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Kleine Renaissance der Ehe

Mehr Hochzeiten, weniger Scheidungen, längere Beziehungen: Ein Trend mit Chancen für Staat und Kirche / Von Jürgen Liminski

(lifePR) (Sankt Augustin, )
Es wird wieder mehr geheiratet in Deutschland. 2016 gaben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 410.000 Paare das Ja-Wort, zehntausend (2,6 Prozent) mehr als im Vorjahr und 2014 waren es nur 386.000. Der Trend ist erkennbar. In den fünfziger Jahren freilich waren es rund 600.000 Eheschließungen, in den sechzigern begann die Kurve zu sinken um bis zur Jahrtausendwende deutlich mehr als ein Drittel zu verlieren. Das ist nicht so dramatisch wie die Geburtenzahlen, die sich im vergleichbaren Zeitraum glatt halbierten, aber der Zusammenhang ist eindeutig. Die meisten Kinder – mehr als achtzig Prozent – werden auch heute in Ehen geboren. Etwa 90 Prozent der verheirateten Frauen zwischen 40 und 44 Jahren haben Kinder. Bei Ehepaaren wachsen in Deutschland rund 10 Millionen Kinder auf, drei von vier Kindern leben bei ihren leiblichen und verheirateten Eltern. Der Staat hätte ein Interesse daran, die Ehe zwischen Mann und Frau zu fördern.

Warum wird wieder mehr geheiratet, obwohl es heute ökonomisch wegen der Emanzipation der Frau nur noch bedingt und gesellschaftlich nicht mehr mainstreamig ist, wie die FAS jüngst in einem ganzseitigen Beitrag zu begründen versuchte? Zunächst: Die lang-und mittelfristig ökonomischen Vorteile liegen nach wie vor auf der Hand. Stabile Beziehungen senken die Risiken von Armut und Krankheit und erhöhen die Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit. Das kommt nicht nur den Partnern, sondern auch der Allgemeinheit zugute. Ehe ist gut für die Gesundheit. Das hat die Ver­haltensforscherin Linda Waite von der Universität Chicago erforscht. Verheiratete Männer lebten gesünder und länger als unverheiratete (das ist vermutlich vor allem auf die Pflege und Sorge durch die Frauen zurückzuführen), verheiratete Frauen aber auch. Auch Wissenschaftler von der britischen Warwick-Universität kamen bei einer Langzeitstudie zu diesem Schluß. Demnach weisen verheiratete Männer ein um 9 Prozent geringeres Sterberisiko auf als Singles. Bei Frauen sind es immerhin noch drei Prozent. Geradezu sprunghaft steigt das Gesundheitsrisiko bei Geschiedenen. Die Ehe nutzt dem Staat. Diese soge­nannten positiven externen Effekte sind empirisch in zahlreichen Studien nachgewie­sen, weshalb Fachleute bei der Ehe auch von einem „kulturellen Kapital“ sprechen. Dieses Kapital ist auch gesellschaftspolitisch bedeutsam. Es stärkt die Sozialsysteme und die Wirtschaft. In Zeiten instabiler Renten und ande­rer wachsender Risiken aufgrund der demographischen Entwicklung ist die Ehe eine Lebensversicherung besonderer Art, die Vertrautheit macht Pflege im Alter (durch Partner oder Kinder) eher zu einem Liebesdienst als in irgendeinem Heim. Sie schafft einen Rahmen, in dem nicht nur Emotionen gedeihen können, sondern aus dem auch Stabilität für das Gemeinwesen erwächst.

