Die Bremer Grundschullehrkräfte feierten in diesem Jahr schon am 24. August Weihnachten – oder zumindest muss es sich so angefühlt haben, denn an diesem Tag erhielten sie von ihrer Bildungssenatorin Bogedan ein eigenes iPad geschenkt. Na gut: Formal war es eine Leihgabe. In den kommenden Wochen werden alle Lehrkräfte und Referendare in Bremen ein Dienst-iPad erhalten, insgesamt rund 8.000. Damit sind sie die ersten Lehrkräfte in ganz Deutschland, die landesweit für die Ausübung ihres Berufes ein digitales Endgerät erhalten. Aber damit nicht genug: auch alle rund 90.000 Schüler*innen erhalten in diesen Wochen ein Tablet und müssen nicht mehr auf eigene Geräte zurückgreifen. Das ist doppelt nützlich: Zum einen arbeiten alle mit derselben Technik, Kompatibilität, Aktualität und Programmausstattung oder auch rechtliche Fragen sind gesichert. Und: Unabhängig vom familiären Hintergrund sind nun alle Schüler*innen zumindest technisch gleich ausgestattet. Die Kinder aus sozial schwachen Familien ohne eigenes Gerät werden zuerst versorgt. „Diese Kinder haben jetzt viel bessere Chancen, selbständig die Welt zu entdecken und zu lernen“, freut sich Florian Benner, Englisch-, Sport- und Medienlehrer am Gymnasium Habenhausen, sieht aber auch die Verpflichtung: „Es liegt jetzt an uns Lehrkräften, ihnen beizubringen, wie man mit der Technik gewinnbringend umgeht.“
Der Bremer Weg: iPads für alle, LMS verpflichtend, Qualifizierung intensiviert
Und weil die Lehrkräfte eine so wichtige Rolle spielen, bekommen auch zuerst diejenigen ihre Tablets, die bislang noch kaum Erfahrung mit digitalen Unterrichtsmethoden gesammelt haben. Und die gibt es auch in Bremen. Dabei hat das Land schon vor 5 Jahren flächendeckend das Lernmanagementsystem (LMS) itslearning eingeführt und über sein Landesinstitut die Anwendung intensiv begleitet und betreut. Doch bislang blieb die Nutzung auch deswegen freiwillig, weil Schüler*innen und Lehrkräfte ihre ganz unterschiedlich ausgestatteten, privaten Geräte nutzen mussten und eine barrierefreie Nutzung nicht gesichert war.
Deshalb hat die Senatorin nun an ihre Gabe eine Bedingung und ein Angebot geknüpft.
Die Bedingung: Ab sofort sind alle Schulen verpflichtet, das vom Land angeschaffte LMS zu verwenden – sei es für die Organisation oder Kommunikation, vor allem aber für die pädagogische Arbeit im Unterricht. Personalrätin Angelika Hanauer erzählt: „Mit der Anschaffung der iPads waren wir zu diesem Zugeständnis bereit. Die reguläre Nutzung von itslearning an Bremens Schulen im großen Stil kommt also erst noch.“ Der Vorteil: Es gibt bereits eine Dienstvereinbarung zur Nutzung des LMS, die jetzt nur aktualisiert werden muss. Hanauer freut sich über die Entwicklung, stellt aber auch nüchtern fest: „Ohne Corona-Pandemie würden wir immer noch auf die Geräte warten, obwohl wir das schon seit Jahren gefordert haben.“ Im Lockdown habe sich immerhin bewährt, dass Bremen schon ein landesweit eingespieltes LMS hat.
Das Angebot: Schon seit März wurden Online-Fortbildungen, Web-Seminare und Online-Tutorials für die Lehrkräfte massiv ausgeweitet; mit den mobilen Endgeräten werden die Qualifizierungsangebote nun weiter ausgebaut. Ziel sei es, neben den „grundlegenden Bedienkompetenz“ vor allem „informatische und medienpädagogische Kompetenzen“ sowie „didaktische Fähigkeiten des Präsenz- und Distanzlernens mit mobilen Endgeräten“ zu vermitteln, teilt ihre Behörde mit. Und auch zusätzliches Personal für den technischen Support wird es geben. Die Entscheidung ist für die iPads gefallen, weil diese laut der IT-Experten des Landes besser administriert werden können, langlebig sind, zentrale Steuerung (kein Virenschutz) ermöglichen und mit Apple-TV auch Verbindung zu Beamer und Fernseher erlauben. „Wir würden uns aber wünschen, dass Lehrkräfte in Zukunft selbst entscheiden können, ob sie eine iPad oder Laptop haben wollen“, sagt Hanauer.
