Winterzeit ist Erntezeit im Solling. Wie hier bei Amelith brummen derzeit die Sägen an vielen Orten des Sollings - mit 38.500 Hektar nach dem Harz übrigens das zweitgrößte Waldgebiet Niedersachsens. Das Fällen von Bäumen wie diesen ist für Forstwirt Greve, der mit seinem Kollegen Holger Warnecke gemeinsam arbeitet, zunächst einmal ein technischer Vorgang , bei dem besonders präzise und ordentlich gearbeitet werden muss, um den wertvollen Rohstoff Holz zu ernten. Es ist aber auch ein Stück weit ein emotionaler Vorgang: "Wir ernten, was mehrere Generationen von Forstleuten aufgebaut und gepflegt haben. Und wir wiederum pflanzen und pflegen, was Generationen nach uns einmal ernten werden", sagt Greve. Denn allem Wirtschaften im Walde liege das forstliche Gesetz der Nachhaltigkeit, das vor exakt 300 Jahren geschaffen wurde, zugrunde: Niemals mehr ernten als nachwächst.
Das ist im ganzen Solling so. Weit mehr als die 250.000 Kubikmeter Holz, die pro Jahr zwischen Weser und Leine geerntet werden, wachsen nach. Überwiegend Buchen sind es, aber auch Fichten und Eichen sowie Edellaubhölzer wie Ahorn, Esche und Kirsche. Seit Jahrhunderten gibt der Solling den Menschen der Region nicht nur Bau- und Brennholz, Wildfleisch sowie Erholungsraum, sondern auch Arbeit - entweder direkt im Wald oder in der Holzverarbeitung. Ein gutes Duzend Sägewerke und andere Holzverarbeiter gibt es heute noch rund um dem Solling, der Waldgebiet des Jahres 2013 ist (siehe Hintergrund).
Etwa 100.000 Festmeter Buchenholz ernten die beiden Sollingforstämter, davon sind rund ein Drittel besonders dicke, alte Buchen - so genanntes Starkholz. Nur knapp 1000 Festmeter davon, die erlesensten und besten Buchenstämme, treten ihren Weg in das Unternehmen Fritz Becker KG aus dem westfälischen Brakel an, einem bedeutenden Zulieferer für die Möbelindustrie. Dort werden aus Baumstämmen zunächst Schälfurniere hergestellt und diese dann zu Rohlingen für edle Designerstühlen weiterverarbeitet, etwa für Thonet oder Rolf Benz. Im Schnitt verarbeitet das Unternehmen pro Jahr 15.000 Kubikmeter hochwertiges Buchenholz, das vor allem drei Kriterien erfüllen muss, wie Forstingenieur Eike Siefarth erläutert: "Es muss dick sein, es muss weiß sein und frei von Ästen."
Siefarth ist Holzeinkäufer bei der Fritz Becker KG und schwärmt für die Sollingbuche: "Der Boden des Sollings besteht überwiegend aus Buntsandstein. Das Risiko, dass die Buche einen für uns unerwünschten roten Farbkern im Holz bekommt, ist hier geringer als anderswo." Zudem liege der Solling direkt vor der Haustür des 1936 gegründeten Schälwerkes, das heute 300 Mitarbeiter beschäftigt und 25 Millionen Euro Jahresumsatz erzielt. Die Nähe wirke sich deutlich auf die Transportkosten des Unternehmens aus - bis Neuhaus seien es gerade einmal 20 Kilometer, rund 40 Kilometer bis Dassel oder Uslar.
In Brakel werden die im Schnitt 120 Jahre alten Buchenstämme zunächst in Heißkammern bei 82 Grad rund 48 Stunden gedämpft und dann zu wenigen Millimeter dicken Furnieren geschält - etwa so, wie man eine Küchenrolle abrollt. Eine elektronische Bildverarbeitung erkennt dabei automatisch Fehler und sortiert die betroffenen Holzstücke aus. Nach dem Trocknen werden diese Furniere in mehreren Schichten verleimt und in Formpressen mit bis zu 300 Tonnen Druck zu dreidimensionalen Rohlingen verarbeitet - sie lassen sich in fast jede beliebige Form bringen. "Buchenholz eignet sich hierfür so hervorragend, weil es elastisch, zäh und splitterfrei ist. Buche ist eines der härtesten Holzarten Europas", sagt Siefarth. Zudem sei das Holz von geringem Gewicht bei gleichzeitig hoher Festigkeit.
Kunden aus aller Welt - der Exportanteil liegt bei 40 Prozent - lassen bei Becker Formholzteile aus Buchenfurnieren herstellen. Aus diesen werden später vor allem hochwertige Sitzmöbel. Ob Büro, Wohnung, Sozialeinrichtung oder Konferenzsaal: In Tausenden Räumen der Welt stehen Sitzmöbel, die ihren Ursprung in Brakel hatten - und oft auch in einer Sollingbuche.
Steckbrief: Solling ist das Waldgebiet des Jahres
Der niedersächsische Solling ist Waldgebiet des Jahres 2013. Die 38.500 Hektar Wald, die diese Region des östlichen Weserberglandes prägen, sind Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum gleichermaßen. So profitiert beispielsweise der Tourismus sehr von dem Waldreichtum der Region: Wanderer und Radfahrer nutzen das gut ausgeschilderte Wegenetz. Verschiedene Hochmoorstege und ein Hochseilgarten, ein Baumhaus-Hotel sowie der Erlebniswald und das Hutewaldprojekt, in dem weidende Heckrinder und Exmoorponys die lichten Eichenwälder erhalten sollen, bilden weitere Besucheranreize.
Der Holzreichtum des Sollings stellt einen besonderen Wert für die Region dar: Über 250.000 Kubikmeter werden jährlich nachhaltig geerntet und vermarktet - etwa an die Holzindustrie, aber auch 30.000 Kubikmeter Brennholz an örtliche Kunden. Neben dem Forstpersonal der beiden Sollingforstämter Neuhaus und Dassel arbeiten auch viele selbstständige Unternehmer in den Wäldern - zusammen sind es fast 100 Arbeitsplätze.
Seit über 20 Jahren bewirtschaften die Niedersächsischen Landesforsten den Solling nach den Grundsätzen des so genannten LÖWE-Programms, das für eine langfristige, ökologische Wald-entwicklung steht. Davon profitieren auch viele seltene Tierarten wie Wildkatze, Schwarzstorch, Sperlingskauz und Hirschkäfer, für die der Solling ein wichtiger Lebensraum ist. Um diesen zu schützen werden insgesamt eine halbe Million Kubikmeter Holz nicht genutzt, sondern in Schutzgebieten oder als Totholz im Wirtschaftswald vollständig der Natur überlassen. Allein in den vergangenen fünf Jahren entstanden im Solling 600 Hektar neue Laubmischwälder. Hierfür investierten die Forstämter zwei Millionen Euro.
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