kinder auf das süße Leben der hiesigen Jugend, zielte in Köln auf die gleichzeitig angstauslösende und faszinierende sexuelle Libertinage und individuelle Selbstbestimmung auch der Frau. Er bezieht seine aggressive Kraft wohl auch aus der Kränkung durch die hier erlebte Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit.
Dann sind wir sozusagen wieder selber Schuld?
Natürlich nicht. Und natürlich müssen wir unsere eigenen Gewaltdispositionen immer auch sehen und reflektieren. Aber vieles, ja das meiste von dem, was an sexueller Gewalt in Köln geschah, ist wohl importiert. Viele Beobachter fragen sich seit der Kölner Sylvesternacht, ob ihre Belange und ihre bürgerlichen Errungenschaften von den Regierenden gegen eine zunehmende Repatriarchalisierung durch islamistischen Terror, durch frauenverachtendes Machogebahren gewalttätiger nordafrikanischer Gangs und durch die zunehmende rechte Gewalt verteidigt werden können. Die Fragen sind berechtigt und schon deshalb dürfen wir uns damit nicht abfinden. Die mittlerweile diffus empfundene Bedrohung unserer auf Gewaltenteilung und den Menschenrechten beruhenden freiheitlichen Lebensweise durch Teile der islamischen Kultur hat wohl eine Ursache im offen gelebten patriarchalischen Recht des Stärkeren.
Woher kommt das, psychologisch gesehen?
Die männliche Tendenz zur Gewalt in der islamisch geprägten Machokultur hat auch einen tabuisierten sexuellen Hintergrund. Islam bedeutet ja nicht – wie zuweilen zu hören – Frieden, sondern Hingabe oder Unterwerfung. Und in der kindlichen Biografie fast aller männlichen Moslems wird der Eintritt in ihre kulturelle Identität durch die Unterwerfung unter einen Gewaltakt markiert. Es fließt Blut. Im Gegensatz zur jüdischen Frühbeschneidung acht Tage nach der Geburt werden die Jungen im Vorschulalter auf dem Höhepunkt der kindlichen Sexualentwicklung und der damit verbundenen Kastrationsängste der traumatischen Erfahrung der Genitalbeschneidung unterworfen. Die patriarchalischen Machtansprüche erzwingen eine religiös und festlich verbrämte kollektive Erfahrung, nämlich, dass der Stärkere, weil er stärker ist, dem Schwächeren, weil er schwächer ist, Körperteile abschneiden darf und damit sogar ein gottgefälliges Werk vollbringt. Kritik an diesem Ritual ist nicht möglich.
Ist diese Erfahrung der Beschneidung nicht bald vergessen?
Nein, im Gegenteil. Die erfahrene Gewalt wird verinnerlicht und setzt sich fort. Die potenziell neurotisierende und ja auch mit erheblichen medizinischen Risiken verbundene Erfahrung der Beschneidung bewirkt aus psychoanalytischer Sicht bei vielen der Jungen bleibende Ängste um ihre Männlichkeit. Die Reaktion darauf ist ein hochkränkbarer männlicher Ehrbegriff. Nicht selten kommt es auch zu einem Vertrauensbruch in ihrer Elternbeziehung und als Abwehr dieser Erfahrung zu einer kritiklosen patriarchalischen Loyalität und zur Identifikation mit dem Aggressor. Das kann dann zu einer Verinnerlichung schneidender Gewalt als Handlungsoption führen. Die auf die Mutter gerichtete Enttäuschungswut, zu der vor der Beschneidung eine wechselseitige Idealisierungsbeziehung bestand und die trotzdem die Beschneidung nicht verhinderte, bewirkt nach diesem abrupten Bruch dann später tiefgreifende Ängste vor einer unkontrollierten Weiblichkeit und einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität. Der gewalttätige Zugriff auf kindliche Genitalien durch die Beschneidung und die damit inszenierte Kastrationsandrohung ist im Grunde der transgenerational vermittelte, normative Kern des Patriarchats.
Wäre hier also psychologische Aufklärung nötig und zwar in gesellschaftlicher Breite?
Auf jeden Fall. Der gewaltfreie Umgang mit Kindern ist entscheidend für eine sich zivilisierende, säkulare und empathiefähige Gesellschaft. Aber es geschieht nichts. Für die destruktive kulturelle Tiefenwirkung und die zuweilen sexualneurotischen Ausformungen dieser kollektiven sexuellen Gewalterfahrung besteht in weiten Teilen des islamisch geprägten Kulturkreises – aber auch bei uns - kein intellektuelles Bewusstsein. Sogar in den Büchern von Abdel-Samad und Kermani sucht man Hinweise auf diese Zusammenhänge vergebens. Eine Ausnahme stellt Necla Kelek dar, die sich klar gegen die Jungenbeschneidung ausspricht. Da wo noch nicht verstanden wird, wird aber bekanntlich weiter gehandelt, wird weiter wiederholt und damit diese fatale Tradition gestärkt.
Könnte dann die psychologische Aufklärungsarbeit nicht von uns, dem Westen in seinen eigenen Ländern wenigstens, geleistet werden?
