Wie so oft rücken manche Bereiche des Körpers erst dann in den Blickpunkt, wenn sie sich schmerzhaft zu Wort melden. So auch das Iliosakralgelenk, kurz ISG genannt. Es befindet sich im untersten Bereich der Wirbelsäule. Genauer gesagt zwischen dem Ilium und dem Sakrum. Beim Ilium handelt es sich um den flügelartigen Teil des Beckenknochens, beim Sakrum um einen dreieckigen Knochen, der aus fünf miteinander verschmolzenen Wirbeln besteht.
„Das Iliosakralgelenk hat vor allem drei wichtige Aufgaben, sagt Dr. Reinhard Schneiderhan vom gleichnamigen medizinischen Versorgungszentrum in München-Taufkirchen. „Allen voran die Kraftübertragung zwischen dem Rumpf und den unteren Extremitäten, beim Gehen, Laufen und Heben schwerer Lasten. Es trägt aber auch zur Dämpfung von Stößen bei und ist wichtig für eine aufrechte Haltung.“ Mit anderen Worten: Es muss großen Belastungen standhalten können. Nötig dafür sind ausreichend starke Muskeln und Bänder. Doch genau diese sind bei vielen Menschen oft nicht stark genug. Stichwort: Bewegungsmangel.
Meist treten die Probleme beim falschen Heben schwerer Gegenstände auf, oder wenn man ins Leere tritt. Rückenerkrankungen wie Spondylolisthesis, Entzündungen oder degenerative Wirbelsäulenveränderungen könne ebenfalls die Ursache sein. „Relativ häufig ist das ISG-Syndrom bei Läuferinnen und Läufern, die auf Krafttraining verzichten“, sagt Dr. Schneiderhan. „Bei ihnen liegt häufig ein Ungleichgewicht zwischen hüftbeugender und hüftstreckender Muskulatur vor.
Wichtig zu wissen: Bei der Diagnose kommt es leider recht häufig zu einer Verwechslung. Da die Bandscheiben im Bereich der Lendenwirbelsäule und das ISG so dicht beieinander liegen, vermuten Ärzte einen Bandscheibenvorfall als Ursache. „Bei mäßigen Schmerzen ist das nicht weiter schlimm, da beide Krankheitsbilder mit Physiotherapie und schmerzlindernden Medikamenten behandelt werden“, sagt der Rückenexperte. „Ganz anders sieht die Behandlungsstrategie aber bei starken Schmerzen aus. Hier ist die richtige Diagnose entscheidend.“
Eigentlich lassen sich die Symptome der beiden Krankheitsbilder aber gut unterscheiden. Bei einem schweren Bandscheibenvorfall strahlen die Schmerzen oft ins Bein aus. Auch Taubheitsgefühle und Lähmungen sind möglich, was Probleme beim Wasserlassen verursachen kann. Häufig kommt es vor, dass man nicht mehr in der Lage ist, die Füße zu heben oder auf Zehenspitzen zu stehen.
„Bei einem ISG-Syndrom hingegen kommt es zu meist einseitigen Schmerzen oder plötzlich einsetzenden Druckbeschwerden“, sagt Dr. Schneiderhan. „Lähmungserscheinungen treten bei diesem Krankheitsbild nicht auf. Mit einer ausführlichen Anamnese und der richtigen Strategie bei der Diagnose können wir die Krankheitsbilder gut voneinander trennen.“
Die gute Nachricht: Ebenso wie beim Bandscheibenvorfall ist auch beim ISG-Syndrom nicht immer ein operativer Eingriff nötig. In vielen Fällen helfen konservative Maßnahmen, allen voran ein Muskelaufbautraining. Helfen können vor allem physiotherapeutische und trainingsmedizinische Maßnahmen. „Aber es ist wichtig und entscheidend am Ball zu bleiben und auch nach Beendigung der Therapie weiter regelmäßig zu trainieren“, sagt Dr. Schneiderhan. „Schon zweimal wöchentlich 30 Minuten an nicht aufeinanderfolgenden Tagen reichen aus.“
Reichen diese Maßnahmen nicht aus, kann eine so genannte Infiltrationstherapie helfen. Betäubende Arzneien werden exakt an den schmerzenden Bereich gespritzt und schalten so den Schmerz quasi aus. Eine weitere Therapieoption ist die minimal-invasive perkutane ISG-Fusion. „Dabei handelt es sich um eine Schlüsselloch-OP zur Stabilisierung des ISG mit Metallimplantaten“, erklärt Dr. Schneiderhan. „Diese werden aus Titan mit einem 3D-Drucker in einem sehr aufwendigen Verfahren speziell dafür hergestellt, dass sie schnellstmöglich einwachsen und das ISG sofort stabilisieren, ohne zu brechen oder locker zu werden.“