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Wie gefährlich sind Dopaminagonisten?

Schleichende Veränderungen bei Einnahme häufiger als bisher angenommen

(lifePR) (München, )
Schleichende Verhaltensänderungen bei Einnahme von Dopaminagonisten

Ein Erfahrungsbericht von Sophia Plöchl

Haben Dopaminagonisten wirklich so selten gravierende Nebenwirkungen, wie oft kolportiert wird? Handelt es sich dabei „nur“ um Impulskotrollstörungen wie stark ausgeprägte Sex-, Spiel- und Kaufsucht?

Oder müssen wir selbst und uns nahestehende Menschen sehr genau drauf achten, was sich an unserem Verhalten in den Monaten und Jahren ab der Einnahme verändert, weil Verhaltensänderungen schleichend passieren, lange unbemerkt bleiben – und dennoch große Auswirkungen auf das Leben haben können?

Wie Priv. Doz. Dr. Atbin Djamshidian in den Parkinson News Nr.50 Mai/Juni2022 der Parkinson Selbsthilfe Wien ausführt, ist man früher davon ausgegangen, dass nur 14 % der PatientInnen von Verhaltensänderungen bei der Einnahme von Dopaminagonisten betroffen sind. Nun geht man aufgrund neuerer Studien davon aus, dass über 45 % der PatientInnen innerhalb von 5 Jahren nach Therapiebeginn Impulskontrollstörungen entwickeln.

Dieser Artikel bestätigte meine eigenen Erfahrungen sowie die vieler anderer an Parkinson Erkrankter. Und entsprechen auch meinen Beobachtungen in der Community.

Nach der Diagnose 2018 wurde ich, wie viele andere „jung“ Erkrankte, vorerst nur mit Dopaminagonisten behandelt sowie mit Antidepressiva. Denn aufgrund beruflicher Überlastung und der Diagnose litt ich auch an einer Erschöpfungsdepression.

Im Laufe der Monate wurde ich psychisch immer stabiler und die Agonisten bewirkten eine Besserung meiner körperlichen Symptome.

Allerdings beobachtete ich sehr bald ein problematisches Rauchverhalten. Ich hatte nach der Diagnose nach vielen Jahren des Nicht- bzw. Genussrauchens wieder stark zu rauchen begonnen. Und als ich dann einige Monate später damit aufhören wollte, war es mir unmöglich. In den folgenden zwei Jahren machte ich sicherlich an die 30 bis 40 Versuche. Manchmal hörte ich quasi täglich damit auf. Ich entsorgte zerschnittene Zigaretten im Dorf in Mistkübeln und holte sie am gleichen Abend wieder heraus.

Ich versuchte das Rauchen vor meinen Kindern und zum Teil auch vor meinem Mann geheim zu halten. Und vor mir selbst auch.

Ich versteckte mich oder suchte Ausflüchte, nur um an meine Zigaretten zu kommen. Ich beendete das abendliche Kuscheln mit den Kindern möglichst rasch, nur um endlich rauchen zu können.

Die Kinder wussten intuitiv, dass ich rauchte, verbündeten sich aber im Schweigen mit mir. Mein Mann thematisierte es manchmal und war gleichzeitig hilflos im Umgang damit. Und selbst Menschen, vor denen ich nichts geheim hielt, erahnten nicht das Ausmaß meiner neuen Sucht und meiner Belastung.

So hatte ich mich noch nie erlebt. Ich verlor zusehends den Respekt vor mir selbst.

Parallel dazu entwickelte ich eine auffallende Nachtaktivität. Ich war zwar müde, wollte aber nicht schlafen gehen.

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Entgegen meinem früheren Schlaf-Wachrhythmus startete ich nun spät abends – oft erst gegen 22:00 Uhr – mit Aktivitäten unterschiedlichster Art und ging erst gegen 02:00 Uhr in der Nacht ins Bett. Ein paar Stunden später war dann schon wieder Tagwache, die Kids mussten in den Kindergarten und in die Schule. In den Nächten probierte ich Rezepte für gesunde Cracker aus, buk Vollkornbrot, machte Ringelblumensalbe und fabrizierte Wachstücher. Oder arbeitete an meinen fotografischen Rätselbildern. Ich baute Installationen aus kleinen Gegenständen und fotografierte diese. Das Hin- und Herschieben der kleinen Gegenstände empfand ich trotz Müdigkeit als meditativ. Doch auch diese Tätigkeiten hatten Suchtcharakter.

