Nurnberger und Bierut arbeiten bei einer großen amerikanischen Forschungsinitiative mit, die Zusammenhänge von Alkoholkrankheit und Erbanlagen untersucht. An dem Projekt nehmen bisher über 250 Familien teil, in denen mehrere Personen schwere Alkoholprobleme haben. Genetiker durchmusterten das Genom jedes einzelnen Familienmitglieds auf Merkmale, die vor allem bei den erkrankten Menschen vorkommen. Dadurch stießen sie auf mehrere Genregionen mit aufschlussreichen Erbanlagen. Die Forscherteams interessierten sich besonders für Gene, die das individuelle Muster der Gehirnaktivität beeinflussen.
Das Gehirn eines jeden Menschen arbeitet anders. Es reagiert zum Beispiel individuell auf störende Reize. Bei vielen der Alkoholiker fanden die Wissenschaftler charakteristische Abweichungen im EEG – die erstaunlicherweise schon bei deren Kindern ähnlich auftreten. Bisher stießen die Forscher auf eine Handvoll Gene, von denen bestimmte Varianten mit typischen Unterschieden im EEG einhergehen. Denn wegen der Genvarianten funktionieren jeweils Signalprozesse im Gehirn anders, und das wiederum scheint das Alkoholismusrisiko zu steigern.
Nurnberger und Bierut gehen in ihrem Artikel auf zwei dieser Gene ein, die wahrscheinlich auf zwei unterschiedliche typische Formen einer Alkoholikerkarriere bezogen sind. So gibt es einen Alkoholikertyp, der zu seiner Sucht über eine verstärkte Neigung zu Depressionen kommt. Ein anderer beweist schon in der Jugend ein recht ungezügeltes Temperament, neigt früh zu Regelverstößen und oft auch zu aggressivem Verhalten. Für beide Fälle lässt sich aufzeigen, dass das abweichende Gen jeweils Moleküle und damit Strukturen an den Nervenzellmembranen beeinträchtigt, die zur Kontrolle von Hirnsignalen dienen. Offensichtlich fällt es diesen Menschen deswegen schwer, ihre Stimmungen in Balance zu halten beziehungsweise ihre Impulse zu kontrollieren.
Seit längerem wissen Mediziner zudem, dass Leberenzyme, die Alkohol abbauen, in unterschiedlich leistungsstarken Varianten auftreten. Manche Menschen sind darum besonders trinkfest, andere vertragen fast gar keinen Alkohol. Schon das beeinflusst die Neigung zum Alkoholkonsum beträchtlich. Kommt bei Vieltrinkern noch eine Labilität im Gehirn hinzu, kann sich nur zu leicht ein Suchtprofil aufbauen.
Trotz dieser Befunde betonen beide Forscher, dass wir es meistens doch selbst in der Hand haben, ob wir der Sucht den Weg frei geben. Die neuen Erkenntnisse – über insgesamt inzwischen rund zehn verschiedene Erbanlagen und deren Auswirkungen – würden es zukünftig einfacher machen, Personen mit einem Alkoholismusrisiko früh genug zu warnen und unter Umständen vorsorglich zu behandeln oder zu beraten.