1.2 Wochen-Quartals-Tangente
An den europäischen Kapitalmärkten schien alles bereitet. Die Anleger stellten ihre geputzten Stiefel vor die Tür und hofften, dass der EZB-Präsident diese füllen werde. In froher Erwartung markierte der deutsche Leitindex DAX (S. 4) einen neuen Höchststand mit 10.083,74 Punkten. Doch Draghi hatte für die Marktteilnehmer nicht viel dabei: Die Ankündigung eines Kaufprogramms für Staatsanleihen erfolgte nicht, die Stiefel blieben leer. Immerhin, er hatte auch keine Rute dabei, sondern machte den liquiditätshungrigen Marktteilnehmern Hoffnung, dass die Stiefel bald gefüllt würden. So treffe die EZB weitere Vorkehrungen, um ihren Handlungsspielraum zu erhöhen. Ziel sei es, die niedrigste Inflation seit fünf Jahren anzukurbeln. Zu diesen Vorkehrungen gehöre eine Studie über potenzielle Maßnahmen zum Kauf von Staatsanleihen. Indem die Wachstums- (nun 0,8 % für 2014 und 1,0 % für 2015) sowie Inflationserwartungen (0,5 % und 0,7 %) reduziert wurden und Draghi betonte, die jüngsten Ölpreisbewegungen seien dabei noch nicht berücksichtigt, ist der Weg für weitere QE-Maßnahmen (quantitative Lockerungen) frei. Er kann nun die "ölpreisbedingten Deflationsrisiken" nutzen, um voraussichtlich am 22. Januar den Staatsanleihekauf zu verkünden. Erstmals bekannte er sich auch zum Ziel, die Bilanzsumme der EZB um rund 1 Bio. Euro auszuweiten. Die gegenwärtigen Maßnahmen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Bilanzsumme, die in Richtung der Dimension von 2012 bewegt werden solle. Die EZB weitet ihre Bilanz über Kredite an Banken oder Aktiva-Käufe aus, um so das Geldvolumen in der Wirtschaft (Unternehmen und private Haushalte) zu erhöhen. Damit ein Impuls im Sinne der Geldschöpfung entsteht, müssen die Privaten ihre Netto-Verschuldung erhöhen. Allerdings konterkariert die Notenbank ihr neues Ziel mit dem negativen Einlagenzins, da die Bilanzausweitung mit einem Anstieg der Überschussliquidität verbunden wäre, welche zu -0,2 % verzinst wird. Eine Ausweichreaktion der Banken ist wahrscheinlich. Im Zuge des von uns erwarteten QE-Pakets Anfang 2015 dürfte daher der negative Einlagenzins zur Disposition stehen.
In der Berichtswoche wird die EZB ihren zweiten TLTRO zuteilen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser die Zentralbankbilanzsumme wesentlich anschieben wird. Konjunkturseitig hellt sich das Bild in Deutschland mit der Industrieproduktion auf (S. 1), während sich der US-Konsument in die Weihnachtskäufe stürzen kann (Einzelhandelsumsätze). Dank des guten Arbeitsmarktes sind zumindest hier die Stiefel prall gefüllt.
2 Im Fokus
2.1 Aktien: Erholung stößt an Grenzen
Aktienanleger hatten sich von der EZB-Sitzung augenscheinlich mehr erhofft. Das Ausbleiben konkreter quantitativer Lockerungsmaßnahmen hat den Ausflug des DAX über die 10.000-Punkte- Marke erst einmal gestoppt. Schließlich spricht mit Ausnahme der lockeren Geldpolitik nicht viel für nachhaltig höhere Notierungen.
Die ultralockere Geldpolitik, immer niedrigere Renditen bei den klassischen Anlagealternativen und das saisonale Muster haben Anleger in den vergangenen Wochen dazu veranlasst, bei Aktien zuzugreifen. Nach dem Einbruch im Oktober legten die international führenden Indizes eine beeindruckende Rally hin. Mit Erreichen der 10.000-Punkte-Marke hat der DAX nicht nur die zeitweilig sehr ausgeprägten Wachstumsängste ausgepreist, sondern schon wieder einiges an Vorschusslorbeeren mit Blick auf die Wachstums- und Gewinnperspektiven erhalten.
