Die Europäische Union und der Europarat sind zwei verschiedene supranationale Zusammenschlüsse auf dem europäischen Kontinent. Weniger bekannt ist der Europarat. Gegründet 1949 in Strasbourg noch vor der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (der Vorgängerorganisation der EU), hat der Europarat keine Rechtsetzungstätigkeit wie die EU, sondern versteht sich als Forum für Debatten. Aber auch Diskussionen wirken sich auf den Gesetzgebungsprozess aus: "Ideas have consequences" brachte das der US-amerikanische Philosoph Richard M. Weaver in seinem immer noch lesenswerten Buch (1948) auf den Punkt. Die 47 Mitgliedsstaaten des Europarats umfassen sowohl die 28 Mitgliedsstaaten der EU als auch beispielsweise die Türkei (seit 1949), die Schweiz (seit 1963) und Russland (seit 1996). Im Ministerkomitee sind die Mitgliedsstaaten durch ihre Außenminister vertreten. Die Parlamentarische Versammlung setzt sich aus entsandten nationalen Abgeordneten zusammen. Deutschland schickt 18 Bundestagsabgeordnete, Österreich 6, die Schweiz 6. Außerdem gibt es die Konferenz der internationalen Nichtregierungsorganisationen, zu denen ein breites Spektrum an supranationalen Verbänden gehört, von der Europäischen Polizeigewerkschaft bis zur Föderation der Katholischen Familienverbände in Europa (FAFCE), der einzigen Familienorganisation katholischer Inspiration, die sowohl beim Europarat in Strasbourg als auch bei der EU in Brüssel offiziell akkreditiert ist. Wichtigstes Gremium im Hinblick auf die Meinungsbildung in kritischen sozialethischen Fragen ist jedoch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Europarats, der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht.
In kritischen sozialethischen Fragen werfen sich die Aktivisten die Bälle zu und nutzen die Verschiedenartigkeit der Institutionen aus. Was in der EU blockiert ist, wird durch den Europarat vorangebracht und umgekehrt. Im Gegensatz zum Gerichtshof der EU (EuGH) ist es vergleichsweise einfach, als Privatperson ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anzustrengen. Und wenn nichts mehr geht, können Politik- und Rechtsaktivisten immer noch auf den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf ausweichen. Das unablässige Pingpongspiel mit familienpolitischen Themen zwischen verschiedenen Institutionen mit ihren jeweils eigenem Selbstverständnis, Aufgaben, Zusammensetzung und Mehrheiten erklärt auch die fortschreitende, nachhaltige Professionalisierung, mit der die Familienpolitik in Europa seit der Jahrtausendwende vorangetrieben wird. Es erklärt auch, warum so viele Experten dauerhaft vor Ort in den internationalen Institutionen arbeiten und warum eine zuverlässige Beobachtung ohne permanente Präsenz nicht möglich ist. Auch deshalb unterhält IDAF eine eigene Antenne in Brüssel.
Die Anfänge der Beratungen zur Leihmutterschaft reichen in das Jahr 2005 zurück. Damals diskutierte der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Familie der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eine Entschließungsvorlage "Für die Anerkennung und Überwachung von Leihmutterschaft als Alternative zu Sterilität". Anstatt eine Abstimmung durchzuführen ließ der Ausschuss verlauten, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage sehe, der Parlamentarischen Versammlung konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Weil damals ein politischer Konsens nicht erreicht werden konnte, verliefen die Arbeiten im Sande. 10 Jahre später erfolgte ein erneuter Anlauf. Inzwischen war in manchen Mitgliedsstaaten die "Ehe" für gleichgeschlechtlich lebende Menschen eingeführt und der Ehe zwischen Mann und Frau völlig gleichgestellt worden. Manche Mitgliedsstaaten, wie Belgien, Schweden und die Niederlande, schaffen immer wieder neue Gesetze, die Praktiken legalisieren und neue Standards schaffen, welche dann die alten Positionen anderer Mitgliedsstaaten in Frage stellen. Zur Berichterstatterin des Europarats wurde die grüne Senatorin Petra de Sutter ernannt, die auf der Liste der Grünen Partei in Flandern gewählt wurde. Eine transsexuelle Frau, die natürlich kein Kind austragen kann und beruflich in der Reproduktionsmedizin forscht, sollte Vorschläge erarbeiten, um Leihmutterschaft in den Mitgliedsstaaten des Europarats zu liberalisieren. Die renommierte Gynäkologie-Professorin und Abteilungsleiterin für Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Gent (eines von vier belgischen Krankenhäusern, die Leihmutterschaft trotz eines nicht vorhandenen rechtlichen Rahmens in Belgien praktiziert) gab am 3. Februar 2016 in Belgiens größter Tageszeitung zu Protokoll: “Ich bin für eine liberale Regelung von Leihmutterschaft, die aber gegen jede Form von Kommerzialisierung vorgehen wird“. Das stellte sich umgehend als nicht ganz richtig heraus, denn Professorin Petra de Sutter ist offiziell Teilhaberin einer spezialisierten Klinik in Indien, die Leihmutterschaft kommerziell betreibt. Diese Interessenkonflikte wurden von Beobachtern, wie beispielsweise der FAFCE, offengelegt. Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats wurden darauf aufmerksam und beantragten, das Berichterstattungsverfahren wegen der nicht geklärten Interessenkonflikte auszusetzen. Die Beamten des Generalsekretariats des Europarats waren jedoch mächtiger als die gewählten Abgeordneten: die Ausschuss-Sitzung am 23. November 2015 wurde kurzerhand zur nicht-öffentlichen Sitzung erklärt, und der Antrag auf Absetzung der Berichterstatterin ging irgendwo verloren.
