Hintergrund
Immer mehr Jugendliche stehen heute unter hohem Druck, sagt eine aktuelle Studie der DAK aus dem Jahre 2017. Unsichere wirtschaftliche und politische Prognosen machen sie ratlos. Die Arbeitswelt verändert sich rasant. Und trotz aller Anstrengung wird es immer schwieriger, einen Weg einzuschlagen, der in zehn oder zwanzig Jahren noch gangbar ist? Trotzdem effektivieren sie ihre schulische und berufliche Ausbildung, um im Rennen um eine gute Selbstperformance und um gute Jobs ganz vorn mitzumischen. "Es sind die Jugendlichen selbst, die sich unter Druck setzen. Da haben in den vergangenen Jahren unglaubliche Selbstdisziplinierungsprozesse stattgefunden. Die heutigen Jugendlichen wollen gut sein, ganz ohne Antrieb von außen. Oder eher: perfekt. Weil sie es nicht anders kennen. Wir leben in einer durchökonomisierten Gesellschaft. Wer nichts leistet, hat verloren, das lernen Kinder heute von klein auf", sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort im Gespräch mit der ZEIT.
Inszenierungskonzept
In "Running" stehen die Jugendlichen an der Startlinie ihres persönlichen (sinnbildlichen) Marathons. Bis dahin haben sie schon viel geleistet, gelernt, sich super präsentiert - ob im Klassenzimmer oder in den sozialen Medien. Ängste und Selbstzweifel wechseln sich ab mit Träumen von großen Taten. Sie arbeiten hart.
Im weiteren Verlauf ihres Weges schwinden die Kräfte. Das Rennen geht irgendwie weiter, aber die Kraft ist verbraucht. Niederlagen passieren, aber die Verzweiflung darüber darf nicht sichtbar werden. Die Eltern drücken und schieben ihre Kinder, in die sie viel investiert haben, weiter in Richtung der Ziellinie. Solange, bis die Jugendlichen den Druck nicht mehr aushalten und auf unterschiedliche Weise ihren Weg aus der Fremdbestimmung suchen, um schließlich nach vielen Hochs und Tiefs zu Akteuren der eigenen Geschichte zu werden.
Christina Kettering und Anna Konjetzky haben über einige Monate hinweg eine Stückdramaturgie entwickelt. Sie stellen die Figuren vor, die in ihrem Stück auftauchen: Jugendliche im Perfektionierungswahn. Jugendliche, die von ihren Eltern, Lehrern, Freunden unter Druck gesetzt werden. Jugendliche, die verbissen auf ein Ziel zulaufen. Jugendliche, die vor etwas weglaufen. Jugendliche, die ihre Kräfte bündeln und den Erwachsenen ihre Sicht auf die Welt entgegenschmettern. Sie zeigen gleichzeitig das Außen und das Innen der Figuren, das oft nicht übereinstimmt. Deshalb werden die drei BOXX- Schauspieler Jana Franke, ab dieser Spielzeit neu im Ensemble der BOXX, Giulia Weis und Sascha Kirschberger von Tänzern gedoppelt. Jana Frankes Alterego wird von Quindell Orton getanzt. Für Giulia Weis hat die Choreographin die belgische Tänzerin Sahra Huby als Double mitgebracht. Für Sascha Kirschberger ist der in Berlin lebende Franzose Manuel Molino als Doppelgänger zu Gast.
Das Inszenierungs-Team
Anna Konjetzky ist ein Star der deutschen Tanzszene. In München lebend, erarbeitet sie unter anderem für die Münchner Kammerspiele freie Tanzinszenierungen, mit denen sie anschließend auf Tour geht, sie gastiert aber als Choreographin auch an Stadttheatern. Ihre Inszenierungen sind auf Festivals international gefragt. Immer wieder hat Anna Konjetzky auch für Kinder oder mit Jugendlichen gearbeitet. Seit 2005 kreiert sie körperlich sehr intensive, vielfach ausgezeichnete Tanzstücke an der Schnittstelle zwischen Tanz, Installation und Performance, in denen sie ihren Blick durch den Körper auf die Welt richtet.
Christina Kettering, Dramaturgin und Autorin für Junges Theater und für erwachsenes Publikum (ua. "Lost in supermarket", "Antarktis") beschäftigt sich in ihren Texten besonders mit den Themen Zukunftsangst, Mobbing und der Suche nach dem individuellen Lebensweg. Anna Konjetzky und Christina Kettering arbeiten in Heilbronn zum ersten Mal zusammen.
Sergej Maingardt, ist Komponist für elektronische Musik. Für »RUNNING« entwickelt er einen Clubsound, der sich mit Hiphop mischt. Die Schwelle, an der die Sprache rhythmisch wird und sich in Sprechgesang artikuliert, ist in dieser Zusammenstellung von Tanz und Text besonders spannend. Er verschneidet Sprache, Sound, Beat und Klang so, dass er sein Material auf einem Laptop live auf der Bühne zugänglich macht. In der Vorstellung werden seine Samples über eine Midi-Konsole durch das Ensemble abgefahren. Tänzer und Schauspieler sind dann DJs ihrer eigenen Show.
René Liebert ist seit einigen Jahren als Videokünstler vielseitig tätig. Er arbeitet häufig für Theater, aber auch Videoinstallationen sind Teil seines Portfolios. Für »RUNNING« arbeitet er zum ersten Mal mit Anna Konjetzky zusammen.
Themenwoche "Running" vom 25.- 28. September
In der Themenwoche »RUNNING« gibt es Tanzworkshops, Hintergründe über Leistungsdruck und Stressbewältigung. Zur Eröffnung am 25. September um 18 Uhr liest der in Ludwigsburg lebende Krimiautor Marc-Oliver Bischoff im BOXX-Foyer aus seinem Blog aus dem Leben eines Amateurläufers: "Lauf, du Sau". Die unterhaltsamen Anekdoten haben das "Running"-Team während der Arbeit am Stück begleitet und sehr erheitert.
Unterstützt durch den Projektfonds für Kinder- und Jugendtheater des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
Premiere am 23. September 2017, 20 Uhr, BOXX
Running (UA)
Tanztheater für Publikum ab 14 Jahren
Von Anna Konjetzky und Christina Kettering
Text: Christina Kettering
Inszenierung, Choreografie und Ausstattung: Ann Konjetzky
Video, Ausstattung: René Liebert
Musik: Sergej Maingardt
Dramaturgie: Bianca Sue Henne
Mit: Sarah Huby (Tänzerin), Orton Quindell (Tänzerin), Manuel Molino (Tänzer)
Jana Franke (Schauspielerin), Sascha Kirschberger (Schauspieler), Giulia Weis (Schauspielerin)