Rosberg: Auf jeden Fall. Total. Es fühlt sich einfach gut an. Auch das Zurückschauen. Bei Büchern liebe ich es, wenn sie ein phänomenales Ende haben. Mein Formel 1-Buch hat so ein Ende. Besser hätte ich es mir niemals erträumen können. Dieses Kapitel mit dem Erreichen des ultimativen Ziels zu schließen ist ein tolles Gefühl, das ich jetzt auch in den nächsten Schritt mit hineinnehme. Da ist eine Freude, eine Erfülltheit. Das macht Laune auf die Zukunft.
Happy end ist also wichtig für Sie?
Rosberg: Sagen wir so: Ein gigantisches, emotionales Ende. Aber mag das nicht jeder?
Wie haben Sie die ersten zwei Monate Ihres Ruhestandes verbracht?
Rosberg: Ich fand es spannend. Es ist schon ein anderes Leben. Ich musste mich erst einmal neu organisieren. Und entdecken, was ich in Zukunft will. Der erste Gedanke ist, etwas zurückzugeben. Deshalb engagiere ich mich im Moment für Aktionen, die einem guten Zweck dienen. Ich war bereits in Kinderkrankenhäusern. Da bin ich gerade auf der Suche, auf diesem Gebiet eine Herzensangelegenheit zu finden.
Als Sportler lebt man unheimlich diszipliniert. Dürfen Sie jetzt endlich mal faul sein?
Rosberg: Ich wusste anfangs auch nicht, was auf mich zukommt. Aber eigentlich hat sich nichts verändert. Ich lebe weiter nach Plan und diszipliniert, mache mein Training, verbringe meine Zeit im Büro und mit der Familie. Alles ist schön durch getaktet. Das gibt meinem Tag einen Sinn und eine Struktur. So fühle ich mich am wohlsten. Sobald ich loslasse, kommt es nicht gut. Dann gehe ich auf Facebook oder YouTube und werde süchtig danach. Ich muss immer so ein bisschen die Kontrolle behalten.
Trainieren Sie noch so hart wie früher?
Rosberg: Vorher war das Training ein Muss, jetzt ist es Freude. Ich trainiere auch anders. Jetzt mache ich Muskelaufbau. Vorher ging das nicht. Es hätte ja mehr Gewicht bedeutet.
Wenigstens können Sie jetzt essen was Sie wollen?
Rosberg: Auch das nicht. Ich halte meinen Ernährungsplan bei. Eine Pizza ist schon eine Ausnahme.
Sind Sie da nicht ein bisschen zu hart zu sich selbst?
Rosberg: Gar nicht. Ich kann nicht nur so ein bisschen etwas tun. Entweder volles Training oder Bierbauch. Halbe Sachen gibt's bei mir nicht. Ich war in diesen Rhythmus drin, und er tut meinem Leben gut. Da kenn ich mich.
Das ist also nicht nur übergangsmäßig?
Rosberg: Das ist meine Art und Weise zu leben.
Wie viel Mut braucht es, so eine Entscheidung am Höhepunkt der Karriere zu treffen?
Rosberg: Es war eine schwierige Entscheidung. Für diesen Sport habe ich 25 Jahre gelebt, tagein, tagaus. Und es war ein Riesen-Erlebnis. Ich stelle jetzt mein Leben auf den Kopf. Es war nicht einfach, das alles zurückzulassen. Der Gedanke war eine Sache. Es wirklich zu tun, eine andere. Das war schon hart. Bis zuletzt wusste ich nicht, ob ich die Courage habe, es auch final durchzuziehen.
Der erste Gedanke kam Ihnen in Suzuka. Hätte es in den 8 Wochen bis zur Entscheidung noch einmal ein Zurück geben können?
Rosberg: Am Anfang war es nur ein Gedanke. Wenn es mit dem WM-Titel nicht geklappt hätte, wäre ich weitergefahren. Der Gedanke hat sich mit jedem Rennen mehr verfestigt. Nach dem letzten Rennen war ich mir dann sicher, dass ich nicht weitermachen will.
Wenn Sie nicht gewonnen hätten, hätten Sie aber mindestens die gleichen Opfer und Entbehrungen in Kauf nehmen müssen. Hätten Sie das geschafft?
