Im bisherigen Verlauf von 2015 konnte das polnische Bruttoinlandsprodukt (BIP) seine Dynamik weitgehend aufrechterhalten. Auch im Jahresdurchschnitt 2015 und 2016 dürfte der reale Zuwachs jeweils über 3 % liegen. Dabei spielt neben den öffentlichen Ausgaben und den Investitionen der Konsum eine wichtige Rolle. Denn die Arbeitslosigkeit geht zurück und die Reallöhne steigen bei fortgesetzt niedriger Inflation. Die Gesamtinflation, die bereits Mitte 2014 in den negativen Bereich rutschte, wird in 2015 im Durchschnitt bei -0,7 % liegen. Allerdings wirken hier Sonderfaktoren: Das russische Embargo auf Lebensmittel wirkt sich auf polnische Exporte aus, so dass nicht nur die niedrigen Energiekosten, sondern auch die Preisrückgänge bei Nahrungsmitteln sowie bei Transportleistungen die Inflation drücken. Bereinigt um Energie und Nahrungsmittel lag die Preis-steigerung hier zuletzt bei +0,4 %, gegenüber einem Minus von 0,6 % im Gesamtindex.
Ein Thema, das Polen – zumal vor den Parlamentswahlen am 25. Oktober – beherrscht, sind die Fremdwährungskredite, die viele Polen zu Zeiten günstigerer Wechselkurse zur Einsparung von Zinsen aufgenommen haben.1 Zwar ist der Anteil der Frankenkredite in polnischen Portfolios deut-lich abgebaut worden, insgesamt belaufen sich diese Verpflichtungen jedoch noch immer auf knapp 40 Mrd. Euro. Durch die Abwertung des Zloty gegenüber dem Schweizer Franken in jünge-rer Vergangenheit haben sich fällige Verbindlichkeiten stark verteuert. Auf die Wirtschaftsdynamik könnte sich das negativ auswirken. Neue Hypothekenkredite dürfen daher seit Mitte 2014 nur noch in Währungen aufgenommen werden, in denen ausreichende Einkünfte erzielt werden.
Vor den anstehenden Wahlen, für die sich nach aktuellen Umfragen trotz der guten Wirtschaftsla-ge ein Regierungswechsel hin zur rechtskonservativen Partei PiS andeutet, sind Möglichkeiten zur Erleichterung der Schuldenlast heftig diskutiert worden. Derzeit gibt es eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Kammern des Parlaments über ein Gesetz, das Kreditnehmern zulasten der
Banken eine kostengünstige Umwandlung der Kredite in Zloty ermöglichen soll. Die Finanzaufsicht KNF befürchtet, dass der polnische Bankensektor bei der potenziellen Belastung von über 5 Mrd. Euro Schaden nehmen könnte. Eine Einigung bei diesem öffentlichkeitswirksamen Thema vor dem Wahltermin Ende Oktober erscheint allerdings unwahrscheinlich. Inwieweit eine Regelung, die die Banken zu sehr belastet, die Kreditvergabe und damit auch den Konsum bremsen würde, wird von der konkreten Ausgestaltung abhängen.
Die Steuereinnahmen dürften sich dank des weiter schwungvollen Wachstums verbessern. So kann auch bei höheren Ausgaben im Vorfeld der Parlamentswahl beim öffentlichen Defizit erstmals seit 2007 wieder die Maastricht-Grenze (3 % des BIP) eingehalten werden. Auch der Schulden-stand bleibt deutlich unter 60 % des BIP und damit Maastricht-konform. Hauptsächlich ein Signal an Investoren ist die Anfang des Jahres mit dem IWF geschlossene Übereinkunft über eine neue Flexible Credt Line (FCL). Im Bedarfsfall könnte die Regierung so auf 24 Mrd. Euro zurückgreifen, um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern. Bereits die bisherigen FCLs seit 2009 dienten als Rücken-deckung und wurden nie abgerufen. Die Haushaltseckdaten präsentieren sich damit solide zu einer Zeit, in der die Projekte ausgeschrieben werden, die in der aktuellen EU-Haushaltsperiode 2014-2020 im Rahmen der Strukturpolitik gefördert werden. Daher sollte ein gewisser Spielraum für die erforderliche Kofinanzierung gegeben sein. Für die Konjunktur bedeuten diese Ausgaben einen zusätzlichen Impuls, der sich ab 2016 bei der Investitionstätigkeit positiv auswirken wird.
Von der Zentralbank kommt über den niedrigen Leitzins weiterhin Unterstützung für die Konjunktur: Sie unternahm zuletzt im März einen Lockerungsschritt auf den bislang niedrigsten Stand von 1,5 % und hält den Zins seither stabil. Da die Konsumentenpreise sich offenbar langsam von ihrem Tief erholen, aber keine Inflationsgefahr besteht und die Zentralbank von vorerst anhaltend kom-fortablen Wachstumsraten ausgeht, könnte das aktuelle Niveau eine Weile andauern.
Allerdings kam in den Diskussionen, die den Zinsentscheidungen im Juli und auch im September voranging, auch schon das Thema Zinserhöhung zur Sprache. Ein Argument war dabei neben Abwärtsrisiken bei der ohnehin niedrigen Inflation, sich für den Bedarfsfall wieder mehr Spielraum für Lockerungen zu verschaffen – ein Aspekt, der angesichts der Gewöhnung an rekordniedrige Zinsen zum Teil in Vergessenheit zu geraten scheint.
Darüber hinaus wurden in der Notenbanksitzung Anfang September Maßnahmen diskutiert, die über die Geldpolitik hinaus die längerfristige Widerstandskraft der polnischen Wirtschaft unterstüt-zen sollen, wie die Förderung von Innovationen sowie von kleineren und mittleren Unternehmen. Diese Forderungen tauchen auch in anderen EU-Ländern regelmäßig in den Diskussionen auf, wobei die knappen öffentlichen Kassen häufig den Gestaltungsraum beeinträchtigen. Polen tut sicher gut daran, es sich nicht bei auskömmlichen Wachstumsraten bequem zu machen, sondern die günstige Wirtschaftslage zu nutzen, um an der Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten.
Den Schluss, Polen würde etwa im Hinblick auf die Reformorientierung im EU-Vergleich hinterher-hinken, kann man pauschal allerdings nicht ziehen, zumindest wenn man einige Indikatoren zu diesem Thema heranzieht, wie den Index of Economic Freedom der Heritage Foundation oder den Doing Business Index der Weltbank.2 Hier ist für Polen im Ranking der Länder zwar noch Luft nach oben. Mit den großen Euroländern kann sich das Land jedoch durchaus messen. Wenn auch die neue, vermutlich weiter rechts stehende Regierung diese Innovationskraft als Ziel im Blick behält, ist dies eine wichtige Zutat für zügiges Wachstum in Polen auch in den nächsten Jahren.
1 Ausführliche Informationen zu diesem Thema liefert der Helaba Credt Focus „Raiffeisen Bank International (AT): Mögliche Verluste aus CHF-Krediten in Polen" vom 2.9.2015
2 Siehe dazu die Ausführungen in der Helaba-Publikation „EZB Aktuell" vom 21.07.2015: „Die EZB rotiert"