Vor seiner Frühjahrstagung am Wochenende sagt der Internationale Währungsfonds (IWF) eine zunehmende Erholung der Weltwirtschaft voraus. Die Weltwirtschaft werde in diesem Jahr um 4,4 Prozent und um 4,5 Prozent im kommenden Jahr zulegen, prognostiziert der IWF in seinem neuen Weltwirtschaftsausblick. Für das krisengeschüttelte Japan rechnet der IWF für dieses Katastrophenjahr noch mit einem Wachstum von 1,4 Prozent, ursprünglich hatten die Ökonomen in Washington mit 1,6 Prozent gerechnet. Dabei unterstellen die Ökonomen des Fonds, dass Erdbeben-, Tsunami- und Atomkrise innerhalb einiger Monate gelöst seien, und der Wiederaufbau des zerstörten Landes das Wachstum unterm Strich sogar befördert - die Katastrophe als Wachstumsmotor.
Weltbank und Regierung rechnen mit Schäden in Höhe von bis zu 300 Milliarden Dollar
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt wird stärker als erwartet unter den Folgen von Beben, Tsunami und Atomkatastrophe leiden. Verantwortlich dafür sind vor allem die Stromausfälle und zerstörte Infrastruktur. Dadurch sind im Land und weltweit Lieferketten unterbrochen und Fabriken lahmgelegt. Ökonomen hatten direkt nach dem Beben geschätzt, dass die Schäden bei 130 Milliarden Dollar liegen könnten. Inzwischen rechnet die Weltbank damit, dass die Dreifach-Katastrophe mehr als 250 Milliarden kosten könnte. Das entspräche rund fünf Prozent der japanischen Wirtschaftsleistung. Die Regierung in Tokio schätzt sogar, dass allein die Schäden sich auf 300 Milliarden Dollar belaufen. Das würde das Erdbeben und seine Folgen zur teuersten Naturkatastrophe machen, die es je gegeben hat.
DAX erleidet herbe Verluste
Die eskalierende Atomkatastrophe in Japan hat am Dienstag die Anleger in Deutschland stark verunsichert. Auch Unternehmensnachrichten aus den USA trübten die Stimmung. Der Dax verlor bis zum Handelsschluss 1,4 Prozent auf 7102 Punkte. Der M-Dax sank ebenfalls um 1,4 Prozent auf 10 308 Punkte. Der Tec-Dax weitete seine Verluste um 2,2 Prozent auf 909 Punkte aus. Die anhaltende Unsicherheit über die wirtschaftlichen Folgen der Japan-Krise bremst auch den Tokioter Aktienmarkt. Viele Investoren wollten vor größeren Kaufentscheidungen zunächst abwarten, wie die Unternehmen die nächste Zukunft einschätzten, hieß es unter den Händlern.
Wer bekommt die Folgen zu spüren
Japan steckt in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Neben all dem Leid für Tausende Menschen hat die Katastrophe auch massive Auswirkungen auf die Wirtschaft - in Japan selbst, aber auch im Rest der Welt.
Japanische Autobauer: Die acht größten japanischen Autohersteller rechnen infolge des Bebens mit Produktionsausfällen von etwa 365.000 Fahrzeugen. Zwar hoffen einige Unternehmen, die Ausfälle wieder kompensieren zu können. Noch ist aber nicht sicher, dass die Bänder wieder wie geplant anlaufen. Auch Produktions- und Zulieferbetriebe wurden vom Erdbeben und dem Tsunami stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Unternehmen kämpfen mit Lieferengpässen, Stromausfällen und Treibstoffmangel.
Tourismus in Japan: Der Tourismus ist praktisch zum Erliegen gekommen: Zwar gibt es bislang keine offiziellen Schätzungen über die Ausfälle für Fluglinien, Hotels und andere Reiseunternehmen. Doch klar ist, dass die Regierung ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen wird. 2011 sollten eigentlich elf Millionen Touristen angelockt werden, im vergangenen Jahr waren es 8,6 Millionen.
Versicherer: Die Kosten für die drei weltweit größten Absicherer von Großschäden summieren sich derzeit auf rund 2,6 Milliarden Euro. So rechnet Marktführer Munich Re mit Kosten von rund 1,5 Milliarden Euro vor Steuern und kassierte am Dienstag sein Gewinnziel für 2011 - zuvor war der Konzern von einem Überschuss in Höhe von 2,4 Milliarden Euro im laufenden Jahr ausgegangen.
Autobauer weltweit: Auch die deutschen Autohersteller sind betroffen: Bei Opel mussten bereits Schichten ausfallen, weil Teile aus Japan fehlten. VW sagt, derzeit gebe es noch keine Auswirkungen, man habe aber eine Task Force eingerichtet, um auf Ausfälle schnell reagieren zu können. Beim schwedischen Autobauer Volvo gibt es derzeit noch keine akuten Probleme. Das könne sich aber schnell ändern, wenn weiter japanische Teile fehlen.