Die Personalrätin lobt die Pläne der Bremer Senatorin ausdrücklich, fordert aber jetzt von allen Beteiligten: „Wir brauchen eine breite medienpädagogische Debatte. Was verstehen wir eigentlich unter Digitalisierung, wann wollen wir welche Kinder an welche Medien heranführen.“ Das Ergebnis soll sich dann in den Bildungsplänen des Landes niederschlagen, und die Schulen müssten die konkrete Umsetzung entlang ihrer besonderen Rahmenbedingungen übernehmen.
Wunsch ans Land: Eigene IT-Beauftragte für den technischen Support
Ihr Kollege Benner stellt noch eine andere Forderung: „Wir brauchen an jeder Schule einen professionellen IT-Beauftragten, denn den technischen Support können Schulleiter und Lehrkräfte allein nicht mehr leisten.“ Und er macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die zusätzlichen rund 90.000 iPads werden das Netz der Stadt stark belasten, so dass eine flächendeckende WLAN-Abdeckung sichergestellt werden muss – erst recht, wenn die Geräte eben nicht nur an den Schulen, sondern auch zuhause verwendet werden. Und das ist ja ausdrücklich erwünscht. „Wir haben die Dienstanweisung, unsere Unterrichtsplanung ab sofort zweigleisig zu fahren“, sagt Benner, denn die digitalen Lehr- und Lernformate sollen ja nicht nur für den denkbaren nächsten Lockdown wappnen, sondern vor allem darüber hinaus in Unterricht und Schule zur Regel werden. Benner freut sich darauf, denn er ist sich sicher: „Die Versorgung aller Kinder und Lehrkräfte mit digitalen Endgeräten und die flächendeckende Nutzung von itslearning (wobei: ohne die Verpflichtung würde keine Dynamik in Bremen entstehen) das Lern-Niveau in Bremen gewaltig heben wird“.
Dabei ist Benner nicht blauäugig, sondern weiß: „Der Weg dahin ist noch lang“. Und er ist nah dran. Als Pilotschule für Bremen kümmert sich das Gymnasium Habenhausen für das gesamte Land um technische Fragen und regt Weiterentwicklungen an. „Ein LMS ist nie fertig, es gibt immer neue Anforderungen und individuelle Bedarfe“, erklärt Benner. Für die Macher von itslearning ist er deswegen wichtige Referenz für die Weiterentwicklung des LMS. Datenschutzkonforme Endprogramme sind gerade so ein Thema auf Benners Wunschliste.
Wunsch an Anbieter: Interface mit weniger Text und mehr Grafik
Aber sein „größter Wunsch“ ist zurzeit, das Interface insgesamt mit weniger Text und mehr grafischen Elementen zu gestalten, denn „gerade lernschwachen und inklusiven Schüler*innen, die wir ja auch im Regelbetrieb versorgen wollen, würde man damit sehr helfen“. Aber auch die anderen Anwender würden davon profitieren – nicht zuletzt Lehrkräfte, die gerade erst einsteigen.
Und noch etwas ist Benner wichtig: die Nachhaltigkeit. „Was ist mit denen, die im kommenden Jahr in die Schule kommen, und was geschieht, wenn die Geräte veraltet sind“, fragt er. Die Endgeräte werden in seinen Augen nur dann ihren positiven Effekt entfalten, wenn Anschaffung und Betrieb – wie itslearning – zukünftig im Budget der Bremer Bildungsbehörde fest eingeplant sind.