Untertags war ich erschöpft, musste irgendwie funktionieren und versuchte zu ruhen, wann immer ich konnte.

Gleichzeitig fühlte ich mich angetrieben, kam kaum zur Ruhe und konnte nicht stillsitzen, musste ständig irgendetwas machen; selbst in kleinsten Zeitlücken versuchte ich produktiv zu sein und arbeitete gehetzt an meinen fotografischen Rätselbildern. Die Kinder empfand ich dabei oft als lästige Störung.

Meine Familie litt unter meinem Verhalten. Für meinen Mann waren diese über das Rauchen hinausgehenden Veränderungen spürbar, aber nicht greifbar. Sie entwickelten sich langsam und waren daher nicht eindeutig ersichtlich und daher auch nicht thematisierbar. Ein paar Freundinnen bemerkten die Veränderungen zwar, sprachen sie aber nicht an. Oder sprachen sie so zurückhaltend an, dass ich sie überhörte.  Überhören wollte.

Ich erzählte meinen Neurologen davon – ich wechselte in dieser Zeit zweimal die ärztliche Betreuung. Alle drei sind Kapazitäten für die Behandlung von Morbus Parkinson. Meine Erzählungen wurden registriert, aber nicht weiter hinterfragt. Das Thema Rauchen nicht aufgegriffen. Die Agonisten reduziert, aber nicht abgesetzt. Und einer ermahnte mich sogar, dass ich mich selbst am Riemen reißen müsse. Was natürlich bei einer Impulskontrollstörung nicht möglich ist. Diese Unmöglichkeit nagte weiter an meinem Selbstwert.

Das Gute an dieser Zeit: Ich hatte eine überbordende Kreativität in mir, die keinen Aufschub duldete. Alles wollte gleich umgesetzt werden. Und so schaffte ich es, innerhalb von zwei Jahren (!) in Eigenregie zwei Text-Bildbände im Eigenverlag herauszugeben und eignete mir in dieser Zeit die dafür notwendigen Kompetenzen – fotografisches Basiswissen, Fotobearbeitung, Bedienung eines Grafikprogramms und vieles mehr – an. In den Nächten. Ohne Dopaminagonisten wäre mir dies nicht möglich gewesen.

Die Erlösung kam im Herbst 2021 in Person des nächsten Spezialisten. Er hörte mir zu, strich mir die Agonisten und verschrieb mir Madopar.

Zwei Wochen später konnte ich relativ problemlos mit dem Rauchen aufhören. Und begann zu schlafen. Ich schlief und schlief und schlief. Die ersten zwei Monate ging ich um 19:00 Uhr ins Bett, schlief bis 06:30 Uhr und legte mich um 11:00 Uhr wieder hin.

Ich wurde innerlich ruhiger.

Nach zwei Monaten pendelte sich mein Schlafrhythmus ein.

Ich hatte wieder mehr Energie.

Tagesmüdigkeit plagte und plagt mich zwar trotz ausreichendem Nachtschlaf immer wieder. Aber es war und ist eine andere Art von Müdigkeit.

Ich konnte wieder die notwendigen Schritte in Richtung Berufstätigkeit setzen und machte mich selbstständig.

Das regelmäßige Leben, wie ich es jetzt führe, tut mir gut.

Für meine kreativen Ideen habe ich im Moment leider kaum Zeit. Das ist in Ordnung. Ich weiß, es wird eine Lebensphase kommen, in der Kreativität wieder mehr Platz in meinem Leben einnehmen wird.

Nach vielen Gesprächen mit anderen Betroffenen weiß ich, ich bin kein Einzelfall. Plötzlich vermehrtes, unerklärliches Rauchbedürfnis. Unruhezustände. Nächtliche Aktivität. Manche Neurolog*innen hören es und reagieren mit einer Umstellung der Medikation darauf. Viele reagieren nicht.

