Bonvicini, die 1965 in Venedig geboren wird, lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Berlin. Ruby wird 1972 in Bitburg in Rheinland-Pfalz geboren. Sein Vater ist USSoldat, die Mutter Niederländerin. Er wächst in Pennsylvania auf und lebt heute in Los Angeles. In der Kunsthalle Mainz stellen sie das erste Mal gemeinsam aus. Für Ruby ist es die erste Ausstellung in Deutschland überhaupt. Gemeinsam ist Bonvicini und Ruby die Auseinandersetzung mit den Themen Architektur, Aggression, Repression, Sexualität und Gewalt. In Architekturen drücken sich autoritäre Verhältnisse aus. Bauten geben nicht nur Schutz, sie sind auch Bezähmungsinstrumente. Machtbeziehungen werden in Beton- und Stahlkonstruktionen deutlich, aber auch in alltäglichen Utensilien wie Treppen, die im Werk von Bonvicini einen besonderen Platz einnehmen. Generell geht es um Fragen der Freiheit, nicht zuletzt um die politische Verantwortung in Fragen von Gesetz und Geschlecht. Sowohl Ruby als auch Bonvicini greifen dafür zu theatralischen Rauminszenierungen und zuweilen drastischen bildnerischen Mitteln. Die Bedingungen formatierten Lebens und politischen Unrechts von heute beantworten sie mit kritischen und energischen Gegendarstellungen.
Monica Bonvicini
Monica Bonvicini studiert an der Hochschule der Künste in Berlin und am California Institute of Arts. 1999 erhält sie den Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig und 2005 den Preis der Nationalgalerie in Berlin. Heute lehrt sie an der Akademie der bildenden Künste in Wien Bildhauerei und performative Kunst. Am Art Center College of Design in Pasadena, wo sie schon in den späten 1990er Jahren eine Gastprofessur innehat, lernt sie Sterling Ruby kennen. Von ihr kommt der Vorschlag, die Werke gemeinsam, verteilt in allen Räumen der Kunsthalle Mainz, zu präsentieren.
In der Kunsthalle Mainz zeigt Monica Bonvicini Zeichnungen, Aquarelle, Collagen und Skulpturen. In Halle 1 befindet sich ein monumentales Baugerüst von etwa vier Metern Höhe. Es stellt eine Treppe dar, die ins Leere führt. Von den Seiten hängen Vorhänge aus Ketten herab. Auf einer Wand ist eine Zeichnung mit der Inschrift »deficits« affichiert. Im Alten Turm der Kunsthalle leuchtet ein Bündel Neonröhren, das ähnlich einer Bondage-Kammer von einem schweren Stahlträger herabhängt. Zugleich erinnert die martialische Hängeskulptur an eine Gewehrsalve. Es geht um unaufgelöste soziale Spannungen, um Geschlechterkampf und Mechanismen der Verdrängung. "Nicht wir bestimmen die Räume, sondern sie uns: Wir müssen akzeptieren, dass hier die Tür ist oder man dort drei Treppen heruntergehen muss. Ich finde es aber überhaupt nicht normal, sich so zu verhalten, wie die Architektur es uns vorgibt", sagt Bonvicini. In Halle 2 dominieren Minimalismus, männliche Werkgegenstände und schweres Gerät. Eine Kettensäge hängt von der Decke, eine andere steckt in einem Kubus, der von innen mit einem Baustrahler beleuchtet wird. Auf dem Deckel sind Fotografien einer Werkstatt zu sehen, eine Werkbank, blaue Schutzkleidung und die unvermeidlichen Fotos von Pin-ups. Zwei Aquarelle von Arbeitern, die ihrerseits wie Modelaufnahmen aussehen, vervollständigen die Werkgruppe um maskuline Arbeitsriten. In der rückwärtigen Halle 3 ist eine weitere Treppe von Bonvicini installiert. Das raumgreifende Modell ist eine Mischung aus Glamour und Trash. Die Bühne wurde zum ersten Mal auf der Biennale in Venedig 2011 ausgestellt. Bonvicini bezieht sich auf ein Gemälde ihrer Heimatstadt Venedig. In der Kirche »Madonna dell'Orto« ist ein Bildnis Tintorettos aufbewahrt, das die kindliche Marie beim »Tempelgang« zeigt. Es handelt sich um eine Legende, wonach die Dreijährige als Jungfrau von ihren Eltern dargebracht wird. Bei Tintoretto wartet ein Hohepriester und empfängt das Kind am Treppenabsatz. Die latente patriarchale Gewalt des Renaissance-Gemäldes übersetzt Bonvicini in die schillernde Konstruktion des Theaterbaus.
Sterling Ruby
Sterling Ruby kommt 1972 in Bitburg als Sohn einer holländischen Mutter und eines US-amerikanischen Vaters zur Welt. Die Familie zieht in die USA. Nach der High School verdingt sich Ruby als Bauarbeiter, wird professioneller Skateboarder und spielt in mehreren Punk Bands. Er studiert Kunst an der Pennsylvania School of Art and Design, am Art Institute in Chicago und in Pasadena, wo er Assistent des 2012 verstorbenen Mike Kelley wird.
Exzessive Gesten, Science Fiction und anarchische Subkultur sowie die kreativen Auswüchse von Halluzinationen und Angstzuständen prägen sein Werk. Es geht um Graffiti und Gang, um Punk und Horror, um Initiation und Fallen, Warnung und Wahn, in vielen Aspekten um die Repression amerikanischer Gefängnisanstalten. Ruby sieht seine Bilder als Entladungen, die sich gegen die strenge Formen und rationalen Druck auflehnen. Wiederholungszwang, Bildbesessenheit und andere mentaler Krankheitsbilder kehren wieder. In der Kunsthalle Mainz sind Werke aus den letzten acht Jahren zu sehen. Es finden sich Bildmontagen mit glitzernden Folien, irisierend silbrige Flächen und Aquarelle vor synthetischen Farbgründen. Diese Bildserien, die Ruby zum Teil selbst zu Ordnungen zusammenstellt, sind geprägt von alptraumhaften Szenarien. In manchen Werken finden sich Abdrücke, Schmutzspuren oder eingeklebte Fotos. Schlünde und aufgerissene Münder werden Höhlenbildern gegenübergestellt, in denen bizarre Spitzen beängstigende Schlünde bilden. Ruby sieht sich als politischen Künstler, der gegen repressive Wirklichkeit Widerstand leistet. "Die Paranoia in Bezug auf den Terrorismus wird benutzt, um der Ideologie Amerikas die Vorherrschaft über anderen zu sichern." Ruby bezieht sich unter anderem auf Robert Jay Liftons Psychohistorie der Gewalt, die Studien zu pathologischen Veränderungen von Gefängnisinsassen von Lorna Rhodes, den Thesen zu Vandalismus und abnormem sozialen Verhalten von George L. Kelling.
Besonderer Dank geht an die Kulturstiftung Rheinland-Pfalz und die Galerie Hauser & Wirth, Zürich.