Wieso ist es so wichtig, sich an der Universität mit dem Thema Stress und Depression auseinander zu setzen? Sind unsere Studenten wirklich bereits in jungen Jahren davon betroffen?
Svenja Niescken: Ja! Einschlägige Untersuchungen belegen, dass 20 bis 25 Prozent der Studierenden unter psychischen Beeinträchtigungen und Störungen leiden. Dazu gehören vor allem depressive Verstimmungen, mangelndes Selbstwertgefühl oder Prüfungsängste. Die psychologischen Beratungsstellen der Studentenwerke und Hochschulen verzeichnen stetig wachsende Fallzahlen derer, die dort Hilfe suchen. Es ist aber davon auszugehen, dass es sich bei den aktiv Hilfesuchenden nur um die Spitze des Eisbergs handelt und der Bedarf an Aufklärung und Unterstützung wesentlich höher ist.
Dem pflichtet auch Kerstin Nieghorn von der Siemens-Betriebskrankenkasse SBK bei: "Auch wir haben in einer Befragung einen erhöhten Bedarf an Hilfsangeboten für Jugendliche und junge Erwachsene festgestellt, die gestresst, überfordert oder depressiv sind. Aus diesem Grund haben wir eine Telefonhotline eingerichtet, unter welcher junge Versicherte ihre Probleme mit einem Psychologen besprechen können. Wir wollen die Alltagssituation der Studenten besser verstehen, um zu erfahren, ob unsere heutigen Angebote hilfreich sind, oder vielleicht ergänzt werden sollten."
Wodurch entstehen die psychischen Belastungen der Studenten und wie äußern sich diese?
Stefanie Scholz: Unsere Lern- und Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Zeit- und Leistungsdruck werden immer größer und belasten heute bereits Schulkinder. Diese müssen in immer kürzerer Zeit immer mehr lernen. Das setzt sich mit dem Eintritt ins Studium weiter fort. Hinzu kommen Unsicherheiten zum Beispiel darüber, ob der Wunschstudienplatz auch wirklich belegt werden kann und ob am Studienort die passende Bleibe gefunden wird. Beides ist in diesem Jahr durch den doppelten Abiturjahrgang besonders in Bayern sehr schwer.
Stress, Burnout und auch Depressionen können sich durch ganz unterschiedliche Symptome äußern, beispielsweise durch psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen. Aus diesem Grund bleiben Depressionen in der hausärztlichen Praxis auch häufig lange Zeit unerkannt. Nicht selten sind auch Suchterkrankungen eine Folge. Unentdeckt und unbehandelt können solche Beschwerden sogar zu suizidalen Gedanken führen.
Wie sollte sich ein Student, der glaubt, ein psychisches Problem zu haben, am besten verhalten?
Stefanie Scholz und Svenja Niescken: Sich phasenweise ausgebrannt und niedergeschlagen zu fühlen, ist vollkommen normal. Hält solch ein Zustand aber sehr lange an und kommen weitere Symptome, wie etwa Schlafstörungen, starke Gewichtsveränderungen oder auch ein Gefühl der dauerhaften inneren Leere hinzu, sollte unbedingt ein Arzt oder ein Psychologe aufgesucht werden. Wichtig ist es dann, die vorhandenen Probleme und Beschwerden auch wirklich ohne Scham anzusprechen. Je früher professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, desto schneller kann die Krise in der Regel überwunden werden.
Zum Projekt "Universitäre Aufklärung Depression"
"Universitäre Aufklärung Depression" ist ein Projekt des Lehrstuhls für Marketing der Otto-Friedrich-Universität Bamberg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe in Leipzig und der Bamberger Firma HDN med. medical IT. Es zählt zu den 15 Gewinnerprojekten des bundesweit ausgeschriebenen Gesundheits-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Wissenschaftsjahr 2011 "Was macht gesund?". Das Konzept zum Projekt wurde von zwei Promovendinnen der Universitäten Bamberg und Leipzig ausgearbeitete und richtet sich im ersten Schritt an Studierende der Wirtschaftswissenschaften und angrenzender Fächer.
Ziel ist es, die psychische Gesundheit von Berufsanfängern nachhaltig zu stärken. Außerdem finden sich im Konzept Anregungen für einen offenen Umgang mit Depressionen und dem Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz.
Höhepunkt dieses Projekts ist ein Informationsabend am 16. November 2011 von 18:00 bis 21:00 an der Universität Bamberg (Feldkirchenstraße 21, F137). Hier werden die Geschäftsführerin der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Frau PD Dr. med. Rummel-Kluge und der Betroffene, Herr Müller-Rörich, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, von ihren Erfahrungen mit Depressionen am Arbeitsplatz berichten. Der Bamberger Psychologieprofessor Herr Prof. Dr. Wolstein informiert Interessierte außerdem über den Umgang mit suizidalen Krisen.