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Nichtmedikamentöse Behandlung der Alzheimer Demenz: Langfristiger Nutzen nicht belegt

Gesicherte Aussagen zum Nutzen- und Schadenpotenzial derzeit nicht möglich / Generell großer Nachholbedarf bei guten Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren

(lifePR) (Köln, )
Ob Menschen mit Alzheimer Demenz langfristig von nichtmedikamentösen Behandlungsverfahren profitieren, bleibt eine ungeklärte Frage. Dieser unbefriedigende Befund ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass aussagekräftige Studien bislang fehlen. Für einzelne Ansätze gibt es zwar Hinweise auf einen Nutzen, aber auch auf einen Schaden. Zu diesem Ergebnis kommt der am 17. März 2009 publizierte Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Laut IQWiG zeigt sich bei der Alzheimer-Therapie ein generelles Problem der Nutzenbewertung nichtmedikamentöser Behandlungsverfahren in zugespitzter Form: Geringe Forschungsmittel und eine unterentwickelte Studienmethodik führen dazu, dass auch für Verfahren, die Potenzial haben, keine zuverlässigen Aussagen getroffen und damit auch keine Belege für einen Nutzen erbracht werden können.

Begleitsymptome lindern, Alltagskompetenz stärken

Die Bedürfnisse von Patienten mit Alzheimer Demenz sind komplex und verändern sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung. Ebenso vielfältig sind die bisher entwickelten Therapien. Neben Arzneimitteln kommen auch nichtmedikamentöse Verfahren zum Einsatz. Letztere sind häufig darauf ausgerichtet, Begleitsymptome wie Depressivität, Unruhe, Schlafstörungen und aggressives Verhalten abzumildern oder die Denk- und Merkfähigkeit zu verbessern. Andere nichtmedikamentöse Ansätze versuchen, die Alltagskompetenz der Patienten zu stärken und Angehörige zu unterstützen: Menschen mit Alzheimer Demenz können hier beispielsweise lernen, gemeinsam mit ihren Betreuerinnen und Betreuern einen Tagesplan zu entwickeln.

Zu etlichen Behandlungskonzepten gibt es gar keine Studien

Um den langfristigen Nutzen nichtmedikamentöser Verfahren zu ermitteln, haben das IQWiG und seine externen Sachverständigen nach Studien mit einer Laufzeit von mindestens 4 Monaten gesucht. Identifiziert haben sie 33 Studien mit insgesamt 3.800 an Alzheimer Erkrankten. Diese Studien lassen sich zu 4 wesentlichen Behandlungsansätzen gruppieren: Angehörigentraining, emotionsorientierte Verfahren (Validation und Reminiszenztherapie), kognitive Verfahren und aktivierungsorientierte Verfahren (körperliche und psychosoziale Aktivierung). Zwar gibt es eine ganze Reihe weiterer Behandlungskonzepte, zu denen aber keine Studien verfügbar sind.

Keine der 33 Studien stellte den Vergleich mit vom IQWiG zu bewertenden medikamentösen Therapien an. Dabei handelt es sich um: Cholinesterasehemmer, ginkgohaltige Präparate sowie Memantine.

Die Berichtsqualität von 29 der 33 Studien musste das IQWiG als "mangelhaft" einstufen. Sie sind anfällig für Verzerrungen und die Daten sind nicht zuverlässig interpretierbar. Insgesamt ist der langfristige Nutzen der untersuchten Behandlungsansätze somit nicht belegt.

Angehörigentraining ist vergleichsweise gut untersucht

Relativ gut ist die Studienlage beim Angehörigentraining. Allein 17 der 33 Studien befassen sich mit diesem Verfahren. Hier fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Hinweise auf einen Nutzen und zwar sowohl im Hinblick auf begleitende Symptome wie Depressivität oder agitiertem Verhalten, als auch hinsichtlich der Lebensqualität der betreuenden Angehörigen. Es bleibt jedoch unklar, ob die statistisch signifikanten Unterschiede groß genug sind, um klinisch relevant, d. h. für die Betroffenen im Alltag von Bedeutung zu sein.

Durch das Angehörigentraining scheint sich auch die Unterbringung der Demenzkranken in einem Pflegeheim deutlich hinauszögern zu lassen. Allerdings könnte diese Behandlungsform auch Schäden verursachen: Patienten, deren Angehörige an einem Training teilgenommen hatten, wurden häufiger ins Krankenhaus eingewiesen oder in die Notfallambulanz aufgenommen.

