- Trotz eines schwachen Winterhalbjahrs bleibt die US-Wirtschaft wohl auch 2013 auf ihrem moderaten Wachstumskurs. Im Jahresverlauf dürfte die Dynamik zunehmen.
- Obwohl der Sturz vom "fiskalischen Kliff" vermieden wurde, belastet die Unsicherheit über den zukünftigen finanzpolitischen Kurs die Konjunktur und erschwert die Prognosen.
- Die Notenbank bleibt angesichts des verhaltenden Preisdrucks mit beiden Füßen auf dem geldpolitischen Gaspedal. Das aktuelle Kaufprogramm sollte zunächst weiterlaufen.
Die amerikanische Wirtschaft hat sich Ende 2012 der verbreiteten Schwächetendenz in den ande-ren Industrieländern, insbesondere in der Eurozone, nicht entziehen können. Das Jahresendquar-tal war, gemessen an der Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP), das schlechteste des Jahres. Gemäß der ersten Schätzung stagnierte die US-Wirtschaft praktisch (annualisiert -0,1 %).
Befürchtungen, damit stünden die USA mit einem Bein in der Rezession, sind jedoch verfehlt. So waren Ende 2012 verschiedene belastende Sonderfaktoren am Werk. Die höchsten negativen Wachstumsbeiträge kamen mit jeweils rund -1,3 Prozentpunkten von zwei Komponenten: den Verteidigungsausgaben und der Lagerhaltung der Unternehmen. Erstere schwanken seit längerer Zeit um einen Abwärtstrend, nicht zuletzt, weil die Einsätze im Irak und Afghanistan zurückgefah-ren werden. Einem überraschenden Sprung im Q3 folgte nun eine Gegenbewegung, die sich aber nicht in diesem Umfang fortsetzen wird. Nach einem überdurchschnittlichen Lageraufbau im Q3 fiel die Lagerveränderung im Q4 recht niedrig aus. Dies ist aber für das Q1 2013 ein positiver Faktor.
So ist die Delle im Q4 zu einem guten Teil eine Korrektur von Ereignissen in der Vorperiode. Hinzu kommen noch die temporären Effekte des Hurrikans Sandy, der im Oktober die Aktivität in den nordöstlichen Vereinigten Staaten gedämpft hatte. Auch die Weltkonjunktur war im Q4 eine Belas-tung: Erstmals seit dem Ende der Rezession fielen die realen US-Exporte (Jahresrate: -5,7 %).
Überraschenderweise belastete jedoch der drohende Sturz vom "fiskalischen Kliff" die Konjunktur vor der Jahreswende offenbar nicht merklich. Der Konsum verzeichnete mit 2,2 % einen soliden Zuwachs. Die Ausrüstungsinvestitionen legten sogar um 12,4 % zu - von Attentismus war also wenig zu sehen. Im Wohnungsbau dauerte die Belebung der letzten Quartale an (+15,3 %).
Die Daten zum vierten Quartal haben auch dazu beigetragen, die Ängste vor einem nachhaltigen Einbruch bei den Ausrüstungsinvestitionen zu vertreiben. Ihr Rückgang im Q3 ist damit allerdings nicht einfacher zu erklären. Wäre er durch die Unsicherheit vor dem "fiscal cliff" bedingt gewesen, hätte er eigentlich im Q4 andauern müssen. Stattdessen war, wie erwähnt, ein deutlicher Anstieg zu beobachten. Denkbar wäre, dass es vor allem Sorgen über eine mögliche ungeordnete Auflö-sung der Europäischen Währungsunion, mit merklichen negativen Wirkungen auf globale Konjunk-tur und Finanzmärkte, waren, die im Sommer die Unternehmen zu vorübergehender Zurückhaltung veranlassten.
Die seit der ersten Schätzung des BIP veröffentlichten Monatsdaten zum Q4 sprechen per Saldo bisher für eine Aufwärtsrevision des BIP (2. Schätzung am 28. Februar). Insbesondere die Außen-handelszahlen lassen einen weniger negativen bzw. sogar positiven Wachstumsbeitrag von den Nettoexporten erwarten. Damit könnte das Wachstum im Jahresendquartal doch noch bei rund 1 % gelegen haben. Darüber hinaus steht im Sommer wieder eine allgemeine Revision der Daten an, die voraussichtlich die Schwankungen in Q3 und Q4 glätten dürfte.
