Im schlimmsten Fall droht Zahnverlust
Mit Parodontopathien bezeichnen Experten krankhafte Prozesse in der Umgebung des Zahns, dem sogenannten Parodontium. Dieses umfasst Zahnfleisch (Gingiva), Wurzelhaut, Wurzelzement und Zahnfächer (Alveolen), also jene Vertiefungen im Kieferknochen, in denen der Zahn mit der Zahnwurzel steckt und in Position gehalten wird.
Bei der Parodontitis, einer der häufigsten Parodontopathien, handelt es sich um durch Bakterien hervorgerufene Entzündungen, die z. B. im Zahnfleisch entstehen, wenn sich Essensreste beim Zähneputzen nicht aus den Zahnfleischtaschen entfernen lassen. Ohne Behandlung können zunächst Blutungen und Eiterungen auftreten. Langfristig kann sich der Zahnhalteapparat abbauen, wodurch sich Zähne erst lockern und dann ausfallen können.
Die Parodontitis tritt häufig auf: Schätzungen zufolge leiden in Deutschland beispielsweise gut 53 Prozent der 35- bis 44-Jährigen an einer mittelschweren Form.
Therapieansätze sind vielfältig
Inzwischen gibt es eine breite Vielfalt von Therapieansätzen. Neben mechanischen und chirurgischen Verfahren werden u. a. Antibiotika, Lasertherapie, fotodynamische Verfahren oder Air-Polishing-Systeme eingesetzt. Dabei werden die Zahnfleischtaschen gereinigt, die Wurzeloberflächen geglättet und Bakterien abgetötet oder entfernt.
Nicht alle diese Verfahren werden derzeit von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Und für die Erstattung ist Voraussetzung, dass die Patientinnen und Patienten aktiv mitarbeiten, d. h. ihre Mundhygiene verbessern (Zähneputzen, Verwendung von Zahnseide usw.).
Mehr Studienergebnisse verwertbar
In den Abschlussbericht konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum einen zusätzliche randomisierte kontrollierte Studien (RCT) einbeziehen. Zum anderen konnten sie Daten aus bereits eingeschlossenen Studien erstmals verwerten.
Möglich war das aus zwei Gründen: Bei der Recherche zum Vorbericht hatte das IQWiG eine ganze Reihe von Studien identifiziert, die die passende Fragestellung untersuchten. Allerdings waren die Ergebnisse in der Art, wie sie in den Publikationen dargestellt waren, bei vielen Studien nicht für die Nutzenbewertung verwertbar. Für den Abschlussbericht konnte das nachträglich korrigiert werden. Grundlage dafür war ein bestimmter statistischer Faktor, den ein Team der Universität Greifswald eigens für diesen Zweck aus einer seiner epidemiologischen Studien berechnete.
Auswertung der Daten zum Attachmentlevel nun möglich
In der mündlichen Erörterung konnten sich Institut und externe Fachleute zudem darauf verständigen, wo die Schwelle liegt, ab der ein Behandlungseffekt als gesundheitlich relevant einzuschätzen ist. Dieser Schwellenwert erlaubte es, Ergebnisse aus einer großen Zahl weiterer Studien zum Endpunkt Attachmentlevel einzubeziehen. Unter Attachment versteht man die „Anheftung“, die den Zahn im Kiefer verankert. Der Attachmentlevel gibt an, in welchem Ausmaß der Zahnhalteapparat erhalten oder zerstört ist.
Relevante Unterschiede bei sechs Behandlungsarten
Aussagekräftige Studiendaten, die gesundheitlich relevante Unterschiede in den Behandlungsergebnissen zeigen, gibt es nun zu insgesamt sechs Therapieansätzen, beim Vorbericht waren es nur zwei gewesen. Und bei diesen beiden hatte das Institut jeweils einen Anhaltspunkt ableiten können, was besagt, dass die Aussagesicherheit relativ niedrig ist. Im Abschlussbericht bescheinigt das IQWiG dagegen vier Therapien einen Anhaltspunkt, zwei weiteren sogar einen Hinweis auf einen (höheren) Nutzen.
Konnte zunächst fast ausschließlich der Endpunkt Gingivitis, also Zahnfleischentzündung, beurteilt werden, ist das nun auch für alle Studien beim Attachmentlevel möglich.
GMT: Hinweis statt Anhaltspunkt für Nutzen
Verbessert hat sich das Bewertungsergebnis insbesondere bei der geschlossenen mechanischen Therapie (GMT) im Vergleich zu keiner Behandlung. Bei der GMT werden Zahnstein und Bakterien mit geeigneten Instrumenten aus den Zahnfleischtaschen entfernt und die Wurzeloberflächen geglättet. Hier sieht das IQWiG angesichts des höheren Attachmentgewinns nun einen Hinweis auf einen Nutzen, im Vorbericht war es noch ein Anhaltspunkt gewesen.
Kombiniert mit einer systemischen Antibiotikatherapie, sind die Behandlungsergebnisse besser als bei einer alleinigen GMT. Auch hier ist das Attachmentlevel ausschlaggebend für den Hinweis auf einen höheren Nutzen. Bei lokal verabreichten Antibiotika sind dagegen keine Unterschiede zwischen den Studienarmen erkennbar.
Chirurgische Maßnahmen ohne Vorteil
Jeweils einen Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen lassen vier weitere Vergleiche erkennen, wobei Laserbehandlung und ein spezielles fotodynamisches Verfahren sowie Mundhygiene-Schulungen zum Einsatz kommen, meist zusätzlich zur GMT.
Lediglich bei der chirurgischen Taschenelimination (CTE) manifestiert sich in den Studienergebnissen ein Nachteil (geringerer Nutzen) der Behandlung. Das gilt für die Kombination mit der GMT gegenüber der GMT allein.
Weiterhin kaum Daten zu Zahnverlust oder Nebenwirkungen
Auch die neu verfügbaren Daten, aus denen sich Aussagen zu Nutzen oder Schaden ableiten lassen, beziehen sich ausschließlich auf „Gingivitis“ und „Attachmentlevel“. Zu wichtigen anderen Kriterien, wie etwa Zahnverlust, Nebenwirkungen der Behandlung oder Lebensqualität enthalten die Studien nur vereinzelte Angaben.
Und weiterhin gibt es keine Evidenz zur strukturierten Nachsorge in Form von Unterweisungen zur Mundhygiene und einer regelmäßigen instrumentellen Reinigung. Für 2018 ist jedoch die Publikation einer wahrscheinlich maßgeblichen, mit über 1800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch relativ großen Studie angekündigt (IQuaD). Das Institut könnte dann diese Daten ergänzend bewerten.
Stellungnahmeverfahren konstruktiv genutzt
„Unsere Appelle zeigten zu unserer Freude Wirkung: Studienautorinnen und andere Wissenschaftler haben das Stellungnahmeverfahren genutzt, um ihre Expertise konstruktiv einzubringen“, erklärt Martina Lietz, Zahnärztin und Projektleiterin des Berichts im Ressort Nichtmedikamentöse Verfahren. „Wir begrüßen diese Kooperation. Die zunächst sehr harsche Kritik an unserem Vorbericht ließ das nicht unbedingt erwarten“, so Martina Lietz. „Die Evidenz ist nun insgesamt besser, wenn auch bei Weitem noch nicht ausreichend.“
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im Januar 2017 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im März 2018 an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.