Ferien-Verlängerung mit Hilfe einer „Notlüge“?
Der eine oder andere unter uns, für den nach den großen Ferien eigentlich wieder der „Ernst des Lebens“ in Schule, Uni oder Büro losgehen sollte, hat sicher schon mal eine Verlängerung mit Hilfe einer „Notlüge“ herausgeholt. Da mag der Koffer im falschen Flieger gelandet sein, der Fuß unglücklich verknackst, oder die berühmten „Schwindelanfälle“ bewahren noch ein wenig vor dem Alltagstrott.
So mancher Lehrer, Arzt oder Arbeitgeber könnte ein ganzes Buch über die fantasievollen Ausreden veröffentlichen, die ihnen täglich aufgetischt werden. Und genau das haben der Pädagoge und Psychologe Prof. Dr. Gisbert Roloff, der Orthopäde und Internist Dr. med. Andrzej Angielczyk sowie die Psychologin Priv. Doz. Dr. Barbara Zoeke getan. In ihrem ungewöhnlichen Ratgeber „Anleitung für Simulanten“ geht es ohne erhobenen Zeigefinger darum, wie man den anderen und sich selbst etwas vormacht. Denn dies sei einerseits eine evolutionsbiologische Tatsache zum Zwecke des Überlebens, andererseits eine Art intelligentes Gesellschaftsspiel mit offenem Ausgang.
Wir sind alle Simulanten
„Wie war das damals, als die Mathearbeit ohne Sie geschrieben wurde? Hatten Sie sich nicht beim Freund Ihres Vaters, einem verständnisvollen Hausarzt, ein Attest besorgt? Waren Sie wirklich erkältet oder war Ihnen einfach flau im Magen, weil Sie nicht genug gelernt hatten?“ Diese oder ähnliche Fragen kann sich wohl jeder stellen, denn das ganze Leben scheint manchmal eine einzige Prüfung zu sein, auf die man sich nicht richtig vorbereiten konnte. Und noch heute werden Schüler mit Thomas Manns Roman über den Hochstapler und Simulanten Felix Krull oder Theodor Fontanes Dreiecksgeschichte über Effi Briest nicht nur an die Kraft der Sprache, sondern vielmehr an eine Kultur des Schummelns und Simulierens herangeführt, die von Anbeginn des Lebens dazu dient, unangenehmen Situationen auszuweichen oder sich den einen oder anderen Vorteil zu verschaffen.
Täuschung ist kein Privileg von ausgefuchsten Schwindlern oder Betrügern, denn schon sechs Monate alte Babys beherrschen diese Kunst. Sie täuschen gänzlich amoralisch, wenn sie bei Mami und Papi mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung erreichen wollen. Und jeder hat schon amüsiert zugeschaut, sei es im Supermarkt oder im Zug, wie so ein kleiner Fratz seine besorgten Eltern vorführt. Es liegt wohl nicht an den individuellen Genen, sondern die gesamte Menschheitsgeschichte scheint auf Lug und Trug gebaut. Biologen und Soziobiologen haben längst nachgewiesen, dass Täuschung und Tarnung als Überlebensprinzipien auf der gesamten Stufenleiter des Lebendigen anzutreffen sind.
Ist der Ehrliche immer der Dumme?
Für die Autoren ist dies kein Grund, an der Menschheit zu verzweifeln oder diese gar zu verurteilen. Im Gegenteil: Es gilt, sich die Dinge genauer anzusehen. In der Hirnentwicklung höher stehende Tiere – und selbstverständlich auch Menschen – sind in der Lage, auf die jeweilige Situation mit Werkzeuggebrauch, mit Intelligenz und Lernen zu reagieren. Entsprechend vielfältig und ausgeklügelt sind die Täuschungsmanöver. Gerade bei sozial lebenden Tieren – zu denen auch der Mensch gehört – bedeutet dies, dass nicht nur der körperlich Starke, sondern auch der besonders Gewitzte sich und seine Gene durchzusetzen weiß. Und wer die Geschichte menschlicher Sozietäten betrachtet, wird schnell bemerken, dass die Alphatiere längst nicht mehr die körperlich Stärksten sein müssen; an die Spitze rücken die, die sämtliche Tricks beherrschen. Auf der Ebene der höheren Hirnleistungen fördert Täuschung also die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten – sowohl bei den Getäuschten als auch bei den Täuschern.
Selbstverständlich hat jede Medaille ihre Kehrseite, wie die Experten für allzu menschliche Angelegenheiten trotz des Augenzwinkerns nicht verschweigen. Denn oft stellt sich die Frage, ob das Täuschen angesichts skandalöser Arbeitsbedingungen oder belastender Lebensanforderungen zuweilen nur das Richtige im Falschen sucht. Oder wie ein aktueller Fall zeigt: ob ein erfundener Lebenslauf nicht ebenso verwerflich ist wie der gesellschaftliche Anspruch, immer mehr sein zu wollen, als man ist. Wer also wieder einmal jemanden beim Schummeln ertappt, sollte nach dieser Pflichtlektüre für Lehrer fragen, ob sich die offenbare Intelligenz nicht einfach besser und ehrlicher nutzen ließe.
Buch-Tipp:
Gisbert Roloff / Andrzej Angielczyk / Barbara Zoeke: Anleitung für Simulanten. Reiseführer ins Schummelland. Mankau Verlag 2014, Taschenbuch, 12 x 19 cm, 191 S., 9,95 € (D) / 10,30 € (A), ISBN 978-3-86374-153-2.
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