All das wären Gründe für den Staat, die Ehe zu fördern. Es sind statistische Daten und freilich im Einzelfall nur teilweise Gründe, überhaupt zu heiraten. Auch Singles können gesund leben, wohlhabend werden und sich sozial engagieren. Der Hauptgrund ist heute – mehr noch als früher – der vermutlich älteste Grund, weswegen Menschen heiraten: Die Liebe. In den USA ist das für neun von zehn Heiratenden der Grund, acht von zehn wollen sich dort für das ganze Leben einander versprechen. In Europa ist angesichts der Auflösung sozialer Milieus und der Atomisierung von Beziehungen, gefördert durch das politisch-mediale Establishment, die Ehe ein Hafen der Geborgenheit und der persönlichen Sicherheit, der für das Streben nach Glück sehr viel mehr verheißt als Geld und Wohlstand. Psychologen sprechen von einer gesteigerten „Bindungssehnsucht“, vom „Wunsch nach einer dauerhaften Liebe“. Schon Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hat der Brite William Farr die „conjugal condition“ anhand von Heirats-, Sterbe- und Geburtsregistern untersucht und herausgefunden, daß Verheiratete gesünder und glücklicher leben. Die Hirn-und Bindungsforschung hat in unseren Tagen neue Erkenntnisse beigesteuert, was vor allem in Amerika diskutiert wird. Sicher ist: Liebe ist ein Faktor, der in einer Welt der wachsenden politischen, sozialen und psychologischen Unsicherheit an Bedeutung gewinnt. Vertrauen ist die Währung des Lebens, das gilt für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft. In der Ehe findet es sein Zuhause.

Der Vertrauensbruch wiegt in der Ehe schwerer als außerhalb. Deshalb liegen Glück und Konflikt hier eng zusammen. Norbert Bolz formuliert es in seinem Büchlein „Die Helden der Familie“ so: „Die Rechnung, die Eheleute den Singles gegenüber aufmachen, lautet: In der Liebe hat man nicht nur den Nutzen des eigenen Konsums, sondern auch den des Partners, gewissermaßen Freude an der Freude des anderen. Liebe heißt ökonomisch betrachtet, daß mir der Konsum des Partners genauso viel Nutzen bringt wie der eigene Konsum. Intimität, die Wertbindung der Ehe und gegenseitige Unterstützung bringen beiden Partnern Gefühlsdividenden. Soziale Bindungen aber schränken Freiheit und Autonomie ein. Die Gegenrechnung orientiert sich dann an den Scheidungsstatistiken. Monotonie, hohe Kosten und Streit in der Ehe haben eine hohe Sichtbarkeit. Das schreckt viele davon ab, sich auf dieses moderne Abenteuer einzulassen. Und in der Tat hat die Ehe von allen Lebensformen das größte Konfliktpotential – aber eben auch das größte Glückspotential“. Ein weit verbreiteter Stein des Anstoßes in der Ehe ist das Geld. Nach jüngsten Umfragen hatte jedes vierte Paar in Deutschland schon mal „Beziehungsstress“ wegen des Geldes und der finanziellen Haushaltsführung. Männer verdienen im Schnitt mehr Geld als die Frauen (das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet: Bei jedem fünften Paar ist der Mann Alleinverdiener, bei 44 Prozent verdient die Frau mit, nur bei 25 Prozent verdienen beide Partner etwa gleichviel, nur in jeder zehnten Beziehung verdient sie mehr als er) und stören sich öfter als Frauen an vermeintlich unnötigen Ausgaben.

Geld und Wohnraum sind externe Faktoren, bei denen der Staat durchaus für mehr Gerechtigkeit sorgen könnte, vor allem, wenn es in Ehen auch Kinder gibt. Die internen Faktoren, Vertrauen und Liebe, Geborgenheit und Sicherheit, Gefühle und Freundschaft sind kaum messbar. Die leichte Renaissance der Ehe wird deshalb in ihrem Umfang erst dann wirklich erfassbar, wenn man noch zwei Daten ins Bild nimmt: Die Ehen in Deutschland halten länger und es wird weniger geschieden. Die durchschnittliche Ehedauer betrug in den neunziger Jahren um die 12 Jahre, 2005 waren es schon 13,6 und 2015 bereits 14,9 Jahre. Im selben Zeitraum (zwischen 1990 und 2015) stieg die Zahl der Scheidungen zunächst von 154.000 auf 201.000 (2005), um zehn Jahre später auf 163.000 zu sinken. Längere Haltbarkeit, weniger Scheidungen, mehr Hochzeiten, mehr als sieben Paare in Deutschland leben in Ehe, nicht immer die erste, aber der hohe Stellenwert der Ehe ist unbestritten. Wer heute in Ehe lebt, lebt es bewußter.