So ist der jüngste Kursanstieg nicht etwa auf eine Verbesserung der Unternehmensgewinne zurückzuführen.
Schließlich wurden die Konsens-Schätzungen für die Nettoergebnisse der kommenden zwölf Monate mehrheitlich nach unten revidiert. Die Rally basiert vielmehr auf einer Bewertungsexpansion.
Damit haben deutsche und europäische Standardwerte wieder den Rand des KGV-Bandes der vergangenen zehn Jahre erreicht. US-Titel sind sogar noch teurer. Die Luft wird somit extrem dünn. Jenseits des Ölpreisrückgangs und lockerer Geldpolitik sind global keine wirklichen Wachstumstreiber auszumachen. Angesichts der verhaltenen Dynamik der Weltwirtschaft sind insgesamt nur moderate Gewinnzuwächse zu erwarten. Das fundamentale Kurspotenzial ist nach dem jüngsten deutlichen Anstieg der Notierungen ausgereizt.
Aktienanlegern wird somit wohl auch in den kommenden Monaten sehr viel taktisches Geschick abverlangt werden. Dabei dürften die Jahreshöchst- und -tiefststände des DAX wohl auch das Kursspektrum für 2015 abgesteckt haben. Neben fundamentalen Aspekten mahnt auch die inzwischen wieder sehr ausgelassene Stimmung zur Vorsicht. So weisen Umfragen unter Aktienanlegern dies- und jenseits des Atlantiks ein deutliches Übergewicht von Aktienbullen aus. Gleichzeitig sind Aktien technisch überhitzt und hoch bewertet. Dies ist ein ungünstiger Mix. In der Vergangenheit haben sich vergleichbare Konstellationen häufig als Vorbote einer Korrektur erwiesen. Wie schnell und heftig die Kurse fallen können, haben die beiden letzten DAX-Korrekturen gezeigt (Juli/August: -11 %, September/Oktober -16 %). Auch wenn der Dezember traditionell ein guter Börsenmonat ist, spricht das derzeitige Chance-Risiko-Verhältnis dafür, bei Aktien erst einmal Gewinne mitzunehmen.
2.2 Nordrhein-Westfalen: Wachstum im Strukturwandel1
Die allmähliche konjunkturelle Erholung sorgt 2015 in Nordrhein-Westfalen für Wirtschaftswachstum, das aufgrund der begrenzten Perspektiven aber kaum 1 % überschreiten wird. Gemessen an europäischen Größen erlangt der wirtschaftliche Output Nordrhein-Westfalens (NRW) fast den Wert der benachbarten Niederlande, also der sechstgrößten Volkswirtschaft in der Europäischen Union. Damit erwirtschaftet NRW rund 22 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und stellt den größten Anteil innerhalb der Bundesrepublik. Seine Wirtschaftsstärke - ermittelt durch das Pro-Kopf-BIP - entspricht dem Bundesdurchschnitt. Innerhalb Nordrhein-Westfalens ist die Spannbreite der Wirtschaftskraft sehr groß. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner beispielsweise in Düsseldorf weit über dem Bundesdurchschnitt liegt, bewegen sich viele Städte im Ruhrgebiet deutlich darunter. Es deutet sich aber an, dass der Strukturwandel erste Früchte trägt: Die Wirtschaftskraft im Ruhrgebiet ist seit dem Jahr 2000 gestiegen. Zugpferd ist der Dienstleistungssektor, der in Teilen schneller gewachsen ist als im Bundesdurchschnitt.
