Das vorläufige Ergebnis: Was Unterarm und Ellenbogen angeht, sind die Vorteile der Ultraschalluntersuchung deutlich – hier erkennt sie Knochenbrüche verlässlich und kann bisherige Verfahren mit Strahlenbelastung in vielen Fällen ersetzen. Dabei bietet die Fraktursonografie auch praktische Vorteile für die Betroffenen: Sie ist weniger schmerzhaft und erleichtert oft die Untersuchungssituation für alle Beteiligten. Bei vermuteten Brüchen am Oberarm ist die Datenlage weniger gut; hier empfiehlt das IQWiG die Durchführung einer Erprobungsstudie und skizziert Eckpunkte für eine solche.
Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 20.09.2023.
Häufige Knochenbrüche und erhöhtes Strahlenrisiko bei Kindern
Verletzungen des Bewegungsapparats kommen bei Kindern im Alter von 0-14 Jahren häufig vor. Etwa 80 Prozent der Knochenbrüche betreffen die oberen Extremitäten und hier vor allem den Unterarm am Handgelenk. Einer der häufigsten Gründe für oft notfallmäßige medizinische Behandlungen bei Kindern ist ein Verdacht auf Knochenbruch. Routinemäßig wird dann zunächst eine Röntgenuntersuchung durchgeführt mit vergleichsweise niedrigen Strahlendosen. Kinder sind jedoch strahlenempfindlicher als Erwachsene und Knochenbrüche kommen bei ihnen häufiger vor. Ihr Risiko für mehrere Röntgenuntersuchungen im Laufe der Zeit ist somit höher und damit auch für die Strahlenbelastung insgesamt.
Kinder mit Verdacht auf Knochenbruch haben zudem in der Regel große Schmerzen, oft noch Angst nach dem Sturz und vor der ungewohnten Untersuchungssituation. Bei der Diagnose von Knochenbrüchen kommt es deshalb auf verlässliche Ergebnisse bei möglichst geringer Belastung der Betroffenen an.
Aufgrund technischer Weiterentwicklung und damit einhergehender wachsender Genauigkeit kommt die Sonografie mittlerweile stärker zum Einsatz, was sich unter anderem in Behandlungsleitlinien und im Alltag in medizinischen Notaufnahmen widerspiegelt: Fast ein Viertel aller Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wenden bei Verdacht auf Knochenbruch bei Kindern bereits die Fraktursonografie an. Denn neben dem Vermeiden von Strahlenbelastung bietet sie praktische Vorteile: Mit dem Schallkopf lässt sich die Extremität in einer schmerzarmen Entlastungshaltung umfahren. Im Gegensatz zur Röntgenuntersuchung können die Kinder bei der Ultraschalluntersuchung außerdem auf dem Schoß der Eltern sitzen bleiben. Eine anschließende Röntgenuntersuchung ist in der Regel nur notwendig, falls sich im Ultraschall ein Knochenbruch zeigt oder das Ultraschallergebnis nicht eindeutig ist.
Unterarm und Ellenbogen: Verlässlicher Frakturausschluss ohne Strahlenbelastung
Für die Bewertung der Fraktursonografie genügen bereits Ergebnisse aus sogenannten Testgütestudien. In solchen Studien erhalten alle Kinder sowohl Ultraschall- als auch Röntgendiagnostik, um die Testergebnisse direkt miteinander vergleichen zu können. Die Metaanalyse aller Daten aus den 28 vorliegenden Studien zeigt eine Treffergenauigkeit (Sensitivität) der Fraktursonografie an Unterarm und Ellenbogen im Vergleich zur Röntgendiagnostik von etwa 95 Prozent. Demnach würde bei 19 von 20 Kindern ein Knochenbruch initial richtig erkannt. Dass umgekehrt bei 1 von 20 Kindern mit Knochenbruch die Fraktur übersehen würde, erscheint medizinisch vertretbar, weil es sich um einfache Brüche handelt, die nur äußerst selten Komplikationen verursachen und in der Regel spätestens nach wenigen Tagen wegen Symptomen doch diagnostiziert werden. Da etwa die Hälfte aller Kinder mit Frakturverdacht erfahrungsgemäß keine Fraktur haben, entfiele bei etwa jedem zweiten Kind die Belastung durch Röntgenstrahlung. Im Vergleich zur üblichen Röntgendiagnostik sieht das IQWiG daher insgesamt einen Hinweis auf einen höheren Nutzen der Fraktursonografie zur Diagnostik von Brüchen am Unterarm oder am Ellenbogen.
Über diese Nutzenbewertung hinaus sind auch die praktischen Vorteile der Fraktursonografie für die Beteiligten relevant – für die betroffenen Kinder und Begleitpersonen sowie das medizinische Fachpersonal, das die Untersuchung durchführt. Dies bestätigte sich in den Gesprächen mit Betroffenen, die das IQWiG auch für diese Bewertung durchgeführt hat. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts führen regelmäßig solche Betroffenengespräche, um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie Patientinnen und Patienten oder ihre Angehörigen die Erkrankung erleben, welche Erfahrungen sie gemacht haben und was sie sich von einer Behandlung wünschen.
Datenlage zu Brüchen am Oberarm noch zu dünn
Die Studiendaten zur Testgüte von Ultraschalldiagnostik bei Brüchen am Oberarm sind wegen der zu geringen Anzahl von untersuchten Kindern zwar unzureichend, um einen Nutzenhinweis zu formulieren. Allerdings lässt sich aus ihnen ein Potenzial für die Sonografie als Alternative zur Röntgendiagnostik ableiten. Deshalb hat das IQWiG in seinem Vorbericht Eckpunkte für eine mögliche Erprobungsstudie skizziert, in der die Fraktursonografie am Oberarm gegenüber der Röntgendiagnostik verglichen werden sollte. Auch dafür wäre es ausreichend, eine hohe Sensitivität nachzuweisen, nämlich dass mithilfe der Fraktursonografie Knochenbrüche verlässlich festgestellt und damit die konventionelle Röntgendiagnostik (und die damit verbundenen Nachteile) vermieden werden kann.
Zum Ablauf der Berichterstellung
Den Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im März 2023 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 20.09.2023 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.