Wie kommt's? Gründe mag es viele geben. Sicher versinnbildlichen Putten die Sehnsucht nach heiler, sanguinischer Beschaulichkeit. Der Putto (so die Einzahl des aus dem italienischen kommenden Namens) mit seinem pausbäckigen, einfachen, klaren Gesicht, seinem prallen Hinterteil verkörpert gesunde, unverkrampfte Sinnlichkeit. Sein Bäuchlein, seine Speckfalten verraten, dass er sich beim Essen keinen Zwang antut - Brigitte-Diät ist ihm völlig fremd. In seiner ganzen Erscheinung hat er die Unschuld bewahrt, die jeder Normalmensch spätestens mit der Pubertät entweder zwangsläufig oder ganz gierig abzulegen pflegt. Er steht für den Seinszustand, den der moderne, zivilisierte Mensch verloren hat und gerne zurück hätte: Er hat unendlich viel Zeit, fühlt sich rundum wohl, unterliegt keinem Modediktat (er ist ja nackt), arbeitet nicht und beschäftigt sich, wenn er überhaupt was tut, mit musischen Dingen - man sieht ihn oft mit den verschiedensten Musikinstrumenten.
Der seit Längerem zu beobachtende Trend in der Wohnkultur, sich über Stil- und Geschmacksgrenzen hinwegzusetzen, ja die Stilformen rigoros zu mischen, hat auch den Putten neue Plätze erobert. Da wird Modernität mit Kult- und Gebrauchsgegenständen früherer Zeiten kombiniert. So hütet der Putto auf dem Vertiko die CD-Sammlung oder steht in der sanierten Altbauwohnung des Yuppies auf dem Parkettboden. Und natürlich der "Landhausstil", der für die Sehnsucht nach der guten alten Zeit steht (die nie wirklich gut war, aber das wäre ein anderer Artikel), und in dessen Gärten der Putto sowieso seinen festen Standort hat.
Dort, im Garten, können Putten wahre Wunderdinge leisten. Sie machen bislang vernachlässigte schattige Winkel durch ihre Anwesenheit zu den lauschigsten Plätzen. Putten sollten sich im Garten irgendwo ein- und anschmiegen können. An ein Gebüsch, unter Rosensträuchern, unter alten Bäumen. Mitten in den Rasen gestellt wirken sie leicht aufdringlich und zugleich verloren. Werden sie aber vom Grün des Efeus allmählich umrankt, von Moosen und Flechten überzogen, scheint dort die Zeit still zu stehen. Ein Sitzplatz dazu, und der Alltag entrückt in entspannende Ferne.
Was ist ein Putto? Im engeren Sinne sicher dieses nackte, etwas dickliche, neckisch-unschuldig-erotisch schauende Wesen. Seinen Ursprung hat er wohl in der Antike, die ja bekanntlich u.a. für ausschweifende Sinnenfreuden steht. Dann verschwand er erstmal für viele Jahrhunderte fast völlig. Wieder aufgegriffen hat ihn dann vor allem die Renaissance, eine Epoche, die die Erinnerung an die Antike wieder aufblühen ließ und der wir großartige Meisterwerke verdanken, wie z. B. den David von Michelangelo oder die Venus von Botticelli. - In dieser Zeit entstanden viele der auch heute gebräuchlichen Puttenmotive. Das sich anschließende Barock versah den Putto dann mehr mit Engelsflügeln und ließ ihn eher gottesfürchtig nach oben als sinnenfreudig in die Welt hinaus blicken, viel verwendet hat ihn in dieser Zeit die Kirchenmalerei. Vom heiteren Barock aus zogen die schützenden Engel inmitten unheildräuender Bilder dann massenhaft bis in unsere Tage in die ehelichen Schlafzimmer ein, die sie nun eher verdüsterten als sie zu Lüsten anzuregen. Das ist weitgehend vorbei, auch die Engel haben inzwischen ihre positive Heiterkeit.
Heute nun ist der Begriff Putto in der Wohn- und Gartenkultur weit gefasst. Die Engel werden oft dazu gezählt wie viele andere Kindgestalten, z. B. die "Vier Jahreszeiten", die es in vielen Symbolmotiven gibt. Auch die Spanne der verwendeten Materialien ist groß. Für den Garten sind edler Toscana-Terracotta, Bronze oder grauer Steinguss aus England hervorragend, sie haben eine sehr lange Lebensdauer und sind gut frostbeständig. Für den schmalen Geldbeutel oder für den, der weniger Wert auf Qualität legt, tut's auch der Zementgussengel aus dem Baumarkt oder Gartencenter.
Allen Putten und Engeln gemeinsam ist der Ausdruck unvergänglicher Kindheit, aus dem der daraus für immer vertriebene Erwachsene melancholisch-wohlige Erinnerung schöpfen kann.
Der Autor ist Inhaber eines Spezialversandhauses für Skulpturen (TerraFlora, Stuttgart).