Auch von kognitiven Verfahren können Patienten möglicherweise profitieren: Hier fand das Institut Hinweise, dass sich die Merkfähigkeit bei Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung leicht verbessert.

IQWiG hält Studien im deutschen Versorgungskontext für nötig

Angesichts dieser ernüchternd uneindeutigen Ergebnisse hält das Institut zusätzliche randomisierte kontrollierte Studien für unbedingt erforderlich. Diese Studien sollten mehrarmig sein, d. h. nicht nur zwei, sondern gleich mehrere Therapiealternativen vergleichen. Nach Auffassung der Expertinnen und Experten des IQWiG ließe sich nämlich nur so ein direkter und fairer Vergleich von nichtmedikamentösen und medikamentösen Behandlungsstrategien anstellen. Zudem sollten die Studien in Deutschland durchgeführt werden, da bei einigen nichtmedikamentösen Verfahren wie dem Angehörigentraining auch der nationale Versorgungskontext, d. h. die spezifische Organisation der Versorgung, eine wesentliche Rolle spielen dürfte.

"Wir haben ein wachsendes medizinisches und soziales Problem. Dass wir es mit Hilfe von Medikamenten in absehbarer Zeit lösen können, ist nicht zu erwarten. Es gibt nichtmedikamentöse Verfahren, die zumindest Potenzial zu haben scheinen, aber es gibt keine Studien, die das belegen könnten. Bei ihnen eine Ausnahme zu machen und sie ohne solche Belege breit einzusetzen und damit auch Risiken in Kauf zu nehmen, ist nicht zu rechtfertigen", erläutert Institutsleiter Prof. Dr. med. Peter T. Sawicki.

Methodische Anforderungen an Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren sind hoch

Laut IQWiG zeigt sich die generelle Problematik der Nutzenbewertungen von nichtmedikamentösen Verfahren bei der Alzheimer Demenz in besonders scharfer Form: Hier handelt es sich um komplexe Interventionen, bei denen beispielsweise die Interaktion zwischen Behandler und Patient eine größere Rolle spielen kann als bei Arzneimitteln. Umso höher sind die Anforderungen an Planung und Durchführung solcher Studien.

Was die Studienmethodik betrifft, hinken die nichtmedikamentösen Verfahren allerdings den Arzneimitteln weit hinterher. Ein wichtiger Grund für den Rückstand ist, dass es - anders als bei den Arzneimitteln - keine Behörden gibt, die über die geforderten Zulassungsstudien die Methodenentwicklung vorangetrieben hätten. Leider bestätigt auch der IQWiG-Bericht zur Alzheimer Demenz erneut dieses bekannte Defizit. Wenig erstaunlich für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG war deshalb, dass die methodische Qualität derjenigen Studien, an denen die Pharmaindustrie beteiligt war, vergleichsweise gut war.

Aktuelle Forschungsförderung könnte Wissenslücken schließen helfen

Womit das nächste zentrale Problem benannte wäre: Die Finanzierungsmöglichkeiten für klinische Forschung sind bei nichtmedikamentösen Verfahren generell deutlich schlechter als im Arzneimittelsektor. Zwar gibt es beispielsweise bei der Medizintechnik Hersteller, die Studien durchführen könnten. Allerdings fehlen vergleichbare Anreize und Zwänge in Form von Patenten und Zulassungsvoraussetzungen.

"Was uns in Deutschland fehlt, ist eine öffentliche, von der Industrie unabhängige Forschungsfinanzierung für Fragestellungen, die für die Behandlung der Patienten wichtig sind. Das macht sich bei den nichtmedikamentösen Therapieansätzen besonders schmerzlich bemerkbar", sagt Peter Sawicki. "Wir müssen für diese Art der Forschung endlich öffentliche Geldquellen erschließen."

Zumindest im Fall der Alzheimer Demenz könnte sich dieses Problem aber einer Lösung nähern: Das Bundesgesundheitsministerium hat Ende 2007 ein entsprechendes Forschungsförderungsprogramm aufgelegt. Das "Leuchtturmprojekt Demenzen" vergibt im Themenfeld "Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung" auch Gelder für die "systematische Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse". Gefördert werden dabei insbesondere auch randomisierte kontrollierte Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren, wie sie das IQWiG bei seiner Nutzenbewertung berücksichtigt hat.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG Anfang Juli 2008 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht Mitte Januar 2009 an den Auftraggeber versandt. Eine Dokumentation der schriftlichen Stellungnahmen sowie ein Wortprotokoll der mündlichen Erörterung werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert.

Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Abschlussberichts gibt folgende Kurzfassung:
http://www.iqwig.de/...
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