Auch die Lage am Arbeitsmarkt passt derzeit nicht so recht zu dem schwachen BIP-Wert. Die jährliche Revision der Daten der Unternehmensbefragung zeigt nun für Ende 2012 ein um rund 700.000 höheres Beschäftigungsniveau als vorher. Noch wichtiger ist allerdings, dass die kurzfris-tige Dynamik nach den aktuellen Zahlen bereits seit mehreren Monaten oberhalb von 200.000 neuen Stellen pro Monat liegt. Der jüngste leichte Anstieg der Arbeitslosenquote von 7,8 % auf 7,9 % im Januar war ein statistisches Artefakt, eine Folge der neuen Bevölkerungsschätzung als Basis für die Quote. Weder die Partizipationsrate noch die Erwerbsquote haben sich im Januar gegenüber dem Dezember verändert.
Q1: Jenseits des Kliffs, vor dem Sequester
Das aktuelle Konjunkturbild wird unverändert von der Debatte über die Fiskalpolitik dominiert. Der Sturz vom "fiscal cliff" konnte auf den buchstäblichen letzten Drücker vermieden werden.1 Statt der befürchteten Straffung der Fiskalpolitik um 600 Mrd. Dollar haben sich Demokraten und Republi-kaner auf einen Kompromiss verständigt, der primär zu höheren Einkommensteuern für die reichs-ten Haushalte und die Normalisierung des Rentenbeitrags geführt hat. Erstere Maßnahme dürfte ohne größere konjunkturelle Wirkung bleiben, da die betroffenen Haushalte eine sehr hohe Spar-quote haben. Allerdings haben viele Unternehmen im Q4 Sonderdividenden ausgeschüttet, um eine höhere steuerliche Belastung im Jahr 2013 zu vermeiden. Dieser Effekt hat das Einkommen der Haushalte im Dezember immerhin um rund 2 % (oder annualisiert 290 Mrd. Dollar) steigen lassen. Im Januar ist eine entsprechende Gegenbewegung wahrscheinlich.
Die Erhöhung des Rentenbeitrags belastet hingegen die breite Mehrheit der Amerikaner und dürfte den Konsum im Q1 tatsächlich dämpfen. Über den Umfang der Belastung gehen die Schätzungen aber auseinander. Der beste Anhaltspunkt ist wohl die Größenordnung, die die Statistiker bei der Senkung des Beitrags vor zwei Jahren angesetzt haben. Korrigiert man diese Größe um den seit-dem erfolgten Zuwachs am Arbeitsmarkt, kommt man auf eine Belastung von rund 90 Mrd. Dollar (Jahresrate). Laut einer Studie der New York Fed haben einzelne Haushalte zwischen 30 % und 45 % der Entlastung bei den Rentenbeiträgen für den Konsum verwendet. Wenn dies spiegelbild-lich auch für die Belastung gilt, würde sich der negative Effekt auf den Konsum in Grenzen halten.
Es bleibt zudem abzuwarten, ob die erhöhten Abzüge tatsächlich schon im Januar überall vorge-nommen wurden, oder ob die Unternehmensbuchhaltungen nicht etwas mehr Vorlauf gebraucht haben. Je nachdem wie stark dieser Verzögerungseffekt ausfällt, würde die dämpfende Wirkung über das Q1 verteilt. Die bisher vorliegenden Einzelhandelsdaten für den Januar sehen vor diesem Hintergrund ganz gut aus. Statt des erwarteten Minus bei den realen Konsumausgaben im Q1 könnte nun sogar ein leichter Anstieg zu Buche stehen. Damit ergibt sich positives Überra-schungspotenzial für unsere BIP-Schätzung im Q1 (aktuelle Prognose: +11/2 %).
Negatives Überraschungspotenzial besteht allerdings auch. Der nächste potenzielle konjunkturelle Stolperstein ist der so genannte "sequester", der ab dem 1. März zu einer automatischen Kürzung der Staatsausgaben führen wird. Diese sollten eigentlich schon per 1. Januar wirksam werden, wurden allerdings um drei Monate verschoben. Auch hier gibt es unterschiedliche Schätzungen zu Timing und konjunktureller Wirkung. Im schlimmsten Fall könnte das Wachstum in einem Quartal um über einen Prozentpunkt und der Jahresdurchschnitt um 1/2 bis 3/4 Prozentpunkt gedrückt wer-den. Nach Berechnungen des Congressional Budget Office (CBO) dürfte die Wirkung jedoch ge-ringer ausfallen. Die Hauptbelastung wäre jedenfalls eher im Q2 als im Q1 zu erwarten.
