„Wege aus der Einsamkeit – das diesjährige Motto führt uns mitten hinein in ein Thema, von dem wir alle wissen, ja, womöglich sind wir selbst davon betroffen, aber wer mag das schon zugeben? Wege aus der Einsamkeit – wir wissen um all das, was damit zusammenhängt. Einsamkeit im Alter aber auch unter Jugendlichen, vermehrt in der Pandemie. Einsamkeit vor dem Bildschirm und Einsamkeit inmitten von vier Millionen Menschen. Du wohnst in einem großen Haus und kennst deine Nachbarin nicht. Wir wissen das und wer Wege daraus kennt, ist sofort preisverdächtig. Wer über Wege daraus berichtet, mindestens so sehr.
Gerade in der Pandemie ist das Thema, das wir sonst eher mit Trauerarbeit oder auch mal mit Führungskräften verbinden, noch mehr ins Zentrum gerückt. Wir wissen das und ich gebe zu, ich hatte mir eingebildet ziemlich viel, wenn nicht fast alles dazu zu wissen – schon qua Profession -, aber auch von ungezählten Hausbesuchen in Kirchengemeinden. Weit gefehlt.
Einsamkeit ist der größte Stressfaktor
Ich habe in diesem Jahr mehrfach Professor Mazda Adli reden gehört. Er ist ärztlicher Leiter der Fliedner Klinik hier in Berlin und ein international herausragender Stressforscher. Und er hat mir tief ins Herz gelegt: Einsamkeit ist der größte Stressfaktor, den Menschen kennen, mehr als Arbeit, mehr als Drogen und Suchtkrankheiten – Einsamkeit ist medizinisch und psychosomatisch nachweisbar der stärkste Stress, gepaart mit und durch den Umstand, dass Menschen diesen einen Satz für sich nicht annehmen und meist nicht sagen können «Ich fühle mich einsam».
Das bringen wir nicht über die Lippen, weil das, bewusst oder unbewusst, dem Menschen als sozialem Wesen die größte Inkompetenz unterstellt. Das halten wir nicht aus. Das macht die ungeheure Zahl von verdeckter Einsamkeit aus. Wer kann es schon sagen? Was würde passieren, wenn Ihnen jemand gegenübersitzt und die Person sagt: «Ich bin einsam»? Und was, wenn Sie es selbst sagten?
Welche Wege führen heraus?
Wege aus der Einsamkeit – Herausforderung für die Gesellschaft? – Ein elementares Thema, nicht nur, weil Mazda Adli mir noch etwas ins Herz geschrieben hat: Wir brauchen Resilienz-Orte gegen die Einsamkeit. Parkanlagen zählt er dazu, die Medien würde ich auch dazu zählen. Eine gute Zeitung, ein guter Artikel, eine gute Reportage, ein guter Podcast schafft Strukturen, die aus der Einsamkeit führen können. Wir hatten so viele gute Einsendungen dazu.
Wege aus der Einsamkeit, das sind ja am Ende immer auch andere Menschen. Sie verzeihen, dass ich als Bischof einmal einfüge: Jede Kirchengemeinde ist ein Netzwerk gegen Einsamkeit. Und Gott? Ich sage mal: ist da, wenn auch für die Einsamen nicht immer leicht spürbar.
Gute Geschichten gegen die Einsamkeit
„Ist Einsamkeit dein größtes Glück, geh nachts allein durch Osnabrück.“ Das hat der niedersächsische Berliner Geschichtenerzähler Horst Evers schon vor etlichen Jahren in seiner Hommage an Niedersachsen gedichtet. Ich liebe Horst Evers – und ich bin froh, wenn wir gute Geschichten gegen die Einsamkeit erzählen, gute Nachrichten, gute Mär könnte man auch sagen.
Gute Mär – also gute Nachricht ist auch der Richard-von-Weizsäcker-Journalistenpreis 2022 von der Unionhilfswerk-Förderstiftung und vor allem das, was die Preisträgerinnen und Preisträger und auch alle anderen ersonnen haben. Ersonnen – vielleicht das richtige Wort in die Dunkelheit der Einsamkeit hinein. Wenn es diesen Preis nicht gäbe, man müsste ihn erfinden.“
Unsere Reihe “Wege aus der Einsamkeit”
In unserer Blog-Reihe „Wege aus der Einsamkeit“ stellen wir Ihnen demnächst die drei Siegerbeiträge des Journalistenpreises 2022 vor. Sie widmen sich dem Thema der Einsamkeit auf jeweils eigene Art und beleuchten das Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln.