Gleichzeitig haben die Hartz-Reformen die finanziellen Anreize zur Arbeitsaufnahme für kurzzeitig Arbeitslose kaum verändert: Nach wie vor lohnt es sich in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern für einen kurzzeitig Arbeitslosen kaum, eine etwas geringer bezahlte Arbeit anzunehmen. Je nach Haushaltskonstellation haben in Deutschland Arbeitslose und deren Familien sogar weniger Geld in der Tasche, wenn sie, statt weiter von staatlichen Transfers zu leben, schnell einen geringer bezahlten Job annehmen.
So erhält ein Alleinstehender in Deutschland, der zuletzt durchschnittlich verdient hat, nach 5 Jahren Arbeitslosigkeit noch 36 Prozent seines letzten Nettoverdienstes als Transferzahlung. Das ist deutlich weniger als 2001. Damals wurden einem alleinstehenden Langzeitarbeitslosen mit vorherigem Durchschnittsgehalt 54 Prozent seines letzten Nettoverdienstes ersetzt. Jedoch liegen auch nach der Reform die Transfers in dieser Konstellation über dem OECD-Schnitt von 32 Prozent. Die höchsten Transfers in der OECD erhält mit 59 Prozent des letzten Nettos ein Langzeitarbeitsloser in Dänemark (Grafik 1).
Die Familie eines verheirateten Durchschnittsverdieners mit zwei Kindern erhält auch nach den Hartz-Reformen nach 5 Jahren Arbeitslosigkeit noch 62 Prozent des letzten Nettos und damit unerheblich weniger als 2001 (63 Prozent). Im OECD-Schnitt liegt die Nettoersatzrate dagegen nur bei 53 Prozent. Auch hier liegen die Transfers mit 77 Prozent des letzen Nettos in Dänemark (und Finnland) am höchsten (Grafik 2). Größere Einbußen mussten durch Hartz-Reformen jedoch Langzeitarbeitslose hinnehmen, die vor ihrer Arbeitslosigkeit ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt hatten, oder deren Ehepartner ebenfalls Einkommen erzielt (Tabelle NRR Lang 2001-2005).
Trotz der Hartz-Reformen ist es in Deutschland, für jemanden der seinen Job verliert, vergleichsweise unattraktiv, schnell eine neue Arbeit mit einem etwas geringeren Gehalt anzunehmen. So bleiben im OECD-Mittel einem Verheirateten mit 2 Kindern, der zuvor durchschnittlich verdient hat und nach kurzer Arbeitslosigkeit einen Job mit 2/3 des Durchschnittsverdienstes annimmt, nach Abzug von Steuern, Abgaben und entgangenen Transferzahlungen noch 28 Prozent seines neuen Bruttoverdienstes. In Deutschland sind es dagegen nur 7 Prozent. Wenn der Ehepartner auch arbeitet, dann verliert das Paar finanziell, wenn der Arbeitslose den schlechter bezahlten Job annimmt (Grafik 6).
Wäre ein Durchschnittsverdiener in Deutschland bereit, nach Verlust seines Jobs für die Hälfte des alten Lohns zu arbeiten, dann stellt er sich gar in allen sechs untersuchten Haushaltskonstellationen finanziell schlechter, als wenn er nicht arbeitet. Innerhalb der OECD sind in dieser Konstellation die Arbeitsanreize nur in Italien und Tschechien vergleichbar gering. "Es kann für Arbeitslose durchaus sinnvoll sein, zunächst schlechter bezahlte Angebote abzulehnen. Allerdings birgt eine zu lange Wartezeit die Gefahr, dass Qualifikationen entwertet werden und der Weg in die Arbeit umso schwerer wird", sagte Michael Förster, Ökonom im OECD-Direktorat für Beschäftigung, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik und Mitautor der Studie. "Deshalb ist es wichtig, dass das Steuer- und Transfersystem Anreize zur Arbeitsaufnahme setzt", so Förster.
Dass sich Arbeit auch lohnen kann, ohne dass die soziale Absicherung reduziert wird, zeigt etwa das Beispiel der nordischen Länder aber auch das der Schweiz. Obwohl hier das Arbeitslosengeld wie auch die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen vergleichsweise großzügig sind, stellen sich Arbeitslose in jedem Fall besser, wenn sie eine Arbeit aufnehmen. Grund dafür ist, dass in diesen Ländern in den unteren Einkommensgruppen entweder die Belastung des Faktors Arbeit mit Steuern und Sozialabgaben gering ist oder für Arbeitslose das Einkommen durch Kombilohnmodelle aufgestockt wird.
Den Berechnungen liegt das Durchschnittseinkommen der Vollzeitarbeitnehmer in der Privatwirtschaft aus dem Jahr 2005 zugrunde (Average Worker Income - AW). In Deutschland lag dieser Wert bei 41.691 Euro brutto im Jahr.