? Frau Dickmann, Ihr Projekt hat sich ausdrücklich an spätausgesiedelte Jugendliche gerichtet, dabei leben auch viele andere junge Menschen mit Suchtgefahren. Brauchen die etwa keine Hilfe?
! Doch natürlich, keine Frage. Aber, sehen Sie: Obwohl Aussiedler in der deutschen Bevölkerung nur etwa drei Prozent ausmachen, bilden sie bundesweit in vielen Drogenberatungsstellen leider fast 30 Prozent der Kundschaft. Zudem verhalten sich diese Jugendlichen in der Öffentlichkeit besonders auffällig. In Münster war das zum Beispiel in den Stadtteilen Gievenbeck und vor allem Berg Fidel der Fall. Hier trafen sich manchmal bis zu 60 Jugendliche auf einem Parkplatz, tranken Alkohol, verursachten Lärm, ängstigten die Anwohner und hinterließen Müll. Die Gruppe hatte einen besonders riskanten Umgang mit Alkohol und Cannabis, war aber für die Jugend- und Suchthilfe oft unzugänglich, weil sie sich extrem abschottete. All das machte ein eigenes Projekt sinnvoll.
? Jugendgruppen grenzen sich doch häufig ab. Was ist denn so besonders an Spätaussiedlern?
! Zum einen die Sprache. Wir haben die Bewohner der Stadtteile und auch die Betroffenen selbst zu Beginn des Projekts gefragt, was für die Arbeit mit den jugendlichen Aussiedlern wichtig ist. Eine Antwort war: Russisch sprechende Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Ich glaube, gerade bei dieser Zielgruppe ist das elementar. Zweitens war uns wichtig, die Eltern der Jugendlichen in das Projekt einzubinden. In den Aussiedlerfamilien herrscht zumeist noch immer ein autoritärer Erziehungsstil. Die Eltern kennen die neue Welt ihrer Kinder wenig und reagieren auf Unbekanntes oft mit Verboten. Das hemmt die Integration der Kinder und erzeugt gleichzeitig viel Frust. Sprachlosigkeit und Frust wiederum führen nicht selten zum Umgang mit Drogen. Hier haben wir angesetzt.
? Wie zum Beispiel?
! Wir haben gezielt Informationsabende mit bis zu zwölf Elternteilen veranstaltet, so genannte "Home-Partys". Diese fanden in einem privaten Rahmen statt, also etwa bei einer Familie im Wohnzimmer. Ich stellte dabei unser Projekt vor und wir sprachen zunächst über die Unterschiede der Erziehung in deutschen und in Aussiedlerfamilien. Später thematisierten wir dann legale und illegale Drogen: Welche Substanzen haben welche Auswirkungen? Wie kann ich mit meinem Kind über Drogen sprechen? Welche Hilfesangebote im Suchtbereich macht die Stadt Münster? Außerdem ermutigten wir die Eltern, klare Regeln für den Umgang mit Zigaretten und Alkohol aufzustellen und auch selbst ein gutes Vorbild zu sein.
? Und, hat es funktioniert?
! Ich denke, ja. Die Auswertung belegt etwa, dass die Jugendlichen zum Beispiel ihren Alkoholkonsum um 50 Prozent reduziert haben. Außerdem erlebten wir einen deutlichen Rückgang des auffälligen Verhaltens im öffentlichen Raum. Nach Angaben der Polizei fand auf den Straßen kein strafbares Verhalten mehr statt. Ausführliche Interviews zu Beginn und am Ende des Projekts zeigen, dass die Eltern und Jugendlichen jetzt viel mehr über psychoaktive Substanzen wissen. Sie können die Risiken von Drogen eindeutig besser abschätzen. Ich glaube, unsere Botschaften sind angekommen.
? Was passiert nun mit den Ergebnissen des Projekts?
! Im kommenden September wird in Kooperation mit dem LWL-Landesjugendamt Westfalen eine große Infoveranstaltung stattfinden. Unser Ziel ist es dabei, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für Schulungen zu interessieren, damit das Projekt auch in anderen Regionen und Städten Deutschlands umgesetzt werden kann. Die Verantwortlichen andernorts sollen mit einer Materialsammlung oder - wie wir salopp sagen - einer Art "Kochbuch" das münsterische Präventionsbeispiel auf ihre Verhältnisse übertragen können.