Es ist immer schwierig von außen zu kommentieren, wenn es um die Gruppenidentität anderer geht. Und das Thema ist ja nun gerade in Deutschland aufgrund unserer Geschichte hochbelastet. Zudem ist der Blick vieler unserer Politikerinnen und Politiker verhangen. Trotz wünschenswert eindeutiger Verurteilung der Mädchenbeschneidung in allen ihren Varianten wurden die juristischen und medizinischen Kritiker der religiös motivierten Beschneidung von kleinen Jungen im Zusammenhang mit dem Kölner Beschneidungsurteil von 2012 von der Bundeskanzlerin als Mickeymäuse abgetan. Ein prominenter Grüner, der es in der Vergangenheit schon schwer hatte sich auf die Seite missbrauchter Kinder zu stellen, rückte die Beschneidungskritiker sogar in die Nähe von Antisemiten. Und Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin befürwortete aus feministischer Sicht die Jungenbeschneidung mit entsetzlichen Argumenten. Die Beschneidung ist und bleibt aber eine traumatische Verletzung der genitalen kindlichen Integrität.
Also ist auch Deutschland in dieser Frage rückständig und verweigert die Erkenntnis?
Leider ja. Und das ist schlimm. Der unfassbare Skandal der diskriminierenden Ungleichbehandlung von Jungen, die Erlaubnis ihrer Beschneidung ohne medizinische Indikation und Fachkunde durch den Gesetzgeber hat in Deutschland nach Auffassung führender Verfassungsrechtler zu einem schweren Bruch der Rechtssystematik und zu einer Relativierung menschenrechtlicher Grundwerte geführt. Für die transgenerationale Weitergabe kindheitlich erfahrener Gewalt gibt es trotz klarer wissenschaftlicher Belege offensichtlich auch in Deutschland immer noch kein ausreichendes politisches Bewusstsein. Man muss ja schon froh sein, dass wir es nach langen Diskussionen im Jahr 2000 endlich geschafft hatten die Prügelstrafe für Kinder gesetzlich zu verbieten. Der Schutz religiöser Bedürfnisse Erwachsener auf Kosten der Gesundheit und sexuellen Integrität von Jungen unter dem Cover der freien Religionsausübung ist ein skandalöser zivilisatorischer Rückschritt in der Sicherung der Kinderrechte. Ärztinnen und Ärzte sollten sich hier nicht zu Erfüllungsgehilfen machen lassen. Es gibt keinen medizinischen Grund einem gesunden Jungen seine gesunde Vorhaut abzuschneiden. Das Verständnis für diese Zusammenhänge wächst erfreulicherweise zum Beispiel in der Kinderchirurgie.
Was ist zu tun?
Eigentlich ist es ganz einfach: Man tut Kindern nicht weh und Männer haben an den Genitalien von Jungen -oder von Frauen, die das nicht wollen -nichts zu suchen. Und unser Staat hat dies mit seinem Gewaltmonopol durchzusetzen. Dies fordern nicht nur die Frauen der Kölner Sylvesternacht. Dies fordern auch die zahlreichen leidvoll betroffenen männlichen Beschneidungsopfer, die sich endlich nicht nur als Patienten sondern auch öffentlich zu Wort melden. Denn der aggressive Zugriff auf Genitalien ist in jeder Form und zu jedem Zeitpunkt ein schweres Trauma mit Folgewirkungen. Wir brauchen deshalb neben großen Anstrengungen zur Integration auch dringend eine Neuauflage der Diskussion um die Jungenbeschneidung, wenn wir wirklich verhindern wollen, dass kindliche Gewalterfahrungen zu wiederholender patriarchalischer Gewalt beitragen. Man könnte beispielsweise, wie teilweise im Judentum heute schon üblich, die Beschneidung nur symbolisch andeuten oder sie bis zur Volljährigkeit verschieben, so dass jeder selber entscheiden kann, ob eine Beschneidung wirklich Sinn macht.
Das gilt allgemein. Was könnten die Kirchen hier konkret tun? Immerhin geht es auch um Religion.
Das müssen die Kirchen selber entscheiden. Ich denke, hier gibt es auch vieles zum Thema Gewalt gegen Kinder, was noch nicht ausreichend aufgearbeitet ist. Die hastige Solidarisierung der Kirchen mit den religiös motivierten Beschneidungsbefürwortern stellt für mich ein Versagen dar angesichts der Notwendigkeit, mit Kindern gewaltfrei umzugehen. Hier haben erwachsene Kleriker wieder zu sehr an ihre Bedürfnisse und an die Sicherung ihrer Religionsfreiheit und zu wenig daran gedacht, Kinder vor Gewalt in jeder Form – auch vor religiös motivierter Gewalt - zu schützen. Lassen Sie mich aber auch selbstkritisch für meine Zunft sagen: Auch Psychotherapeuten sparen bei ihren Gesprächen dieses Thema fast immer aus. Unsere Fachverbände schweigen beklommen. Niemand hat es wirklich gern mit dem Thema Kastration und den dazugehörigen Ängsten zu tun. Und darum geht es ja latent bei der Beschneidung. Auch ich selber war bis vor 15 Jahren noch völlig naiv, was dieses Trauma angeht. Ich wurde aber durch zahlreiche bedrückende Berichte meiner Patienten zunehmend sensibilisiert. Leider gibt es auch heute noch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die ihren männlichen Patienten, wenn sie über die Qualen ihrer Beschneidung und deren Folgen sprechen wollen, sagen, dass bei der Beschneidung doch nur ein kleines Stück Haut verloren ginge. Das ist nicht nur aggressive Ignoranz sondern auch eine Empathieverweigerung, die beschämt.