Rosberg: Ich bin nicht einer, der aufgibt. Ohne das große Ziel hätte ich es noch einmal probiert, obwohl mehr Einsatz wie im letzten Jahr nicht mehr geht. Mein rennsportlicher Lebenstraum war Formel 1-Weltmeister. Für mich war klar: Bevor ich das nicht erreicht habe, gehe ich nicht nach Hause. Als ich den Titel hatte, gab das mit das Gefühl: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.
Wenn Sie 2014 schon Weltmeister geworden wären: Hätten Sie den Entschluss schon damals gefasst?
Rosberg: Kann ich nicht sagen. Ich hatte damals diese Gedanken nicht. Das wäre wahrscheinlich zu früh gewesen.
Manche bereiten den Rücktritt ein Jahr lang gedanklich vor. Bei ihnen kam er plötzlich. Warum?
Rosberg: So war es besser. Ich konnte mich voll auf meinen Job fokussieren und habe nicht lange darüber gegrübelt. Es war einfach ein starkes Gefühl. Ich zieh das jetzt durch.
Was war den entscheidender für den Rücktritt: Das Erreichen des Ziels oder der brutale Druck und der Verzicht?
Rosberg: Der Druck, die Opfer, der Verzicht: Das ist normal im Sport. Das habe ich ja auch gesucht. Dafür haben wir ja auch ein tolles Leben als Formel-1-Piloten. Die positiven Seiten überwiegen ja deutlich. Das hat nicht die entscheidende Rolle gespielt. Eher im Gegenteil. Da war ja Teil der Herausforderung.
Hätte sie nach dem Rennen in Abu Dhabi und der Bekanntmachung des Rücktritts noch jemand umstimmen können?
Rosberg: Nein. Mein bester Kumpel hat es versucht. Er hat mir gesagt: Jetzt weiß ich, wie sich meine Schwester gefühlt hat, als die Boy-Group "Take That" auseinander gegangen ist. Dann hat er gesagt: "Nico, beweg dich nicht! Bleib wo du bist, ich komme!" Da war ich schon in Wien, kurz vor der Pressekonferenz. Er wollte das mit mir nochmal besprechen. Genau das wollte ich nicht. Zwei Stunden später musste ich auf die Bühne. Da brauchte ich mein geballtes Selbstbewusstsein, damit ich da nicht in Tränen ausbreche.
Bei wem fiel die Beichte am schwersten?
Rosberg: Bei meinem Vater. Ich habe meine Mutter gebeten, sie soll es ihm sagen. Ich wollte es nicht mit meinem Vater diskutieren, bevor ich auf die Bühne gehe. Das wäre zu intensiv geworden. Ich weiß nicht, wie er da reagiert hätte. Er war ja mein größter Fan. Er war am nächsten dran an meiner Karriere und am leidenschaftlichsten dabei. Wir sind den Weg die ganzen Jahre zusammen gegangen. Und mit Sicherheit hat er sich nach dem Titel auf die nächsten Jahre gefreut. Für ihn war das auch ein großer Schock im ersten Moment.
Hat er versucht, Sie umzustimmen?
Rosberg: Überhaupt nicht. Erstmal war er sprachlos. Mit der Zeit kam bei ihm der Gedanke: Er ist glücklich, wenn sein Sohn glücklich ist.
Ihr Vater hat ja auch relativ überraschend mitten in der Saison 1986 seinen Rücktritt erklärt.
Rosberg: Ja, es gibt da schon Ähnlichkeiten. Auch seine Karriere hat 20 Jahre gedauert, auch sein Kind war zu dem Zeitpunkt gerade eineinhalb Jahre alt.
Ihr Vater wurde aber rückfällig. Schließen Sie das für sich aus?
Rosberg: Ein Comeback schließe ich aus. Für mich war es mega, aber das Kapitel ist jetzt zu Ende. Ich freue mich einfach auf den nächsten Schritt. Der wird genauso toll und so wichtig wie der vorherige. Da bin ich jetzt auch auf der Suche.
Sie kommen also auch nicht in die DTM oder nach Le Mans zurück?
Rosberg: Auch das nicht.
Sind die Batterien mit 31 Jahren wirklich schon leer?
Rosberg: Überhaupt nicht. Ich werde sie jetzt nur in einem anderen Leben einsetzen, im nächsten Schritt meines Lebens.
Was sagen Sie zu den Reaktionen zu Ihrem Rücktritt?
Rosberg: Es war schön zu sehen, dass der Großteil so positiv reagiert hat. Das hätte ich so nicht erwartet. Auch wenn ich mir darüber vorher keine Gedanken gemacht habe, wie die Reaktionen wohl ausfallen.
