Die politischen Auseinandersetzungen sind in den letzten Jahren härter geworden. In das Öffentlich-Politische haben sich Emotionen eingemischt, die einen „klaren Kopf“ behindern. Zorn, Leidenschaft und Hass sind immer auch Kennzeichen von gewollten oder erlittenen gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Gefühle und Affekte wie Zorn, Zuneigung, Leidenschaft, Angst, Furcht und Hass haben ihre Geschichte.
Die politischen Diskurse über Europäisierung und Globalisierung, über die Vielfalt der Emanzipationen, über Digitalisierung und die Ökonomisierung der Zeit, über ökonomische Krisen und zunehmende soziale Spaltungen in liberalen Demokratien, über weltweite Konflikte und die damit verbundenen Migrationsbewegungen werden immer intensiver von Emotionen gefärbt. Stimmungen haben Konjunktur. Die Achtung politisch Andersdenkender ist in bestimmten Kreisen keine Selbstverständlichkeit mehr. Hemmschwellen sinken.
Erscheinungsweisen und Bedeutungen von Emotionen wandeln sich in unterschiedlichen historischen Welt- und Selbstverhältnissen. In Zeiten von empfundenen oder tatsächlichen Transformationen nimmt ihr Gewicht zu. Sie sind nicht unabhängig von Machtkonstellationen, Geschlechterbeziehungen, Diskursordnungen oder anderen kulturellen Traditionszusammenhängen wie etwa der Wirkmächtigkeit religiöser Narrative zu denken. Sie beeinflussen nicht nur Werte, sondern auch die Konstruktion von Wahrheit.
Worin also bestehen die besonderen Qualitäten der Emotionalisierung der Politik, der politischen Emotion und der Politik durch Emotion innerhalb gegenwärtiger Spannungen und Konflikte? – Die Redaktion hat Antworten und Argumente von verschiedenen Fachautorinnen und Fachautoren zusammengetragen.
latenz – Journal für Philosophie und Gesellschaft, Arbeit und Technik, Kunst und Kultur. Ausgabe 02. Hrsg. von Irene Scherer und Welf Schröter. Redaktion: Dr. Dr. Matthias Mayer, Dr. Mathias Richter, Inka Thunecke, Irene Scherer und Welf Schröter. 210 Seiten, 34,00 €, Talheimer Verlag, ISBN 978-3-89376-176-0.
Inhalt
Editorial
Von Irene Scherer und Welf Schröter
I. Politik und Emotionen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen
Die Emotionen des Rechtspopulismus
Von Mikko Salmela und Christian von Scheve
Klammheimliche Worte
Von Bernd Stickelmann
Politik und Emotionen. Eine Analyse ihres Verhältnisses bei Nussbaum, Arendt und Kant
Von Judith Mohrmann
Ich schätze Sätze
Von Bernd Stickelmann
Ballade vom Aufschwung freigeschalteter Redensarten
Von Bernd Stickelmann
Eine Mehrheit inszeniert sich als Minderheit. Über Wut, Hass und die Politik der Identität
Tristan Garcia, der französische Analytiker der Intensität im Gespräch mit Mathias Richter
Ich bin. Erkundungen zur Dialektik im Geist der Utopie
Von Roger Behrens
Emotionen und gesellschaftliche Transformation. Neurokognitive und neurolinguistische Aspekte
Von Burkhard Wiebel
Autonomie als Fundament für mehr Kohärenz in eigenen Lebensentwürfen
Von Welf Schröter und Irene Scherer
Was ist nur aus der Schutzverantwortung geworden? Über den Sinn eines umstrittenen Konzepts
Von Gerd Hankel
II. Philosophie und Gesellschaft
Die dritte Dimension. Jenseits von Establishment und Populismus
Von Lorenzo Marsili und Yanis Varoufakis
Das zeitgenössische Europa. Auf der Suche nach kulturellen Biotopen
Von Boris Groys
Die „irritierende“ Stellung Blochs in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Zum 40. Todestag von Ernst Bloch
Von Helmut Fahrenbach
III. Kultur, Ästhetik, Lebenswelt
Von den Ambivalenzen im Neonlicht
Von Bernd Stickelmann
Der Zorn und die Angst vor der Angst im Zeitalter der regressiven Moderne. Rezensionen
Von Mathias Richter
Karola Blochs Briefe an Siegfried Unseld und Jürgen Teller. Rezension
Von Arno Münster
Internationaler Beirat der Buchzeitschrift Latenz
Autorinnen und Autoren