Mecklenburg-Vorpommern: landesweite LMS und Medienberater
Das Thema Nachhaltigkeit liegt auch den Kolleg*innen in Mecklenburg-Vorpommern am Herzen – um nicht zu sagen: auf dem Magen. Kernproblem und Lösung sehen sie allerdings an einer anderen Stelle: der WLAN-Versorgung. Beate Brindle, Schulleiterin an der Ostseeschule Wismar, begrüßt ausdrücklich die landesweite Einführung von itslearning im Mai dieses Jahres, aber die Reihenfolge habe nicht gestimmt: „Wenn die Infrastruktur nicht steht, können wir mit einem LMS nicht viel anfangen“. An ihrer Schule habe man schon sehr frühzeitig ein umfassendes Medienkonzept erstellt, alle Kolleg*innen würden sehr gerne noch differenzierter mit den digitalen Lehrmethoden unterrichten, itslearning biete tolle Möglichkeiten, „aber dafür brauche ich Saft“, stellt Brendle nüchtern fest.
Im Lockdown haben die Wismarer die Defizite deutlich gespürt, denn die Kinder verfügten über ganz unterschiedliche Geräte und WLAN-Versorgung. Dabei arbeitet die Ostseeschule schon seit einigen Jahren mit itslearning, so dass die Schüler*innen durchaus gewöhnt sind, ihre Aufgaben digital zu erhalten oder zu bearbeiten. Die Potenziale des LMS konnten aber schon vor Corona nur sehr eingeschränkt genutzt werden, weil das Web an der Schule häufig zusammenbricht und auch in den Elternhäusern nicht überall verfügbar ist – im ländlichen Raum um Wismar schon gar nicht. So bildete das Kollegium im Lockdown bspw. ein „Technikerteam“, das die Aufgaben in pdf umwandelte, die die Kinder ohne digitale Anbindung dann abschreiben, ausdrucken oder auch abholen mussten. „Internet ist heute wie Strom und Wasser,“ erklärt Brindle, „den Rest kriegen wir pädagogisch hin“.
Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit am wichtigsten
Die Lösung liegt für sie daher auch nicht zwingend in der landesweiten Versorgung mit digitalen Endgeräten wie in Bremen. „An unserer Schule sind wir der Meinung, dass wir so unabhängig wie möglich sein wollen. BYOD ist die Zukunft“, erklärt Brindle. Selbst ein landesweit einheitliches LMS hält die Schulleiterin nicht für erforderlich. Systeme und Geräte sollten kompatibel sein, und da sie sich ständig weiterentwickeln oder auch verschleißen, sollte man sich nicht unnötig an bestimmte Firmen und Verfahren binden. „Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Wir bekommen nicht nochmal viele Millionen,“ erklärt Brindle.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit erstreckt sich bei den Wismarern auch auf Konzepte seitens des Landes: „Ich bin nicht für zentrale Vorgaben. Besser ist, dies individuell und intern zu organisieren“, findet Brindle. Sie bevorzugt digitale Fortbildungsangebote, mit denen Lehrkräfte in ihrem eigenen Tempo arbeiten können oder auch Mikro-Fortbildungen aus der Schule heraus, „das funktioniert besser, etwa weil es weniger Scham bei Nichtkönnen gibt“. Auch von zeitlichen Meilensteinen hält Brindle nichts, weil die Ausgangslage an den Schulen ganz unterschiedlich sei.
Nur dies: Eine Hotline für pädagogisch-didaktische Fragen und Technisches Personal
Bei aller Unabhängigkeit hat die Wismarer Schulleiterin aber doch einen (dringenden) Wunsch an ihren Schulträger: Eine Hotline, bei der Lehrkräfte sofort eine Antwort auf pädagogisch-didaktische Fragen zur Anwendung des LMS bekommen. Und sie wünscht sich technisches Personal, damit die Lehrkräfte, die das momentan tun, sich (wieder) den medienpädagogischen Fragen widmen können, für die ja eigentlich ihre Anrechnungsstunden vorgesehen sind.
„Lehrkräfte können und sollten das nicht machen“, ist auch ihr Kollege Torsten Schwarz überzeugt. Es wäre schön, wenn das Beispiel seiner Schule die Runde machen würde. Schwarz ist Schulleiter am Eldenburg-Gymnasium in Lübz, und er ist heilfroh, dass sie schon seit einigen Jahren einen externen Dienstleister haben, der die gesamte Infrastruktur einschließlich der technischen Geräte betreut. Über ein Ticketsystem ist sichergestellt, dass Fragen innerhalb kürzester Zeit beantwortet und bearbeitet werden können. „Das ist ideal, dass das aus der Schule herausgelagert ist“, findet er.