Lebensmittelhändler: Immer mehr Länder verbieten den Import von Gemüse und Milch aus der Gegend um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima. Singapur, Hongkong und Australien wollen kein Gemüse, Obst und Milchprodukte aus den betroffenen Präfekturen mehr einführen. Singapur schränkt auch die Einfuhr von Meeresfrüchten und Fleisch aus Fukushima, Ibaraki, Tochigi und Gunma ein.
Das Worst-Case-Szenario: Tokio wird unbewohnbar
Was wird passieren wenn es nun doch zu einer vollständigen Kernschmelze kommt? Das Worst-Case-Szenario, an das kaum jemand überhaupt denken mag: Ein Super-GAU verstrahlt einen weiten Umkreis des Atomkraftwerks Fukushima - inklusive Tokio. Die Hauptstadt wird mehr oder minder unbewohnbar - für lange Zeit. "Wie evakuiert man 35 Millionen Menschen?", fragte die "Bild"-Zeitung zu Recht.
"Neben der nahezu unmöglichen Evakuierung Tokios, die zwangsläufig im totalen Chaos enden würde, hätte dies dann dramatische Folgen für die Weltwirtschaft", sagt Georg Rankers vom Family Office, Rankers Finanzstrategien. "Viele der weltweit existierenden Derivate und Swap-ETFs sind heute auch über japanische Aktien abgesichert. Fallen diese weiter dramatisch werden diese Absicherungen nahezu wertlos." Weiter ist auch nicht abschätzbar, wie viele der Schulden, die sich nicht in den Händen der japanischen Bevölkerung befinden, in anderen Derivaten "versteckt" verbrieft in den Depots der Banken und den Portfolios der Fonds liegen, so der unabhängige Vermögensverwalter Rankers. Die Immobilien in Tokio, die durch eine starke radioaktive Verseuchung wertlos werden würden, würden wohl auch die damit verbundenen Kredite wertlos für die finanzierenden Institute - sowie Versicherungen und Fondsgesellschaften - machen. Dieser Schaden ist aus heutiger Sicht wohl nicht zu beziffern, wäre aber immens.
All dies würde das weltweite Finanzsystem in einer äußert labilen Situation erneut mit voller Wucht treffen, fraglich ist nur, ob die Notenbanken einen solchen Finanzmarktschock dann wieder abfedern könnten. "Man sollte diese Argumente zumindest im Hinterkopf behalten, um sich bewusst zu machen, wie zerbrechlich die aktuelle Situation an den Börsen ist", mahnt Claudia Rankers vom Family Office, Rankers Finanzstrategien. "Die eigentliche Gefahr sind nicht die eventuell auftretenden Unterbrechungen von Lieferketten durch die Japan-Krise, sondern vielmehr die schlagartige Vernichtung von Kapital in ungeahnter Milliarden-Höhe."
Eine Volkswirtschaft ist kein starres Gebilde, sie passt sich an. Kriege und Katastrophen können, so zynisch es klingen mag, der Konjunktur einen Schub verpassen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Staat. Er muss sich zumindest vorübergehend zusätzlich verschulden, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Das Problem: Japan kämpft bereits mit einer gigantischen Schuldenlast von über 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (zum Vergleich: Deutschland ca. 63 Prozent). Ein weiterer Anstieg der Defizite brächte den Staat an die Grenze seiner Belastbarkeit. Die japanische Notenbank hat bereits ihre Schleusen geöffnet, um eventuelle Liquiditätsengpässe zu bekämpfen.
In der Vergangenheit hatten die Japaner so viel Geld auf der hohen Kante, dass die Regierung nicht auf ausländisches Kapital angewiesen war. Mittlerweile ist die japanische Sparquote auf "amerikanische Verhältnisse" von 2-3 Prozent abgerutscht. Zudem führt der demografische Wandel der japanischen Bevölkerung zu einem Verbrauch der Ersparnisse.
Japan hat also aktuell einen geringen Spielraum für eventuelle großflächige, auf Pump finanzierte Wiederaufbauprogramme. Eine Auslandsverschuldung wäre durch die jüngsten Abstufungen der Bonität Japans durch zwei wichtige Rating-Agenturen erschwert. Da Japan die Lösung wichtiger Punkte zu diesem Problem schon seit vielen Jahren vor sich herschiebt, droht entweder das Wiederaufbauprogramm im Sande zu verlaufen oder ein Staatsbankrott durch Überschuldung.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.rankers-cie.de