Minimalinvasive Operationstechniken, auch als „Schlüsselloch-OP" bekannt, ersetzen zunehmend klassische offene Operationen. So können beispielsweise bestimmte Tumoren der inneren Organe im Zuge einer Bauchspiegelung entfernt werden. Dabei kommt ein als Laparoskop bezeichnetes Instrument zum Einsatz, das über einen kleinen Hautschnitt in den Bauchraum eingeführt wird und dem Arzt dann über eine integrierte Kamera einen Blick auf die betroffenen Organe erlaubt.
„Allerdings lassen sich nicht alle optischen Eigenschaften des Gewebes mit diesen herkömmlichen Bildinformationen erfassen“, erklärt Prof. Dr. Dogu Teber, klinischer Leiter der Studie und Direktor der Urologischen Klinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Er hat gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) den Einsatz multispektraler Bildgebungssysteme bei Eingriffen im Klinikum Karlsruhe untersucht. Die dabei verwendeten Kamerasysteme erfassen größere Bereiche des optischen Spektrums. „Dadurch lassen sich bestimmte funktionelle Eigenschaften des Gewebes sichtbar machen, die für herkömmliche Kamerasysteme unsichtbar sind,“ erklärt Teber. „Etwa die Durchblutung eines Organs.“
Das ist beispielsweise bei Patienten mit Nierenkrebs relevant, bei denen der Tumor operativ entfernt werden soll. Bei diesem Eingriff muss zunächst der Blutfluss in die betroffenen Areale durch Abklemmen der Arterien unterbrochen werden. Durch das Videobild eines herkömmlichen Laparoskops lässt sich die Durchblutung des Gewebes allerdings kaum beurteilen. Erst durch den Einsatz eines fluoreszierenden Kontrastmittels, das dem Patienten gespritzt wird und sich anschließend in den durchbluteten Geweben anreichert, kann der Operateur erkennen, ob die richtigen Segmente des Organs von der Blutzufuhr getrennt wurden. War dies nicht erfolgreich, muss das Kontrastmittel zunächst für etwa 30 Minuten ausgewaschen werden, um den Vorgang anschließend wiederholen zu können.
„Wir konnten im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat ERC geförderten Projektes ‚NEURAL spicing‘ zeigen, dass sich die Durchblutung der Niere mit einer Kombination aus moderner Bildgebung und Künstlicher Intelligenz auch ohne Kontrastmittel und in Echtzeit darstellen lässt“, sagt Lena Meier-Hein, Leiterin der Abteilung Intelligent Medical Systems am DKFZ. Die neue Technologie kam nun im Rahmen der Studie erfolgreich bei zehn Patienten zum Einsatz, bei denen Teile der Niere entfernt werden mussten. Da sich die Durchblutung des Gewebes mit der Technik live beobachten lässt, kann das Abklemmen der Blutgefäße bei Bedarf sofort korrigiert werden. Das reduziert die Dauer des Eingriffs und macht ihn dadurch sicherer für die Patientinnen und Patienten. Außerdem entfällt das Risiko einer allergischen Reaktion auf das Kontrastmittel komplett.
Zudem gelang es dem Team, die Durchblutung erstmals mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zu erfassen, die nicht auf große Mengen von Trainingsdaten angewiesen sind. Die KI lernt stattdessen bei jedem Patienten neu, durchblutetes von nicht-durchblutetem Gewebe zu unterschieden.
Die Technik wird bereits in vielen naturwissenschaftlichen Bereichen genutzt, um in Strukturen hineinzuschauen. Vergleichbare Verfahren sollen zukünftig auch bei anderen chirurgischen Fragestellungen zum Einsatz kommen, etwas bei der Beurteilung, ob genähtes Gewebe auch nach der OP wieder durchblutet wird. Klinikdirektor Teber sieht großes Potenzial für diesen neuen technologischen Ansatz: „Die spektrale Bildgebung in Kombination mit neuen KI-basierten Analysetools kann sich zu einem wichtigen Instrument für die schnelle, zuverlässige und sichere funktionelle Bildgebung in der minimalinvasiven Chirurgie entwickeln. Diesen Ansatz möchte ich auch in der Urologie am Klinikum Karlsruhe intensiv weiterverfolgen." Ab Ende des Jahres wird die Studie dann in die Anwendungsphase am Klinikum Karlsruhe starten.