Entscheidender Vorteil des ZfKD-Datensatzes war, dass er auch anonymisierte unveröffentlichte Informationen enthält. So erhoffte sich das IQWiG anhand dieser Daten, die Zahl der Patientinnen und Patienten exakter zu berechnen, für die ein Wirkstoff relevant sein könnte. Denn im Zentrum des Projekts stand die Frage, ob die vom ZFKD übermittelten Daten hilfreiche zusätzliche Informationen enthalten. Ebenso interessierte sich das Institut dafür, ob es zeitlich und personell passen kann, diese Daten im engen Drei-Monats-Zeitraster der frühen Nutzenbewertung regelhaft heranzuziehen.
Rolle der Patientenzahlen bei der frühen Nutzenbewertung
In ihren Dossiers für die frühe Nutzenbewertung von onkologischen Arzneimitteln müssen Hersteller angeben, für wie viele Patientinnen und Patienten ihr neuer Wirkstoff infrage kommt (Zielpopulation). Über die Höhe der Patientenzahlen muss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) förmlich beschließen, denn der Umfang der Zielpopulation hat großen Einfluss auf die späteren Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung und spielt bei den Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund gehört es auch zu den Aufgaben des IQWiG, die Angaben zur Zielpopulation in den Hersteller-Dossiers zu bewerten.
Um die Höhe der Patientenzahlen zu ermitteln, nutzen die Hersteller häufig Daten des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut (RKI). Das ZfKD erhält seine Daten anonymisiert von den Krebsregistern der Bundesländer. Diese Daten führt es für bundesweite Auswertungen zusammen und stellt sie Dritten auf Antrag zur Verfügung (Scientific Use File).
Daten zu drei onkologischen Erkrankungen
Im September 2017 übermittelte das ZfKD per Scentific Use File dem IQWiG einen Datensatz von 429.015 Fallmeldungen aus den Jahren 2009 bis 2014 zu den drei Erkrankungen Lungenkarzinom, malignes Melanom der Haut und akute lymphatische Leukämie (ALL). Das IQWiG analysierte die Fallzahlen im Hinblick auf das Vorkommen der Neuerkrankungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums (Inzidenz) und der Krankheitshäufigkeit innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist (5-Jahres-Prävalenz). Dabei orientierte sich das IQWiG am methodischen Vorgehen des ZfKD zur Schätzung von Patientenzahlen. Ferner bestimmte das Institut Angaben zu Patientengruppen, etwa zu der Frage, in welchen Stadien die Neuerkrankungen bei wie vielen Patientinnen und Patienten auftraten.
Plausibilität von Patientenzahlen lässt sich prüfen
Das Projekt-Team kam zu dem Ergebnis, dass die Daten des Scientific Use Files eine potenzielle Quelle darstellen, um die Herstellerangaben zur Zielpopulation in den Dossiers auf Plausibilität zu prüfen. Allerdings erfassen noch nicht alle deutschen Landes-Krebsregister die neu aufgetretenen Erkrankungen vollzählig. Das ZfKD korrigiert daher in seinen Auswertungen diese Untererfassung mithilfe eines Schätzverfahrens. Bei Erkrankungen, für die das ZfKD keine offiziellen Schätzungen publiziert, könnten die Daten Hinweise auf die Größe der Patientenzahl liefern.
Das Projekt ergab ebenfalls, dass es für das IQWiG nicht möglich ist, regelhaft das Datenmaterial des Scientific Use Files im Dreimonats-Zeitraum der frühen Nutzenbewertung auszuwerten. Der personelle und zeitliche Aufwand wäre zu hoch. Zudem zeigte sich, dass bei einem Teil der Neumeldungen wichtige Informationen wie etwa die Krankheitsstadien Neuerkrankter noch fehlen.
Stattdessen erscheinen weitere Anträge ans ZfKD zur Nutzung des Scientific Use Files unabhängig von laufenden Bewertungen denkbar, um Untersuchungen zur Patientenzahl für ausgewählte Indikationen vorzunehmen.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Der vorliegende Bericht wurde in Form eines Arbeitspapiers im Rahmen des Generalauftrags erstellt. Diesen hat der G-BA dem IQWiG im Dezember 2004 erteilt, um die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Institutes zu stärken. Das ermöglicht es dem IQWiG, eigenständig Themen aufzugreifen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Im Unterschied zu anderen Berichtsformen gibt es keine Fristen für die Publikation von Arbeitspapieren. Das Arbeitspapier wurde am 29. Juli 2019 an den G-BA versandt.