2013/2014: Hauptrisiko Fiskalpolitik
Das Thema "Schuldengrenze" ist vom Kongress erst mal bis Mitte Mai vertagt worden. Doch schon Ende März droht neues Ungemach von der Fiskalpolitik: Da die Bundesregierung seit längerer Zeit ohne regulären Haushalt operiert, ist sie auf regelmäßige Resolutionen des Kongresses angewie-sen. Für rund ein Drittel des Bundeshaushalts laufen diese Resolutionen Ende März aus, was im Extremfall einen partiellen "government shutdown", d.h. die Schließung von Bundesbehörden, zur Folge haben könnte.
In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass nur eine abgeschwächte Variante der auto-matischen Ausgabenkürzungen kommt, die "continuing resolutions" verlängert werden und dass der Kongress die Schuldenobergrenze anhebt. Sollte der "sequester" in vollem Umfang wirksam werden, würden wir unsere Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 2 % wohl um mindes-tens einen 1/4 Prozentpunkt reduzieren. Ohne solche Bremseffekte seitens der Finanzpolitik dürfte die US-Konjunktur im Jahresverlauf jedoch an Dynamik gewinnen.
Insgesamt bleibt die Konsolidierung der Bundesfinanzen ein Problemfeld, da wohl auch 2013 wie-der weniger "gespart" wird als ursprünglich vorgesehen (und von uns unterstellt worden) war. Die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen des Staates würde selbst der volle "sequester" nicht annäherungsweise schließen. Weitere Steuererhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen wären in den kommenden Jahren zu erwarten. Entsprechend ergeben sich aus dem zusätzlichen aufgeschobe-nen Sparbedarf Abwärtsrisiken für unsere aktuelle Wachstumsprognose für 2014 von 2,7 %.
Fed: Zeitlich unbefristetes Kaufprogramm
Obwohl keine größeren Verspannungen an den US-Finanzmärkten zu beobachten sind, der Woh-nungsmarkt auf Erholungskurs ist, Deflationsrisiken nicht auszumachen sind und eigentlich alles recht rund läuft, hat die Fed im vergangenen Jahr wieder ein neues Wertpapierkaufprogramm aufgelegt und dieses im Dezember noch einmal aufgestockt. Sie kauft derzeit monatlich mit Hypo-theken besicherte Anleihen im Wert von 40 Mrd. Dollar und Staatsanleihen im Wert von 45 Mrd. Dollar. Dieses Programm ist zeitlich unbegrenzt und soll erst enden, wenn eine "spürbare Verbes-serung" am Arbeitsmarkt zu beobachten ist. Diese ist aus heutiger Sicht wohl erst im Laufe von 2014 zu erwarten, so dass das Kaufprogramm noch einige Zeit laufen dürfte. Die Bilanzsumme der Fed wächst somit weiter und der Expansionsgrad der Geldpolitik nimmt tendenziell zu.
Zudem hat die Notenbank im Dezember die Bedingungen spezifiziert, unter denen sie eine Zins-wende einleiten würde. Solange die Inflationsrisiken nicht deutlich zunehmen, will die Fed den Leitzins erst dann erhöhen, wenn die Arbeitslosenquote unter 6,5 % gefallen ist. Dies erwartet sie derzeit nicht vor Mitte 2015. Eine Straffung der Geldpolitik liegt damit in sehr weiter Ferne.
Inflation derzeit kein Problem für die Geldpolitik
Erleichtert wird der Notenbank diese Herangehensweise durch den überschaubaren Teuerungs-druck. Im Jahr 2012 stiegen sowohl der Verbraucherpreisindex insgesamt als auch der Kernindex ohne Nahrungsmittel und Energie um jeweils 2,1 %. Im Dezember lagen die Vorjahresraten bei beiden Größen unter 2 %.
In den kommenden Monaten dürfte der Preisdruck verhalten bleiben. Die Energiepreise sollten ab dem Frühjahr rückläufig sein und der Preisschub bei den Nahrungsmitteln infolge der Dürre im vergangenen Jahr wird sich 2013 wohl nicht wiederholen. Auch die Kernrate sollte eher fallen, denn mit einem Wachstum von rund 2 % expandiert die US-Wirtschaft im Rahmen ihres Produkti-onspotenzials. Der Auslastungsgrad nimmt daher nicht weiter zu. Lohndruck ist angesichts der noch immer hohen Arbeitslosenquote von über 7 % ebenfalls unwahrscheinlich. Bislang haben schließlich die massiven geldpolitischen Maßnahmen der Fed noch nicht zu einem nennenswerten Anstieg der Inflationserwartungen geführt. Ein Szenario, in dem höhere Erwartungen zukünftiger Teuerungsraten zu einer "selbsterfüllenden Prophezeiung" werden könnten, zeichnet sich damit nicht ab.
1 Siehe USA Aktuell "Fiskalisches Kliff: Absturz verhindert...und nun?" vom 2. Januar 2013.