Ein Kritikpunkt war, Sie wären kein Racer mit Herz, sondern mit Berechnung. WM-Titel, und Schluss. Was sagen Sie dazu?
Rosberg: Das verstehe ich nicht. Du kannst nicht Weltmeister ohne Leidenschaft werden. Seit 11 Jahren habe ich alles in diesen Sport gesteckt. Das geht nur mit Passion.
Bleibt die Leidenschaft für den Sport oder werden Sie auch mal einen Grand Prix am Fernseher verpassen?
Rosberg: Ich bin jetzt einfach nur noch ein Riesen-Fan. Jetzt habe ich endlich die Zeit, die ganzen Webseiten durchzulesen. Das habe ich bis jetzt nicht gemacht, weil ich mich nicht negativ wie positiv beeinflussen lassen und 100 Prozent Energie in meinen Sport stecken wollte. Klar, werde ich alle Grand Prix anschauen. Darauf freue ich mich schon. Es wird auch ein paar komische Momente geben. Zum Beispiel wenn Valtteri mit meinem Auto auf der Pole Position steht. Aber auf das bin ich vorbereitet. Das Team ist einfach unglaublich gut, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Mercedes gut laufen wird, ist groß.
Haben Sie Angst vor dem schwarzen Loch?
Rosberg: Da hilft mir mein Interesse an der Philosophie. Dadurch habe ich viel über das Leben gelernt und wie die Menschen ticken. Ich verstehe, warum ein Mensch in ein schwarzes Loch fällt. Warum haben so viele Rockstars Probleme mit Drogen, wenn sie die große Bühne nicht mehr haben? Das habe ich versucht zu verstehen. Das hilft mir, wenn ich mal in eine schwierige Phase komme. Formel 1 ist so eine intensive Erfahrung. Das hat mein Leben bis jetzt dominiert. Wenn du da rausgehst, wird es schon ein paar Momente geben, die sich komisch anfühlen. Trotzdem bin ich guter Dinge. Momentan freue ich mich so auf das, was kommt. Aber ich weiß, dass es viele Sportler erwischt hat. Ich habe meine Familie als Basis. Das verhindert, dass ich in eine Leere reinfalle.
Mika Häkkinen hat sein Comeback damit begründet, dass er nicht mehr damit klar kam in der Mittelmäßigkeit zu Leben. Im Motorsport hatte er etwas, wo er der Beste sein konnte. Im normalen Leben nicht. Könnten Sie solche Gedanken auch befallen?
Rosberg: Das ist für jeden Menschen schwierig. Für jeden Sportler, Sänger oder Schauspieler kommt das einmal. Nicht das Mittelmaß, aber dass es ihn drastisch reduziert. Wenn du Weltmeister bist oder der größte Sänger der Welt, dann wirst du so hochgehoben, dass du danach fallen musst. Das ist für alle eine schwierige Situation. Ich habe aber nicht vor ins Mittelmaß abzudriften, ganz und gar nicht. Ich will weiter etwas bewirken. Da suche ich jetzt meinen Weg.
Haben Sie denn schon einen Plan für Ihr neues Leben?
Rosberg: Weniger. Die Botschafter-Rolle für verschiedene Marken liegt mal vor der Haustür. Das gibt mir Zeit, mir darüber hinaus Gedanken zu machen, wie mein neues Leben aussehen könnte.
Muss das zwangsläufig etwas mit dem Motorsport zu tun haben?
Rosberg: Alles ist möglich. Es ist natürlich einfacher, etwas mit dem Sport zu machen. Ich will dem Motorsport unbedingt irgendwie erhalten bleiben. Das ist meine Passion, ich bin im Fahrerlager aufgewachsen. Es gibt da viele Möglichkeiten. In einer offiziellen Rolle, als Manager von jungen Fahrern, Arbeit für Sponsoren. Mal sehen.
Können Sie sich vorstellen, Teamchef zu werden?
Rosberg: Langfristig bin ich für alles offen.
Sie interessieren sich auch für Schauspielerei. Wie kommen Sie da drauf?
Rosberg: Das wäre eine coole Herausforderung. Über unsere Werbefilme bin ich mit dem Metier etwas in Kontakt gekommen. Das ist schon extrem schwierig. Es würde mich interessieren, ob ich das draufhabe. Aber letztendlich ist es auch ein Handwerk, das man draufhaben muss.
Haben Sie Ihre Formel 1-Autos gesammelt?
