Bei nur einen Schmelzloch im Eis ist es natürlich nicht geblieben. Wenn das Teleskop im Januar 2011 schließlich fertig gestellt sein wird, soll es 80 Trossen mit Detektoren enthalten. Bis dahin müssen Spiering und seine Kollegen also 80 Schächte 2450 Meter tief ins Eis schmelzen und, bevor diese in kürzester Zeit wieder zufrieren, Kabel mit jeweils 60 Glaskugeln herunterlassen. Die druckfesten Kugeln, die Lichtdetektoren enthalten, sind von zentraler Bedeutung: Mit ihrer Hilfe wollen die Forscher Lichtspuren von Neutrinos einfangen.
Diese ungeladenen Elementarteilchen unterliegen weder der starken Kernkraft, die Protonen und Neutronen in Atomkernen zusammenhält, noch der elektromagnetischen Kraft und sind dadurch gegenüber anderen Teilchen der kosmischen Strahlung im Vorteil: Jene nämlich werden auf ihrer Reise weg vom Entstehungsort von kosmischen Magnetfeldern aus der Bahn geworfen, während Neutrinos, die auf der Erde ankommen, ihren Weg hierher praktisch schnurgerade verfolgt. Kennt man die Richtung, aus der sie kommen, kann man davon auf die Position der Quelle kosmischer Strahlung schließen.
Diese Richtung zu bestimmen, ist aber gar nicht so einfach. Schon alleine deswegen, weil die allermeisten der flüchtigen Elementarteilchen den Erdball und damit auch jeden Messapparat ungestört durchqueren. Nur wenn eines von ihnen zufällig im Areal des Teleskops auf einen Atomkern des umgebenden Eises stößt, verwandelt sich das Neutrino in ein geladenes Teilchen, zum Beispiel in ein Myon. Das übernimmt dann den größten Teil der Energie des Neutrinos und fliegt in annähernd gleicher Richtung weiter. Dabei zieht das Myon einen Lichtkegel hinter sich her, vergleichbar mit dem Überschallkegel eines Düsenflugzeugs. Die in den Glaskugeln enthaltenen Sensoren registrieren Stärke und Ankunftszeit des Lichtblitzes. Ein Computer vergleicht dann die Zeitpunkte und berechnet die Lage des Lichtkegels im Raum. Daraus lässt sich die Bahn des Myons erschließen und aus dieser die Ursprungsrichtung des Neutrinos.
Die Wissenschaftler konzentrieren sich dabei nur auf die Teilchen, die am Südpol von unten kommen, die also den Erdball schon durchquert und sich damit zweifelsfrei als Neutrinos ausgewiesen haben. So tief im Eis liegt IceCube deshalb, damit es gegen die Störsignale kosmischer Teilchen, die von oben in den Detektor laufen, abgeschirmt ist: Das umgebende Material dient als Filter, der alle Teilchen außer den Neutrinos absorbiert. Bei früheren Versuchen mit Teleskopen in Tunneln und Höhlen konnten Wissen¬schaftler allerdings trotzdem keine extraterrestrischen Neutrinos nachweisen: Die Teleskope waren schlicht zu klein. Geeignete Detektoren sollten ein Volumen von zumindest einem Hundertstel Kubikkilometer aufweisen – die lassen sich kaum noch in einer Höhle unterbringen, dafür jedoch tief im offenen Wasser oder eben im Eis.
Das riesige IceCube-Teleskop wird mit seiner Größe von einem Kubikkilometer nun tausendmal so groß sein wie die größten unterirdischen Neutrinodetektoren und hundertmal empfindlicher als alle seine Vorgänger. Darum ist auch auf der Amundsen-Scott-Station am Südpol die Erwartung hoch, dass mit ihm endlich die Entdeckung extraterrestrischer Neutrinos und Identifizierung deren Ursprungs gelingt – ganz zu schweigen vom Lösen anderer Rätsel der Astronomie.