„Dass mit Steuergeldern finanzierte Universitäten ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, ist besonders unerfreulich“, kommentiert Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). „Überrascht hat uns der BMJ-Artikel aber nicht. Denn das Institut hat in der Vergangenheit schon mehrfach erlebt, dass Studienverantwortliche aus Universitäten Daten zurückhielten“, so Jürgen Windeler.
Transparenz bei Arzneimittel-Studien relativ hoch
Generell ist die Datentransparenz bei Medikamenten höher als bei Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren, bei denen häufig auch Medizinprodukte eingesetzt werden. Denn die erwähnte EU-Regulierung für Arzneimittel ist seit 2012 in Kraft. Für Medizinprodukte wurde eine vergleichbare Richtlinie erst 2017 beschlossen und wird ab 2020 greifen können.
In Deutschland müssen pharmazeutische Unternehmen seit 2011 überdies maßgebliche Daten über neue Wirkstoffe gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zur Verfügung stellen, die auch regelhaft publiziert werden können. Nach anfänglichem Widerstand haben sie sich mit diesen Anforderungen an die Transparenz arrangiert. Das korrespondiert mit dem BMJ-Befund, wonach elf große Studienverantwortliche aus der Pharmaindustrie alle Ergebnisse innerhalb der 1-Jahres-Frist in EUCTR eingespeist haben.
Studiengruppen an Unis halten Daten zurück
Regelkonformes Verhalten, sogenannte Compliance, lassen laut BMJ gerade die Universitäten bei Arzneimittelstudien vermissen. Darunter sind auch deutsche wie Berlin (Charité), Heidelberg und Köln (0%). Dagegen erreicht die britische Hochschule Dundee mit 82% die höchste Rate von Registereinträgen.
Beim IQWiG fallen universitäre Forschergruppen vor allem dann negativ auf, wenn es um Studien zu Medizinprodukten geht. Erst Ende August 2018 musste das Institut in seinem Vorbericht zur Vakuumversiegelungstherapie von Wunden feststellen, dass nicht nur ein Hersteller, sondern auch an Universitäten angesiedelte Studienverantwortliche die Anfragen des Instituts nur unvollständig beantworteten oder gar nicht reagierten.
Und das war kein Einzelfall: Für die Stammzelltransplantation bei Multiplem Myelom konnte das IQWiG keine Aussage zu Nutzen und Schaden treffen, weil drei große Studien auch über 10 Jahre nach ihrem Ende nicht vollständig veröffentlicht waren. Zwei dieser Studien standen unter deutscher Leitung (Unis Heidelberg und Würzburg). Dass es auch anders geht, zeigte 2016 eine Forschergruppe aus Australien: Sie stellte dem IQWiG alle individuellen Patientendaten einer Studie zur Verfügung. Diese ermöglichten Zusatzanalysen, die am Ende zu einem positiven Fazit der Nutzenbewertung führten (Hornhautvernetzung bei Keratokonus).
Druck auf Studienverantwortliche erhöhen
„Bei den sogenannten Investigator Initiated Trials (IITs) gibt es noch immer erhebliche Defizite bei der Datentransparenz“, sagt Jürgen Windeler. „Und es braucht wohl Sanktionen, um das zügig zu ändern.“ Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, dass Forschungsförderer entsprechende Auflagen machen. Sie sollten überprüfen, ob ein Antragsteller sein letztes gefördertes Projekt vollständig in das Register eingestellt hat und gegebenenfalls weitere Finanzierungen verweigern.
Weil Studien auch ohne Förderung durchgeführt werden, sollten zudem die Ethikkommissionen nachhalten, ob rechtliche Regelungen wie der Eintrag in das EU-Register befolgt werden. Denn Ethikkommissionen kennen alle Studien, die es in einer Region oder an einer Universität gibt.
Fehlende Transparenz verschlechtert Versorgung
Dass klinische Studien nicht registriert und ihre Ergebnisse nicht veröffentlicht werden, ist kein „Kavaliersdelikt“. Vielmehr werden hier ethische und wissenschaftliche Standards verletzt. Denn nur auf einer vollständigen Datenbasis lassen sich Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen richtig einschätzen. Und nur dann können sich Ärzte und Patienten für die bestmögliche Alternative entscheiden.