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Kinder überwinden die Mauern - auch in den Köpfen

Uraufführung in der BOXX: "Die Windmühlen" von Jeton Neziraj

(lifePR) (Heilbronn, )
Gegen Vorurteile vorzugehen, gleicht oft einem Kampf gegen Windmühlenflügel. Auch deshalb hat Jeton Neziraj, einer der führenden Autoren des Kosovo, seinem neuen Kinderstück den Titel „Die Windmühlen“ gegeben. Untertitel: „Die merkwürdige Reise der Familie Müller nach Unmikistan“. Am 8. Januar 2017 um 15 Uhr wird dieses Schauspiel für Kinder ab zehn Jahren im Jungen Theater Heilbronn in der BOXX uraufgeführt. Bianca Sue Henne, seit September die Leiterin des Jungen Theaters Heilbronn, gibt damit ihren Einstand als Regisseurin. Auch ihr Ausstatter Udo Herbster arbeitet zum ersten Mal in Heilbronn.  Die Stückentwicklung wird aus dem Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden Württemberg und vom Goetheinstitut Belgrad gefördert.

Zum Inhalt

Herr Müller erhält vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten den Auftrag, für ein Jahr nach Unmikistan (ironische Bezeichnung für den Kosovo, seit er unter Aufsicht der United Nation Mission in Kosovo steht)  zu gehen und  ein Projekt zum Bau von Windkraftanlagen zu koordinieren. Eines Abends eröffnet er seiner Familie, Frau Müller und Tochter Gisela, dieses Vorhaben, das ihn ein gutes Stück auf der Karriereleiter voran und ein stattliches Gehalt einbringen würde. Seine Frau hat überhaupt keine Lust auf das fremde Balkan-Land, das sie nur aus dem Fernsehen kennt. Gisela hingegen ist durchaus bereit für diese Veränderung, fühlt sie sich doch in ihrem bisherigen Umfeld ziemlich allein. Zusammen mit ihren Eltern liest sie Bücher und durchstöbert Webseiten. Nachdem ihre Mutter schweren Herzens eingewilligt hat, lernt Frau Müller die vermeintlich wichtigsten Wendungen auf Albanisch wie »Tun Sie mir nichts, ich habe nichts Schlechtes getan« oder »Jemand treibt sich in unserem Garten herum«. Sie ist voller Vorurteile und fürchtet sich vor einem Leben in einem vermeintlich primitiven Land mit unzivilisierten Menschen. Besonders wichtig ist den Eltern die Anschaffung schusssicherer Westen von höchster Qualität.

In Unmikistan angekommen, leben sie abgeschirmt von der einheimischen Bevölkerung in einem Diplomatenviertel. Manchmal fällt der Strom aus, auch das Wasser fließt nicht immer. Die zehnjährige Gisela geht in eine internationale Schule und hat keinen Kontakt zu kosovarischen Kindern. Es ist ihr streng verboten, den Garten ihres Hauses zu verlassen.

Eines Tages fliegt ein Ball über den Zaun. Dani, ein zwölfjähriger Junge, springt hinterher. Er hat zwei verschiedenfarbige Augen, und das Mädchen findet ihn interessant. Von nun an landen jeden Tag um die gleiche Zeit Dani und sein Ball in ihrem Garten. Die beiden fangen an, miteinander zu reden und sich anzufreunden. Irgendwann beschließt Gisela, sich über das Verbot ihrer Eltern hinweg zu setzen, und sie geht mit Dani durch die Straßen der fremden Stadt. Sie lernt andere Kinder kennen und hat mit ihnen viel Spaß. Am meisten aber mögen es Gisela und Dani, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Beide haben in ihrer Phantasie Wesen aus ihrer  Märchenwelt immer um sich herum. Giselas imaginäre Freundin ist Cinderella, Danis treuer Begleiter ist Muja, ein Held des Balkan. Er ist unvorstellbar stark und kann so kräftig pusten, dass sich die Häuser vom Boden abheben. So einen Helden könnte Giselas Vater gut gebrauchen, denn mit seinem Windmühlenprojekt will es nicht so recht vorangehen. Immer, wenn er seine Windmühle ausgerichtet hat, bläst der Wind aus einer anderen Richtung.

Inszenierungskonzept

Das Stück ist in enger Zusammenarbeit zwischen Autor und Regie entstanden. Neziraj schreibt auf Albanisch. Die erste Rohübersetzung wurde dann auf Englisch und Via E-Mail diskutiert und weiterentwickelt. Daraus ist dann die endgültige Fassung entstanden, die von Übersetzerin Zuzana Finger ins Deutsche übertragen wurde. Bianca Sue Henne entwickelte in Absprache mit Neziraj ein Szenario, in dem die Geschichte nicht geradlinig erzählt wird, sondern sich Spiel-Situationen in Deutschland und dem Kosovo abwechseln. Ausgangspunkt der Inszenierung ist die Annahme, dass Familienvater Müller seine Frau und seine Tochter am heimischen Abendbrottisch damit konfrontiert, dass er in Unmikistan arbeiten soll. Die drei begeben sich auf eine Phantasiereise in das fremde Land. Gemeinsam stellen sie sich unter Einbeziehung aller Ressentiments, Ängste aber auch Hoffnungen die Frage: Stürzen wir uns in dieses Abenteuer,  oder nicht? Neziraj spiele extrem mit Klischees, was das Stück sehr humorvoll macht, meint die Regisseurin.
Absurdität kultureller und religiöser Grabenkämpfe

