Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer eins. Kein anderes Leiden führt so häufig zu einer Krankschreibung. Wenn heftige Schmerzen ins Kreuz schießen, denken die meisten Menschen sofort an eine defekte Bandscheibe. „Doch nicht immer sind die sensiblen Puffer zwischen den Wirbeln schuld“, sagt der renommierte Wirbelsäulenexperte Dr. Reinhard Schneiderhan aus München-Taufkirchen. „In bis zu 30 Prozent der Fälle kann das Iliosakralgelenk die gleichen Beschwerden verursachen. Das gilt es unbedingt abzuklären, denn davon hängt der Erfolg der Behandlung ab.“
Das etwa handtellergroße Iliosakralgelenk, kurz ISG genannt, befindet sich am Übergang zwischen Darmbein und Kreuzbein. Es verbindet den unteren Anteil der Wirbelsäule mit dem Becken. „Es ist nicht besonders groß, muss aber aufgrund seiner Lage enormen Belastungen standhalten, weil es den Oberkörper mittragen muss“, sagt Dr. Schneiderhan. „Außerdem ist es für die Kraftweiterleitung an das Becken und die Wirbelsäule verantwortlich.“ Diese Aufgaben müssen die Muskeln und Bändern übernehmen. Doch genau diese sind bei vielen Menschen aufgrund des grassierenden Bewegungsmangels und der fehlenden sportliche Betätigung oft zu schwach.
Bei der Diagnose dieser Schmerzen droht leider allzu häufig Verwechslungsgefahr. Da sie die größte Last tragen müssen, bereiten die Bandscheiben im Lendenwirbelbereich auch die häufigsten Beschwerden. Allerdings liegt das ISG in direkter Nachbarschaft. Deshalb denken auch viele Ärzte an einen Bandscheibenvorfall, wenn Patienten in die Praxis kommen. „Bei mäßigen Schmerzen ist das nicht weiter schlimm, da beide Krankheitsbilder mit Physiotherapie und schmerzlindernden Medikamenten behandelt werden, sagt der Rückenexperte. „Ganz anders sieht die Behandlungsstrategie aber bei starken Schmerzen aus. Hier ist die richtige Diagnose entscheidend.“
Wichtig zu wissen: Die Symptome der beiden Krankheitsbilder unterscheiden sich. Bei einem schweren Bandscheibenvorfall strahlen die Schmerzen nicht selten ins Bein aus. Es kann auch zu Taubheitsgefühlen und Lähmungen kommen. Manche Patienten berichten zudem von Problemen beim Wasserlassen oder sie sind nicht mehr in der Lage ihre Füße zu heben oder auf den Zehenspitzen zu stehen. „Bei einem ISG-Syndrom hingegen kommt es zu einseitigen Schmerzen oder plötzlich einsetzenden Druckbeschwerden“, sagt Dr. Schneiderhan. „Lähmungserscheinungen hingegen treten bei diesem Krankheitsbild nicht auf. Mit einer ausführlichen Anamnese und der richtigen Strategie bei der Diagnose können wir die Krankheitsbilder gut voneinander trennen.
Die gute Nachricht: Ebenso wie beim Bandscheibenvorfall ist auch beim ISG-Syndrom nicht immer ein operativer Eingriff nötig. In vielen Fällen helfen konservative Maßnahmen. „Zu den Hauptursachen für das ISG-Syndrom zählt eine zu schwache Muskulatur“, sagt Dr. Schneiderhan. „Deshalb sind physiotherapeutische und trainingsmedizinische Maßnahmen sehr wichtig. Patienten sollten auch nach Beendigung der verordneten Therapiemaßnahmen unbedingt weiter am Muskelaufbau arbeiten.“
Reichen diese Maßnahmen nicht aus, kann eine so genannte Infiltrationstherapie helfen. Betäubende Arzneien werden exakt an den schmerzenden Bereich gespritzt und schalten so den Schmerz quasi aus. Eine weitere Therapieoption ist die minimal-invasive perkutane ISG-Fusion. „Dabei handelt es sich um eine Schlüsselloch-OP zur Stabilisierung des ISG mit Metallimplantaten“, erklärt Dr. Schneiderhan. „Diese werden aus Titan mit einem 3D-Drucker in einem sehr aufwendigen Verfahren speziell dafür hergestellt, dass sie schnellst möglich einwachsen und das ISG sofort stabilisieren, ohne zu brechen oder locker zu werden.“