Und das umso mehr, je religiöser fundiert die Ehe ist. Zwei Drittel aller Ehen in Deutschland halten ein Leben lang und die meisten dieser Ehen haben ein religiöses Fundament. In der Tat: Ehen, die kirchlich getraut wurden, haben ein um rund 50 Prozent vermindertes Scheidungsrisiko als nur standesamtlich getraute Ehen. Das geht aus frühen Umfragen und aus wissenschaftlichen Arbeiten vor allem in Amerika hervor. Besonders intensiv hat sich der Familienforscher Patrick Francis Fagan vom Family Research Council damit befasst, aber auch in Deutschland liegen Ergebnisse sozusagen als Nebenprodukt anderer Zielrichtungen von Forschungsarbeiten vor (zum Beispiel Andreas Diekmann/ Henriette Engelhardt, Alter der Kinder bei Ehescheidung der Eltern und soziale Vererbung des Scheidungsrisikos, Working Paper des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, Rostock, 2002). Man darf auch als selbstverständlich annehmen, daß kirchlich verheiratete Paare aus ideellen und religiösen Gründen intensiver um ihre Beziehung ringen als nicht ideell und religiös gebundene Paare. Umso wahrscheinlicher ist auch, daß religiös praktizierende Ehepaare sich signifikant seltener scheiden lassen. Eine Umfrage aus den achtziger Jahren besagt sogar, daß nur jede fünfzigste Ehe von Paaren zerbrach, die kirchlich verheiratet waren und gemeinsam zur Kirche gingen. Bei kirchlich verheirateten Paaren, die zudem noch gemeinsam beten, zerbricht nur eine von 1429 Ehen. Spätere Forschungen der Auburn-Universität in Alabama belegen zudem, dass es auch auf die Art der Religion und Kirchenbindung ankommt. Zuviel Vielfalt könne der Ehe auch schaden. Entscheidend für das Gelingen einer Ehe sei auch das „religious makeup of a community“ – das religiöse Gefüge einer Gemein­de, und nicht nur die Religiosität des Paares. Da, wo die Menschen in relativ homo­genen religiösen Rahmenbedingungen (relatively homogeneous religious settings) lebten, gebe es signifikant weniger Scheidungen. Patrick Fagan unterscheidet außerdem noch zwischen bikonfessionellen Ehen und unterschiedlichen Familienmodellen. Festzuhalten ist: Religiös praktizierende Eheleute lassen sich deutlich seltener scheiden als nicht religiöse Paare.

Die kleine Renaissance der Ehe in politisch wie emotional unsicheren Zeiten ist sicher eine Chance für sinnstiftenden Institutionen wie die Kirchen. Es läge nahe, diesem Trend  mit Angeboten für eine bessere und fundierte Vorbereitung der Ehe entgegenzukommen. Die Ehe ist die Freundschaft des Lebens oder, wie Paul VI. sagte, die „innigste und umfassendste Form personaler Freundschaft“ und vor ihm schon sprach Leo XIII von der Ehe als der „höchsten Gemeinschaft und Freundschaft“. Unvergessen ist Luthers Wort: Diese Freundschaft hätte es verdient, vertieft und in all ihren Facetten dargestellt zu werden, damit die künftigen Ehepartner noch besser wissen und sich noch mehr darauf freuen, in welches gemeinsame Abenteuer des Lebens sie gehen. Und die Kirchen selbst könnten auf diese Weise auch ein Momentum der Renaissance erleben, vor allem wenn sie sich stärker auf den Faktor selbstlose, zeitlose Liebe konzentrierten als auf das Mitreden im politisch-sozialen Diskurs.

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