Rosberg: Nein. Das ist auch eine Geldfrage. Wenn du dir das Auto am Ende der Saison in den Vertrag schreiben lässt, hast du weniger Grundgehalt. Rückblickend hätte ich mein Weltmeister-Auto schon gerne in der Garage stehen. Am liebsten noch neben dem Weltmeister-Auto von meinem Vater, das wir auch nicht haben.
Wie schwer wird es Ihr Nachfolger bei Mercedes haben?
Rosberg: Das ist keine einfache Situation. Lewis ist fest im Team verankert, dreifacher Weltmeister und mega-schnell. Valtteri kommt komplett neu rein. Sein Vorteil ist, dass es neue Regeln gibt. Die Autos sind für alle neu. Lewis muss sich auch erst ans optimale Set-up herantasten. Aber Valtteri ist ein großes Talent. Er hat Massa jedes Jahr geschlagen, genauso wie es vorher Alonso bei Ferrari gemacht hat. Von daher kann er eine starke Leistung zeigen.
Hat sich Bottas von ihnen schon ein paar Tipps geholt?
Rosberg: Ja, er hat mich kontaktiert. Und ich werde mich mit ihm auch mal treffen. Nur die Geheimnisse von Lewis, die kriegt er nicht von mir. Die muss er selber rausfinden. Ich möchte neutral bleiben. Ich mache es, um dem Team zu helfen, um es besser zu machen. Die Konkurrenz schläft nicht.
Hat Mercedes die richtige Wahl getroffen?
Rosberg: Valtteri ist die perfekte Lösung. Er passt menschlich gut ins Team. Und er ist unheimlich motiviert. Er hat zum Start eine ganze Woche mit dem Team verbracht. Das machen nicht viele Fahrer. Er hat einen sehr guten Kopf, ist bodenständig. Das kann auch gut mit Lewis klappen, und das ist nicht so einfach.
Hatten Sie mit Hamilton Kontakt seit Ihrer Rücktrittserklärung?
Rosberg: Ja, hatten wir. Es gab schon gute Gespräche. Von meiner Seite aus ist es eine gute Gelegenheit, uns wieder besser zu verstehen. Es war schön, dass er vor meinem Rücktritt großen Respekt gezeigt hat.
Haben Sie Hamilton die Spielchen von Abu Dhabi übelgenommen?
Rosberg: In dem Moment ja. Da war Monaco noch im Kopf, wo ich ihn vorbeilasse um dem Team zu helfen. Und er macht komplett das Gegenteil. Nach dem Abu Dhabi-Rennen habe ich verstanden, dass es besser für mich war. Die Freude war umso größer. Aus diesen unglaublich schwierigen Bedingungen rauszukommen, hat den Titel noch wertvoller gemacht. Da gab noch einmal einen Kick für meine Emotionen.
Wem würden Sie am liebsten den WM-Pokal nächstes Jahr geben?
Rosberg: Die Person gibt es ich. Ich hoffe einfach, dass es ein Mega-Jahr wird. Wäre schön, wenn ein paar Teams um den Titel kämpfen. Mercedes, Ferrari und Red Bull. Das ist so mein Gefühl. Red Bull wird sicher stark sein. Neue Regeln und Adrian Newey, das ist so eine Hochzeit, die normalerweise funktioniert. Die Fahrer bei Red Bull sind auch top.
Wo liegt die Stärke von Mercedes?
Rosberg: Das Team. 2012 waren die nirgendwo. Ross Brawn und Norbert Haug haben den Grundstein gelegt. Toto Wolff mit der Hilfe von Niki Lauda und Paddy Lowe haben auf dieser Basis etwas geschaffen, das eine unglaubliche Qualität hat. Das beste Beispiel ist der GP Singapur. 2015 voll daneben. Uns haben 1,5 Sekunden gefehlt, obwohl wir auf allen anderen Strecken überlegen waren. Aber da waren wir einfach schlecht. Das dann zu verstehen und abzustellen, das ist schon einzigartig. Ich sage ihnen, da kommt kein anderer drauf. Ein Jahr später dominieren wir das Rennen mit einer halben Sekunde Vorsprung. Das zeigt schon eine unglaubliche Kompetenz. Die Stimmung im Team ist einfach phänomenal. Wie meine Jungs für mich gekämpft haben, das war einzigartig.
Steht Ihr erster Rennbesuch schon fest?
Rosberg: Monaco. Ohne, das er feststeht, steht er fest, weil er vor der Haustür liegt.
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