Menschen beobachten eine Gruppe von Kindern im seichten Wasser. Die schwermütigen Fotografien erinnern an die Motivvorlieben des Impressionismus. Jedoch reihen sie sich in rhythmischer Folge, Perspektiven und Blickpunkte wechseln, so als würden sich in ihnen Zeit und Erzählung entfalten. Betrachter erleben ein Nacheinander und dennoch findet sich nur ein einziger Augenblick dargeboten. Es ist jener Moment, der sich erst am Ende in einem Close-up entschlüsselt, als ein Junge mit beiden Händen druckvoll in das Wasser greift und damit Glätte, Stille und Ruhe zerbrechen.
Zeit und Zeitempfinden stehen im Mittelpunkt seines uvres. Seit 1996 erkundet der belgische Künstler die Grenzen zwischen stehendem und bewegtem Bild. Claerbouts Videos dehnen Erzählung und Geschehen, um ein intensiviertes Empfinden von Dauer zu erwirken. Die charakteristische Bewegungsarmut der Bilder und das Verschmelzen der Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führt zu einem Bilderlebnis von hoher Dichte, Reflexionsfähigkeit und größter Nachhaltigkeit. Die Konzentration auf eine Phänomenologie des Bildes vollzieht sich von Methoden her, die beide in Entschleunigung münden. Zuweilen werden Filme von Claerbout derart verlangsamt, dass Begebenheiten des Alltags zu formschönen Stillleben gefrieren.
Andererseits werden Fotos durch digitale Mehrfachaufnahmen vermehrt, sodass unter Zuhilfenahme fast bildgleicher Sujets das Festhalten eines einzelnen Augenblicks zu einer Zuständlichkeit zerrinnt. Beide Methoden sind von einer Suche nach Innehalten und Stimmungskonzentration getragen. Charakteristisch sind atmosphärische Dichte und die bildhafte Nachträglichkeit der Seherfahrung.
Eine asiatische Familie ist beim Ballspiel im Hinterhof einer Hochhausanlage zu beobachten. Sections of a Happy Moment" wird von einer leise wogenden Tonspur begleitet. In den Bildern, die wie in einer Diashow aufeinander folgen, ist neuerlich nur ein Moment festgehalten. Es ist der Augenblick, der im Deutschen fruchtbar genannt wird: hier der Ball an dem Scheitelpunkt seiner Wurfbahn, zu dem jung und alt gespannt aufblicken. Das Spiel mit vitaler Bewegung und die sanfte Taktung der Bilder, die Claerbout vorführt, schaffen eine Sorglosigkeit, die uns dennoch die Voraussetzungen der Wahrnehmung offenlegt: die Gewohnheiten des Sehens, die Vorprägungen von Erwartung, die Blickpräzision der Aufmerksamkeit und das Nachwirken des Gedächtnis.
Die Kunsthalle Mainz zeigt eine Einzelschau des belgischen Künstlers. Vorgestellt werden ausgewählte Filme aus den letzten Jahren. Zugleich wird eine noch nie gezeigte Arbeit erstmals in Mainz dem Publikum präsentiert. Das Video zeigt Arbeiter in Nigeria, die die Fabrik nach der Schicht verlassen. Claerbout nimmt in Titel und Sujet auf den ersten Film der Brüder Lumière Bezug. Mit den Lumières teilt er die Faszination für die Erfahrung von Zeit und Bewegung. Anders als bei den Pionieren des Films geht es jedoch nicht um die Darstellung von Menschen in der Bewegung, sondern vor allem um das Spiel des Lichts, um Öl- und Wasserspiegelungen und die Arbeitssituation in Nigeria.
David Claerbout, geb. 1969 lebt und arbeitet in Antwerpen, Belgien. Er nahm an einer Vielzahl von Gruppenausstellungen teil, Einzelausstellungen zeigte er unter anderen im Tel Aviv Museum, im Wiels, Brüssel, der Secession in Wien, der Pinakothek der Moderne in München, dem MIT List Visual Arts Center in Cambridge, MA dem Centre Georges Pompidou in Paris, den Musées Royaux des Beaux-Art in Brüssel, der Akademie der bildenden Künste in Berlin, dem Van Abbemuseum in Eindhoven, dem Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, dem Kunstverein Hannover, dem Dia Center for the Arts, New York etc.