In Deutschland liegt die Zahl bisher bestätigter COVID-19-Fälle bei über 3,7 Millionen; es wurden mehr als 91.000 Todesfälle registriert (Weltgesundheitsorganisation, Stand: 15. Juli 2021)[2]. Über diese Fakten hinaus gibt es jedoch noch viel Bedarf an weiteren epidemiologischen Erkenntnissen, z.B. zu Krankheitsverläufen und -dauer oder auch zu Co-Faktoren bei der SARS-COV-2-Erkrankung. Zukünftige Forschung sollte daher darauf abzielen, die Epidemiologie und die Folgen von COVID-19 hierzulande detaillierter zu charakterisieren.
Post-COVID-Syndrom als Risiko für Arbeitsfähigkeit
Symptome der COVID-19-Erkrankung sind u.a. Fieber, Husten, Dyspnoe, Unwohlsein und Müdigkeit. Bei einem erheblichen Anteil der COVID-19-Patienten können die Symptome länger als drei Wochen anhalten. Dieses Fortbestehen der Symptome wird als Post-COVID-Syndrom bezeichnet. Schätzungen zufolge werden zwischen 10 % und 35 % der Patienten ein Post-COVID-Syndrom entwickeln, wobei Müdigkeit das häufigste Symptom darstellt. Zusammen mit weiteren Merkmalen wie z.B. einer schlechten körperlichen Verfassung oder psychischen Beeinträchtigungen kann die Arbeitsfähigkeit von Patienten im erwerbsfähigen Alter negativ beeinflusst werden. Trotz Kenntnis dieser Sachlage weiß man bisher wenig über langfristige COVID-19-Krankheitsausfälle und welche Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet sind.
Vor diesem Hintergrund zielte die hier zu berichtende Studie darauf ab, die Prävalenz und Faktoren zu untersuchen, die mit langfristigen COVID-19-Krankschreibungen bei Patienten im erwerbsfähigen Alter assoziiert sind. Die Studie basiert auf Daten aus der retrospektiven Datenbank Disease Analyzer[3], die anonymisierte demografische, Diagnose- und Verordnungsdaten enthält, die in Allgemein- und Facharztpraxen in Deutschland erhoben wurden. Einbezogen wurden 30.950 GKV-versicherte Patienten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, bei denen zwischen März 2020 und Februar 2021 in einer von 1.255 Hausarztpraxen in Deutschland die Diagnose COVID-19 gestellt wurde. Da es keinen klaren Konsens über die Definition von Langzeitkrankenstand gibt, wurde für den Zweck der Studie eine Dauer von mindestens vier Wochen festgelegt.
Ergebnisse: Prävalenz und Risikofaktoren ermittelt
Ein zentrales Ergebnis der Querschnittsstudie besteht darin, dass 5,8 % der rund 31.000 Patienten zwischen März 2020 und Februar 2021 langfristig krankgeschrieben waren. Im Blick auf demografische und klinische Merkmale stellte sich heraus, dass weibliches Geschlecht, höheres Alter und mehrere Erkrankungen positiv und signifikant mit dem Risiko einer langfristigen Krankschreibung assoziiert waren (Abb. 1 zum Herunterladen). Die Studienpopulation war nach Geschlecht nahezu hälftig verteilt (51,7 % weiblich, 48,3 % männlich), das mittlere Alter lag bei knapp 42 Jahren. Dabei waren Frauen häufiger langfristig krankgeschrieben als Männer und auch anhaltende Müdigkeit nach COVID-19 war bei ihnen häufiger festzustellen; dies könnte aus Sicht der Forscher erklären, warum die Prävalenz von Langzeitkrankenständen bei Frauen höher war als bei Männern.
Bedeutsam ist der positive Zusammenhang zwischen höherem Alter und Langzeitkrankenstand nach Auffassung der Autoren, weil bei älteren Erwachsenen ein höheres Risiko für verschiedene Komplikationen besteht und die Rückkehr an den Arbeitsplatz bei dieser Patientengruppe daher schwieriger sein könnte als bei Jüngeren.
Dass mehrere Erkrankungen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Langzeitkrankenständen einhergehen, erklärt Prof. Dr. Karel Kostev, Forschungsleiter bei IQVIA, wie folgt: „Da nicht-infektiöse Enteritis und Colitis, atopische Dermatitis, Mononeuropathien und Refluxerkrankungen mit immunologischen Dysregulationen einhergehen und einige dieser Erkrankungen Immuntherapien erfordern, können Patienten mit diesen Erkrankungen eine gestörte immunologische Reaktion zeigen, wenn sie einem Erreger ausgesetzt sind. Daraus folgt, dass sie ein besonderes Risiko für schwere COVID-19 und COVID-19-Komplikationen haben. Es gibt außerdem Hinweise in der Forschung, dass sowohl Diabetes mellitus als auch Bluthochdruck mit schwerer COVID-19 und damit verbundenen Komplikationen assoziiert sind. Das deutet darauf hin, dass diese Erkrankungen nach der Diagnose von COVID-19 langanhaltende Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben könnten. Was die von uns gefundene signifikante Assoziation zwischen der Reaktion auf schweren Stress und Anpassungsstörungen und langfristigen Krankschreibungen angeht, so könnten Personen mit dieser psychischen Erkrankung größere Schwierigkeiten haben, sich an die Diagnose COVID-19 anzupassen als die Allgemeinbevölkerung. Das könnte zu einer verzögerten Rückkehr an den Arbeitsplatz nach der akuten Phase der Erkrankung führen.“
Was legen die Ergebnisse der Studie für die öffentliche Gesundheit und für zukünftige Forschung nahe? Dazu Prof. Kostev: „Zum einen sollten Barrieren für die Rückkehr an den Arbeitsplatz bei langzeiterkrankten Personen identifiziert und Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens zur Reduzierung dieser Barrieren umgesetzt werden, z.B. über Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Zum anderen sollte zukünftige Forschung Langzeitkrankenstände bei Erwachsenen mit COVID-19 in verschiedenen anderen Settings und Ländern untersuchen. Insgesamt braucht es weitere Studien, um besser zu verstehen, welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit eines Langzeitkrankenstandes signifikant beeinflussen.“
[1] International Journal of Infectious Diseases, available online on 2 July 2021: https://www.sciencedirect.com/...
[2] https://covid19.who.int/...
[3] Disease Analyzer ist eine Datenbank von IQVIA, die anonymisierte Therapie- und Behandlungsverläufe zeigt. Dadurch lassen sich Krankheits- und Therapieverläufe über viele Jahre darstellen. Disease Analyzer beruht auf einer repräsentativen Stichprobe und deckt ca. 3 % aller allgemeinmedizinischen und internistischen Hausarztpraxen in Deutschland ab.