Deutlich gedämpfter - auch im gesamtdeutschen Vergleich - entwickelt sich die Industrie in Nordrhein- Westfalen. Dies ist vorrangig auf den Branchenmix zurückzuführen: Die chemische Industrie und die Metallerzeugung dominieren, so dass NRW von der zuletzt schwachen Entwicklung in diesen Branchen besonders betroffen ist. Die Exportquote der Industrie liegt hier mit 45 % unter dem deutschen Durchschnitt von 48 %. Im Ruhrgebiet sind die Ausfuhrquoten um weitere drei Prozentpunkte niedriger. Auch ist NRW etwas stärker auf die Eurozone konzentriert, die aufgrund der Staatsschuldenkrise strukturell geschwächt ist und somit keine Nachfrage in früherem Ausmaß generiert. Zu den dynamischen Märkten außerhalb Europas sind die Ausfuhrbeziehungen nicht so intensiv - das Bundesland erfährt von dieser Seite also keine zusätzlichen Impulse für seine Industrie.
Der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen zeigt sich trotz des schwachen Wirtschaftswachstums robust. Die Arbeitslosenquote verharrt seit vier Jahren bei etwas über 8 %. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass auch die Beschäftigung unverändert bleibt. Im Gegenteil: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in den vergangenen fünf Jahren um 5,3 % gestiegen und der Aufbau zieht zuletzt sogar an. In Nordrhein-Westfalen werden zurzeit fast in gleichem Tempo Stellen geschaffen wie in Deutschland insgesamt. Der Hauptteil der zusätzlichen Arbeitsplätze wurde von Dienstleistungsunternehmen bereitgestellt, die aufgrund der benötigten Qualifikationen auf Zuwanderung aus anderen Bundesländern oder Staaten angewiesen sind. Erfreulich ist, dass im Ruhrgebiet im Zeitraum 2008 bis 2013 fast mit der gleichen Zuwachsrate (4,5 %) Beschäftigung geschaffen wurde. Der Strukturwandel führt also auch hier zu mehr Arbeitsplätzen.
3 Charttechnik
Der seit September bestehende Aufwärtstrend (März-Kontrakt) wurde in der abgelaufenen Woche unterschritten. Zudem ist es mit dem anschließenden Test der unterschrittenen Linie, die heute bei 153,42 verläuft, zur Bestätigung des Trendbruchs gekommen. Ein Wiedereintritt erscheint unwahrscheinlich, denn die Indikatoren weisen im Tageschart Risiken auf. So richten sich MACD und Stochastic unterhalb ihrer Signallinien gen Süden. Die nächsten wichtigen Unterstützungen sind bei 152,56 und 151,72 zu finden.
Der seit August bestehende Abwärtstrend gibt weiterhin die Richtung vor. Mit den mehrfachen Tests der heute bei 1,2452 verlaufenden Widerstandslinie ist die Signifikanz des Trends nicht zu unterschätzen. Zudem sind Erholungs-versuche des Euro wegen des vorübergehenden Unterschreitens des wichtigen Unterstützungsbereichs um 1,2360 vorerst gescheitert, denn Hoffnungen auf die Etablierung einer Trendumkehrformation wurden zerschlagen. Auch die Indikatoren lassen eher auf im Trend nachlassen-de Euro-Notierungen schließen.
Bis Donnerstagnachmittag standen die Börsenampeln ohne Einschränkung auf Grün. In der Folge bildete der DAX das von vielen erwartete neue Allzeithoch aus. Im Anschluss ging es deutlich nach unten, so dass die wichtige Unterstüt-zung bei 9.900 Zählern einem Test unterzogen wurde. Ak-tuell zeichnet sich ab, dass dieser erfolgreich enden könnte. Ein Fortbestand der zuletzt etablierten Handelsrange wäre die Folge und Chancen auf einen neuerlichen Ausbruch auf der Oberseite wären damit vorhanden. Das nächste Kurs-ziel lautet dann 10.188 Punkte.
Die Ausführungen auf dieser Seite basieren ausschließlich auf einer charttechnischen Analyse. Unsere fundamentalen Analysen gehen in diese Betrachtung nicht ein.