Schwarz hat Glück, denn sein Schulträger in Ludwigslust-Parchim engagiert sich seit Jahren für die Digitalisierung seiner Schulen – und hat das Gymnasium Eldenburg, das Schwarz leitet, zur Pilotschule ausgewählt. Vor 6 Jahren hat er gemeinsam mit den Schulen ein Konzept erarbeitet „und das LMS ist dabei nur ein Baustein“, betont Schwarz. „Vorbildlich“ habe der Schulträger die technische Infrastruktur eingebracht: Es gibt einen zentralen sowie einen datenschutzkonformen virtuellen Server, fast alle Räume sind „toll ausgestattet“ mit digitalen Tafeln, es gibt Rechnerräume und flächendeckendes WLAN. Gemeinsam mit dem Unternehmen itslearning hat man sich dann auf eine Grundstruktur geeinigt und die Schule im LMS 1:1 in einem einheitlichen Layout abgebildet. Und dann gab es natürlich weitere Schritte wie den Datentransfer aus bisherigen Systemen, aber dann auch Kolleg*innen mitnehmen, im Unterricht ausprobieren, Anpassungen vornehmen. Vor 1,5 Jahren gab es dann schließlich den Kick-off für den Einsatz im Unterricht.
Für die digitale Lehre mehr pädagogisches Können denn je gefragt; itslearning hilft dabei.
„Wir haben viel gelernt und wir lernen immer noch jeden Tag“, sagt Schwarz. So wie er es sagt, klingt es nach Arbeit, aber auch nach Spaß und Erfolg. Für ihn steht fest: „Wenn die Grundsätze guten Unterrichts nicht stimmen, dann nutzt auch ein LMS nichts. Und auch 50 tolle Tools reichen nicht, wenn man sie nicht für den Unterricht passgenau einsetzt“. Schwarz glaubt sogar, dass die Arbeit mit einem LMS eher noch mehr pädagogische Fähigkeiten erfordert als der bisherige analoge Präsenzunterricht und nennt Beispiele:
- Genauer auf die Lernvoraussetzungen in der Familie schauen, wenn Aufgaben digital zu erledigen sind
- Aufgaben präziser stellen, weil Mimik oder Aufmerksamkeit nicht sichtbar sind
- mehr selbstorganisiertes Arbeiten ermöglichen
- nicht nur die Inhalte, sondern auch die Wirksamkeit stärker im Blick haben.
Während der Corona-Phase konnte man besonders gut sehen, was in den Distanzphasen wichtig ist – „und die werden wir ja im zukünftigen hybriden Unterricht viel häufiger haben“, sagt Schwarz. Mehr Klarheit auf beiden Seiten, Kommunikation auf anderen Ebenen, neue Verbindlichkeiten und mehr Eigenverantwortung bei den Schüler*innen. „Uns hat in den Corona-Zeiten geholfen, dass wir im Unterricht schon lange auf eigenständiges kooperatives lernen und eine ausgeprägte Feedback-Kultur gesetzt haben“, berichtet Schwarz. Am wichtigsten war und wird auch in Zukunft sein, die Lernenden nicht allein zu lassen. Regelmäßiges Feedback, klare Strukturen und Freiräume gewähren – darauf kommt es für Schwarz an. „Auf diesem Weg kann Itslearning sehr schön helfen“, findet Schwarz aufgrund seiner Erfahrung mit dem LMS.
Mehr Zeit für die Umsetzung und Zusammenspiel aller Akteure erforderlich
Einen Wunsch hat auch Schwarz, und den haben zurzeit wohl alle Schulleiter und Lehrkräfte in Deutschland: Mehr Zeit für konzeptionelles Arbeiten. Es seien jetzt Konzepte gefragt, die eine pädagogisch fundierte Umsetzung neuer Lern- und Lehrformate mithilfe digitaler Methoden ermöglichen und zugleich in der Lage sind, die anstehenden großen und notwendigen Änderungsprozesse zu bewältigen. Diese Konzepte erfordern in den Augen des Schulleiters aus Lübz Zeit für den Austausch untereinander, Zeit für das Einüben von Verfahren und für das Ausprobieren neuer Ideen. Der Schlüssel ist in seinen Augen ein gutes Zusammenspiel zwischen Ministerium, Schulträger, Schule und Lehrkräften: „Wenn ein Glied fehlt wird es schwierig“.