Demnach üben die Nervenfasern Zugkräfte zwischen Gebieten der Hirnrinde aus, die sie miteinander verbinden. Diese Kräfte multiplizieren sich: Wenn zwei Stellen der Hirnrinde stark miteinander verknüpft sind, sorgen die vielen Fasern zwischen ihnen dafür, dass sie näher zusammenrücken. Glatt ausgebreitet würde unsere Hirnrinde, der zerebrale Kortex, den Schädel dreimal auskleiden. Erst durch seine Auffaltung passt der große Kortex in den Kopf. Die charakteristischen Windungen und Furchen entstehen schon in den letzten Schwangerschaftsmonaten. Und zwar geraten die Nervenfasern zunehmend unter Spannung, wenn die Hirnrinde des Fötus wächst. Wo sich viele solche Kräfte bündeln, entstehen Aufwölbungen, wo nur schwache Zugkräfte herrschen, bilden sich Einschnitte.
Das erklärt auch, wieso einzelne Gehirnwindungen bei manchen psychischen und geistigen Krankheiten ungewöhnlich aussehen. Behinderungen wie Autismus oder Schizophrenie beruhen oft auf Entwicklungsstörungen, wobei unter anderem neuronale Verbindungen nicht in normaler Weise ausgebildet werden.
Claus Hilgetag und Helen Barbas entdeckten bei ihren Untersuchungen zudem, dass nicht einmal die innere Struktur und Architektur der Hirnrinde von der Faltung unbeeinflusst bleibt. Meistens ist der Kortex an den Aufwölbungen besonders dick, unter den Furchen dagegen auffallend dünn. Je nach ihrer Position werden manche Nervenzellen regelrecht flachgedrückt, andere seitlich gequetscht. Das alles dürfte sich auf das neurophysiologische Geschehen auswirken - wie, ist im Einzelnen noch nicht geklärt.
Die Hirnforscher erkennen nun, dass genetische Vorgaben nicht allein darauf Einfluss nehmen, wie unser Gehirn aussieht. Rein biomechanische Kräfte formen die Hirnlandschaft mit. Wegen dieses Zusammenspiels sehen nur die großen Hirnwindungen bei uns allen relativ gleich aus - bis hin zu einer gewissen Familienähnlichkeit. Doch die kleinen Windungen stimmen nicht einmal bei eineiigen Zwillingen überein.