Ich schreibe hier kein Pamphlet gegen den Einsatz von Dopaminagonisten. Diese haben unbestreitbar auch positive Wirkungen, die keine andere Medikamentengruppe in dieser Weise bietet. Und manche PatientInnen verspüren keine bis kaum Nebenwirkungen.

Manche nehmen leichte Impulskontrollstörungen und gesteigerten Aktivitätsdrang in Kauf – oder empfinden dieses neue Lebensgefühl bis zu einem gewissen Maß auch als lustvoll. Können diese Veränderungen in ihr Leben integrieren, weil vielleicht weder berufliche Verpflichtungen da sind, noch kleine Kinder. Und der Partner oder die Partnerin gut damit leben kann.

Ich wünschte mir, Neurolog*innen würden sensibler mit dem Thema Impulskontrollstörung umgehen. Würden mehr zuhören und nachfragen. Würden vor der Einnahme nicht nur auf mögliche Spiel- und Sexsucht aufmerksam machen; viele Veränderungen sind subtiler, können nur vom Umfeld wahrgenommen werden. Ein Umfeld, das diese Veränderungen anspricht. Und gehört wird.

Und für uns Betroffene gilt, uns selbst sehr genau zu beobachten, das Umfeld um Feedback zu bitten und bei den Ärzt*innen nicht locker zu lassen. Es ist unsere Aufgabe abzuwägen, bis zu welchem Grad wir vorhandene Nebenwirkungen in Kauf nehmen(wollen). Oder lieber auf die unbestreitbar positiven Wirkungen der Dopaminagonisten verzichten.

Sophia Plöchl, Februar 2023

www.sophiaploechl.at

Parkinson Journal

Das Parkinson Journal, vor drei Jahren als Blog des selbst an Parkinson erkrankten Jürgen Zender ins Leben gerufen, ist mittlerweile eine einzigartige Sammlung von Informationen und Tools rund um das Thema Morbus Parkinson geworden. Seine zahlreichen Beiträge (Texte, Videos, Ratgeber, Verzeichnisse oder Podcasts ), geschrieben oder produziert von namhaften Autoren oder Betroffenen selbst, sind über die Jahre zum Wegbegleiter vieler Betroffener, Angehöriger und Ratsuchender geworden. Wenn der Trend so bleibt, wie er sich bereits heute abzeichnet, werden das Parkinson Journal in diesem Jahr erstmals über 200.000 Seitenaufrufe erleben und auf Instagram die 7.000 Follower Marke überschreiten.
Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 10 % der Parkinson-Kranken in Selbsthilfegruppen organisiert sind oder zumindest gelegentlich deren Angebote nutzen.
Das sind 40.000 von 400.000 Erkrankten. Es ist eines unserer Ziele, diese Zahl dauerhaft und stetig zu erhöhen, denn der Austausch mit „Leidensgenossen“, das reichhaltige Informationsangebot, die neu entstehenden Freundschaften, Sportarten, die man plötzlich (wieder) für sich entdeckt, die selbstgewählte Isolation, die man verlässt … all das sind gute Gründe, sich einer der zahlreichen Selbsthilfegruppen anzuschließen. Neben Beiträgen aus und über die Szene hilft uns dabei maßgeblich unser Verzeichnis der Parkinson-Selbsthilfegruppen und der Parkinson-Event-Kalender.
Für alle anderen, die noch nicht bereit sind, sich zu öffnen, wollen wir weiterhin ein Fenster zur Parkinson-Welt sein, deren Bewohner sie ohne eigenes Zutun geworden sind, und sie mit Wertschätzung und mit Herz und Verstand informieren.
Das zweite Ziel, das uns sehr am Herzen liegt, ist das Bewusstsein für Bewegung als eine der wenigen erfolgversprechenden, nicht medikamentösen Therapien zu schärfen. Immer mehr Studien zeigen, dass Sportarten wie Tischtennis, Nordic Walking, selbst Boxen einen positiven Einfluß auf die Symptomatik und Progredienz der bisher unheilbaren Krankheit haben.

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