Das Stück führt in ein Haus, irgendwo in Westeuropa, wo die ganze Welt versammelt zu sein scheint. Ganz unten ist das Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant "Der Goldene Drache". Fünf Asiaten arbeiten in der engen Küche. Einer von ihnen, ein junger Chinese, der auf der Suche nach seiner Schwester nach Europa kam, wird von unmenschlichen Zahnschmerzen gepeinigt. Zum Arzt kann er nicht, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Aber der Zahn muss raus.
Auf dem Balkon über dem Restaurant steht ein alter Mann mit einem großen Wunsch, den ihm niemand erfüllen kann. Seine blutjunge Enkelin wohnt ganz oben mit ihrem Freund und weiß nicht, wie sie dem beibringen soll, dass sie ein Kind erwartet. Im dritten Stock verlässt eine Frau ihren Mann wegen eines anderen. Der Mann ertränkt seinen Kummer gemeinsam mit dem Lebensmittelhändler, dessen Wohnung voller Vorräte einem Ameisenbau gleicht. Der Händler hat im Hinterzimmer ein böses Geheimnis. Zwei Stewardessen essen regelmäßig nach ihren Flügen im "Goldenen Drachen". Und an diesem Abend findet die blonde Stewardess einen Zahn in ihrer Suppe...
Schimmelpfennig hat mit federleichten aber auch sezierenden Strichen eine Parabel über unsere Welt gezeichnet. In fliegendem Tempo werden im "Goldenen Drachen" nicht nur die Gerichte serviert , sondern auch die Rollen gewechselt: fünf wagemutige Schauspielerinnen und Schauspieler schlüpfen so atemberaubend schnell in zwanzig verschiedene Figuren - Frauen geben dabei Männer, Junge spielen Alte und umgekehrt - dass die artistische Präzision dieses Stückes ihres Gleichen sucht. "Der Goldene Drache" verdankt es seiner ungewöhnlichen Form, dass man einer bitteren Geschichte mit lachendem Blick folgen kann.
In Schimmelpfennigs Dramen blitzt Phantastisches, Grauenhaftes und Weltbewegendes mitten im Alltäglichen auf. Sein Kunstgriff ist die "Zopfdramaturgie". Wie in einer Soap spinnt er verschiedene Handlungsstränge und vermischt sie zu einer großen Partitur. Roland Schimmelpfennig formuliert nicht aus, er lässt seinen Figuren und Geschichten ihr Geheimnis, er verführt den Zuschauer nicht zur Identifikation, sondern zur Wahrnehmung. Vielleicht ist das der Grund, aus dem sich Regisseurin Johanna Schall sofort beim ersten Lesen für das Stück begeistert hat. Es entspricht ihrer Vorliebe für magischen Realismus: "Ich mag Stücke, die auf dem Boden der Realität anfangen und irgendwann abheben."
Johanna Schall wurde 1958 in Berlin als Tochter der Schauspieler Ekkehard Schall und Barbara Brecht-Schall geboren. Schon während ihrer Schulzeit konnte man sie 1974 am Berliner Ensemble in der Rolle der Ilse in Wedekinds »Frühlings Erwachen« erleben. Nach dem Abitur arbeitet sie zunächst einige Zeit als Hilfsschwester in einem Krankenhaus, begann aber 1978 am Deutschen Theater als Elevin ihre Theaterausbildung (Mentor: Alexander Lang). 1982 absolvierte sie ihre Schauspielprüfung an der Schauspielschule »Ernst Busch« Berlin. Am Kleist-Theater in Frankfurt/Oder erhielt sie ihr erstes festes Engagement. Von 1984 bis 1997 war Johanna Schall Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin, wo sie u. a. mit den Regisseuren Alexander Lang, Heiner Müller, Frank Castorf, Katja Paryla, Thomas Langhoff zusammenarbeitete und 1992 mit ihrer ersten Regiearbeit, »Der Pelikan« von August Strindberg, debütierte. Parallel zu ihrer Bühnenlaufbahn spielte Johanna Schall immer wieder in Kino- und Fernsehfilmen mit. Nach ihrer Zeit am Deutschen Theater in Berlin arbeitete sie als Theaterregisseurin, u. a. am Schauspielhaus Leipzig, Theater Chemnitz, Theater Bremen, Theater Augsburg und am Badischen Staatstheater Karlsruhe, sowie als Gastdozentin an verschiedenen Schauspielschulen in Berlin, Potsdam, Graz und Leipzig. Von 2002 bis 2007 war sie Schauspieldirektorin am Volkstheater Rostock und anschließend ein Jahr Gastdozentin an der University of Toronto. Aktuell arbeitet Johanna Schall erneut als freischaffende Regisseurin. Mit ihrer Inszenierung »Der goldene Drache« stellt sie sich erstmals in Heilbronn vor. Außerdem ist 2011/2012 noch ihre Interpretation der Operette »Orpheus in der Unterwelt« zu sehen, die als Gastspiel aus dem Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz eingeladen ist.
Premiere am 14. Januar 2012, 19.30 Uhr, Großes Haus
Der Goldene Drache
Von Roland Schimmelpfennig
Regie: Johanna Schall
Bühne: Horst Vogelgesang
Kostüme: Jenny Schall
Mit: Susan Ihlenfeld , Sabine Unger ; Stefan Eichberg , Till Schmidt , Sebastian Weiss
Nächste Spieltermine: 18.01.; 19.01.; 21.01.; 27.01.; 11.02.; 19.02. - jeweils 19.30 Uhr
Theaterfrühstück am 8. Januar um 11 Uhr im Oberen Foyer (Eintritt frei); Frühstücksbuffet ab 10 Uhr
Weitere Termine unter www.theater-heilbronn.de