Naturheilkunde und Komplementärmedizin als Bestandteil der medizinischen Regelversorgung. Das wünschen sich viele Menschen und fragen ihren behandelnden Arzt nach Möglichkeiten, entsprechende Verfahren in ihre Behandlung zu integrieren. Solange aber naturheilkundliche und komplementärmedizinische Inhalte nicht in den medizinischen Leitlinien präsent sind, nach denen sich die Ärzte richten, wird es in den meisten Fällen nur bei dem Wunsch bleiben können. Doch an der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin an den KEM engagiert sich Prof. Dr. Jost Langhorst, Leiter des Zentrums für Integrative Gastroenterologie, seit einigen Jahren für die Einbettung komplementärmedizinischer Inhalte in medizinische Leitlinien - dieses zeigt zunehmend Erfolg und kann jetzt mithilfe der Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung wesentlich ausgebaut werden.
Von April 2012 bis Dezember 2016 fördert die Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung die Implementierung naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Inhalte in medizinische Leitlinien mit 550.000 Euro. Am 19. Juni wurde in Essen der Fördervertrag vom Vorsitzenden der Stiftung, Prof. Dr. Burkhard Huch, und Vertretern der Klinik in Anwesenheit von Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß unterzeichnet.
Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung
Die Rut- und Klaus-Bahlsen-Stiftung gehört mit einem Vermögen von über 80 Millionen Euro zu den großen privaten Stiftungen Deutschlands. Medizin, insbesondere Naturheilkunde und Komplementärmedizin, gehören zu den vom Stifter Klaus Bahlsen (1908-1991) schon bei der Stiftungsgründung im Jahr 1972 festgelegten Förderschwerpunkten. Klaus Bahlsen und seine Ehefrau Rut (1901-1988) wollten in der Medizin neue Wege gehen und den Menschen in seiner Gesamtheit betrachten. Dies führte beide zur Naturheilkunde, deren Fortentwicklung und tagtägliche Anwendung auch über beider Tod hinaus für ihre Stiftung ein wichtiges Anliegen ist.
Prof. Dr. Burkhard Huch ist überzeugt, bei der Entscheidung für dieses Projekt ganz im Sinne von Klaus Bahlsen gehandelt zu haben: "Klaus Bahlsen ging es nicht um bloße wissenschaftlich-theoretische Grundlagenforschung. Hierfür gibt es ganz andere Fördereinrichtungen. Doch die tagtägliche Anwendung neuartiger, aber auch traditioneller und dann oft vernachlässigter medizinischer Leistungen zum Wohle des Patienten stand für Klaus Bahlsen immer im Vordergrund seines Denkens und Handelns - und dieses ist das Ziel dieser Arbeit in Essen, wo mit der bestehenden Klinik und dem hier engagierten Team um Prof. Dr. Langhorst die besten Voraussetzungen hierfür gegeben sind."
Naturheilkundliche Wege gehen bei Fibromyalgie und Morbus Crohn
Die Förderung des Projekts ist Ergebnis von Prof. Langhorsts Vorarbeit. So ist es gelungen, naturheilkundliche und komplementäre Verfahren in die Leitlinien der AWMF für das Fibromyalgiesyndrom, einer chronischen Erkrankung des Bewegungsapparates, auch bekannt als Weichteil-Rheumatismus, aber auch für gastroenterologische Erkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder dem Reizdarmsyndrom zu implementieren. Das Team um Prof. Langhorst arbeitet nun and der systematischen Aufarbeitung und der Formulierung weiterer Leitlinien und kooperiert dabei eng mit verschiedenen Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.
Enorme Bedeutung in der Praxis
Seit über 15 Jahren werden unter der Leitung der AWMF - der Arbeitsgruppe wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften - medizinische Leitlinien in Deutschland erarbeitet. Daran ist der gesamte medizinische Sachverstand in Form von individuellen Expertengruppen beteiligt. Das Ziel der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Langhorst ist nun: Therapiestandards setzen, die beim Patienten ankommen. Ihre Bedeutung in der Praxis ist enorm, vor allem auch für den niedergelassenen Arzt, zum Beispiel wenn es darum geht, pflanzliche Präparate anzuwenden. Ein anderes Feld, in dem die medizinischen Leitlinien Beachtung finden und viel bewirken, ist die ärztliche Ausbildung. So kommen die künftigen Ärztegenerationen im Rahmen ihres Studiums schon frühzeitig mit den aktuellen Leitlinien in Berührung. Sie ergänzen und ersetzen zum Teil die Lehrbücher. Das anhand der Leitlinien errungene Wissen adaptieren die angehenden Ärzte in ihr medizinisches Verständnis. Das Verstehen und Anwenden naturheilkundlicher Verfahren setzt somit voraus, dass diese in den Leitlinien enthalten sind.
Medizinische Leitlinien spielen ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Bewilligung naturheilkundlicher Herangehensweisen. Die Krankenkassen und der medizinische Dienst beziehen die Leitlinien zunehmend in ihre Entscheidungen bezüglich der Kostenübernahme bei naturheilkundlichen Behandlungen mit ein. Und die ärztlichen Empfehlungen werden auch bei rechtlichen Auseinandersetzungen betrachtet. Eine häufig gestellte Frage lautet: "Haben sich die Ärzte an die medizinischen Leitlinien gehalten?"