So betreibt die EZB, anders als ihr vorgeworfen wird, gar keine Austeritätspolitik. Im Gegenteil: Mit ihrer extrem expansiven Geldpolitik reduziert sie den Reformdruck auf die Länder der Eurozone. Schließlich können sich die Eurostaaten mittlerweile so günstig finanzieren wie noch nie. Diese günstigen bzw. in Teilen sogar negativen Zinsen haben jedoch auch eine Kehrseite und das ist das eigentliche Problem. Mit der Liquiditätsschwemme entsteht die Gefahr von Vermögenspreisblasen, fehlgelenkten Investitionen und Verzerrungen bei der Risikoeinschätzung. Zu beklagen ist darüber hinaus die zunehmende Komplexität und Intransparenz der Geldpolitik, was zusätzliche Unsicherheit schafft.
So überrascht es eigentlich, dass nicht die deutschen Sparer vor der EZB demonstriert haben. Dabei tröstet auch nicht die Tatsache, dass seit Anfang Dezember letzten Jahres mehr als 20 Zentralbanken weltweit ihre Geldpolitik noch extremer ausgerichtet haben. So hat selbst die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), also die Zentralbank der Zentralbanken, auf die wirtschaftlichen, juristischen und politischen Risiken dieser Politik hingewiesen. Mittlerweile gäbe es weltweit Staatspapiere mit negativen Renditen im Wert von 2,4 Billionen Dollar, allein 1,9 Billionen davon entfielen auf Papiere aus dem Euroraum. Bundesbankpräsident Weidmann hat bereits darauf hingewiesen, dass der Ankauf von Staatsanleihen für die Bundesbank u.U. mit Verlusten verbunden sein könnte.
EZB-Präsident Draghi hingegen hält die Kritik an den Anleihekäufen für unberechtigt, obwohl er selbst einräumt, dass mit den Maßnahmen der EZB einige Risiken für die Finanzstabilität verbunden sein könnten. Vielmehr pries er bereits wenige Tage nach dem ersten Ankauf die Erfolge der weiteren Lockerungspolitik der EZB. Den sich bereits seit einigen Monaten abzeichnenden konjunkturellen Erholungskurs schrieb er der EZB-Politik zu. Auch die Entwicklungen an den Finanzmärkten stellte er positiv dar. Insbesondere der Rückgang der Zinsen sowie die Einengung der Risikoaufschläge stehen auf seiner Erfolgsliste. Dabei war gerade die Zinskonvergenz bis zur Finanzkrise bei unterschiedlich leistungsfähigen Ländern eine wesentliche Ursache der ausufernden Verschuldung und der nachfolgenden Staatsschuldenkrise in der Eurozone. Die damalige Fehleinschätzung der Märkte wird nun durch die Geldpolitik der EZB wiederholt.
Auch die Abwertung des Euro sieht Mario Draghi als einen Erfolg. Abwertungen sind aber nicht nur positiv. Importeure sind Verlierer, während Exportunternehmen profitieren. Dies setzt aber voraus, dass ein Land große Teile seiner Exporte außerhalb der Eurozone hat. Gerade aber in den Ländern, die Draghi unterstützen möchte, ist dies nicht der Fall. Außerdem ist es nicht Aufgabe der EZB, den Wechselkurs zu manipulieren.
Die jüngsten Kurssprünge bei Euroaktien sind in erster Linie der EZB-Politik zuzuschreiben. Da die Unternehmensgewinne allerdings nicht mithalten können, sind Aktien mittlerweile teuer. Es scheint, dass die EZB eine Vermögenspreisblase befeuert. Vielerorts ist zu hören, dass aufgrund der niedrigen Zinsen (die die EZB gezielt herbeiführt) die Anlage in Aktien alternativlos sei. Dividenden seien der neue Zins. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Kursschwankungen von Aktien um ein vielfaches höher sind als bei Anleihen. Angesichts der hohen Bewertung überwiegen aus fundamentaler Sicht derzeit die Kursrisiken. Schließlich sind Aktien auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses inzwischen deutlich teurer als während der vergangenen zehn Jahre. Auch alternative Bewertungsmaßstäbe mahnen zur Vorsicht. So wird der DAX derzeit zum Zweifachen seines Buchwertes gehandelt. Nur auf dem Höhepunkt der New Economy-Blase wurde noch mehr bezahlt. Mit einem Kurs-Cashflow-Verhältnis von deutlich über 8 haben deutsche Aktien zuletzt sogar die Bewertungsspitzen aus dem Jahre 2000 übertroffen. An die nachfolgende Kurskorrektur von über 70 Prozent mag man sich nur ungern erinnern. So bleibt zu hoffen, dass die Kursblase nicht noch weiter aufgepumpt wird und die nachfolgende Korrektur weniger stark ausfallen wird als damals. Aber selbst bei einem Rückgang von 20 Prozent würden vermutlich Einige fordern, dass die EZB auch dort eingreifen müsse. Welch ein Irrsinn!
Beitrag erschienen in "Die Welt", 24. März 2015
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