Im EU-Parlament mobilisierten sich unterdessen die Mitglieder der Familien-Intergruppe des EU-Parlaments parteiübergreifend unter der Leitung ihrer Vorsitzenden Anna Záborská (Slowakei, EVP) und der Stellvertreterin Beatrix von Storch (Deutschland, EKR) sowie Luigi Morgano (Italien, S-D). Schließlich hatte sich das EU-Parlament bereits in verschiedenen Entschließungen gegen Leihmutterschaft ausgesprochen. In seiner "Entschließung vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen" wurden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, das ernste Problem der Leihmutterschaft anzuerkennen. Diese stelle eine Ausbeutung des weiblichen Körpers und seiner reproduktiven Organe dar (§ 20). Das EU-Parlament betonte, dass sowohl Frauen als auch Kinder denselben Formen der Ausbeutung unterworfen seien und beide daher als „Rohstoffe“ auf dem internationalen Reproduktionsmarkt betrachtet werden könnten. Ferner, dass durch neue Reproduktionsvereinbarungen wie die Leihmutterschaft der Handel mit Frauen und Kindern sowie illegale grenzüberschreitende Adoptionen zunähmen (§ 21). In Paragraph 115 seiner "Entschließung vom 17. Dezember 2015 über den Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie in der Welt 2014 und die Politik der Europäischen Union in diesem Bereich" findet das EU-Parlament noch deutlichere Worte und"verurteilt die Praxis der Ersatzmutterschaft, die die Menschenwürde der Frau herabsetzt, da ihr Körper und seine Fortpflanzungsfunktionen als Ware genutzt werden; ist der Auffassung, dass die Praxis der bestellten Ersatzmutterschaft, die die reproduktive Ausbeutung und die Nutzung des menschlichen Körpers – insbesondere im Fall von schutzbedürftigen Frauen in Entwicklungsländern – für finanzielle oder andere Gewinne umfasst, untersagt werden und dringend im Rahmen der Menschenrechtsinstrumente behandelt werden sollte".
Aufbauend auf diesen klaren Stellungnahmen fand am Rande der Plenarsitzung des EU-Parlaments im Februar 2016 eine überraschend gut besuchte Intergruppensitzung statt, die über die Hintergründe der Leihmutterschaft und die bevorstehende Abstimmung im Sozialausschuss der parlamentarischen Versammlung informierte. Eingeladen waren u.a. Gregor Puppinck, der als Anwalt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Europarats tätig ist, und eine belgische Kinderärztin. Zahlreiche Mitglieder der Familienintergruppe verstanden die Gefahren, die von einer Entschließung des Europarats für die EU ausgehen können, und kontaktierten ihre nationalen Parlaments- und Parteikollegen, die in der Parlamentarischen Versammlung tätig sind. Als nächsten Schritt planen die EU-Abgeordneten Záborská, von Storch und Morgano mit ihren Kollegen der Familienintergruppe eine Schriftliche Erklärung zu diesem Thema. Die Vorlage liegt bereits im Kabinett von Parlamentspräsident Martin Schulz. An ihm liegt es nun, ob das Pingpong zwischen den supranationalen Institutionen auch mal einen Punkt für die natürliche Familie macht.