Nezirajs großes Lebensthema ist die Absurdität von interkulturellen Grabenkämpfen. Dies ist auch für die multikulturelle Stadt Heilbronn interessant, in der Menschen aus 130 Nationen zusammenleben und unter deren Kindern und Jugendlichen fast zwei Drittel einen Zuwanderungshintergrund haben. Der drittgrößte Anteil der Zuwanderer in Heilbronn stammt aus dem Kosovo. Mit der Inszenierung von „Die Windmühlen“ wird am Theater Heilbronn die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der kulturellen Vielfalt konsequent fortgesetzt. Erinnert sei hier nur an Stücke wie „Heimat.com“, „Tito, mein Vater und ich“ oder „Die Leiden des jungen Osman.“

Kooperation zwischen Jungem Theater Heilbronn und Künstlern in Prishtina

Jeton Neziraj hat das Stück für das Junge Theater Heilbronn geschrieben, das hier uraufgeführt wird anschließend auch in seiner Heimatstadt Pristina gezeigt werden soll. Seit Sommer 2015 kooperiert das Theater Heilbronn mit dem Multimediazentrum Quendra in Pristina,  dessen Gründer und Leiter Jeton Neziraj ist.  Ein wichtiges Anliegen dieses Zentrums ist es, den Kosovo zu einer kulturell attraktiven Region zu machen und mit künstlerischen Mitteln über die gesellschaftliche Situation des Landes nachzudenken und diese zu ändern - vor allem auch vor dem Hintergrund des Exodus in Richtung Deutschland. Im Sommer 2015 besuchte eine kleine Delegation des Jungen Theaters Heilbronn für ein paar Tage Pristina, um über Kinder- und Jugendtheater zu informieren. Das Interesse daran ist in Pristina sehr groß, wo es derartige Strukturen überhaupt nicht gibt. Sie sollen aber entwickelt werden, um mit Hilfe des Theaters die Sehnsüchte der Jugend und die Probleme des Landes zu thematisieren und aufzuarbeiten. Im Gegenzug weilten Jeton Neziraj und der Künstlerische Leiter des Nationaltheaters Kosovo Agon Myftari in Heilbronn, um die Arbeit des Jungen Theaters zu erleben.

Jeton Neziraj ist einer der führenden Autoren und Theatermacher aus dem Kosovo und wurde 1977 in Kaçanik geboren.

1996, als 19-Jähriger, floh er für 15 Monate nach Deutschland, um nicht zur Armee zu müssen. In der Nähe von Köln arbeitet er als Hilfsbauarbeiter und er lernte das Theater kennen, das er als Medium der Kritik versteht. Nach seiner Rückkehr in die Heimat studierte er Dramatik an der Kunsthochschule Pristina. Seine mittlerweile über 15 Stücke werden europaweit und in den USA aufgeführt und in viele Sprachen übersetzt. Neziraj ist zudem Autor zahlreicher Artikel, Drehbücher, Kurzgeschichten und Romane. Von 2007 bis 2008 war er Professor für Dramatik an der Kunstfakultät der Universität in Pristina, von 2008 bis 2011 Künstlerischer Leiter des Nationaltheaters Kosovo. Weil er dort mit seinen Stücken auf Versöhnung setzte, Stücke mit serbischen Schauspielern inszenierte oder auch nach Belgrad auf Tour ging, wurde sein Vertrag von der nationalistischen Regierung nicht verlängert. Heute leitet er in Pristina das von ihm gegründete Multimediazentrum Quendra. Außerdem ist er im Vorstand des internationalen Dokumentar- und Kurzfilmfestivals Dokufest in Prizren und Kosovo-Koordinator des Übersetzernetzwerks Eurodram. 2013 erschien sein mit Timon Perabo gemeinsam verfasstes Buch: „Sehnsucht im Koffer: Geschichten der Migration zwischen Kosovo und Deutschland“.

Theater Heilbronn
Premiere am 8. Januar 2017, 15.00 Uhr, BOXX
Die Windmühlen (UA)
Die merkwürdige Reise der Familie Müller nach Unmikistan
Schauspiel von Jeton Neziraj für Kinder ab 10 Jahren
Deutsch von Zuzana Finger

Regie: Bianca Sue Henne
Ausstattung: Udo Herbster
Dramaturgie: Lena Fritschle
Es spielen: Helene Aderhold (Frau Müller/Cinderella/Katze); Ferdi Özten/Henry Arturo Jiménez (Dani); Ferdinand Seebacher/Sascha Kirschberger (Herr Müller/Muja/Hund); Giulia Weis (Gisela)

Die nächsten Vorstellungstermine: 12.01.2017 (11 Uhr), 13.01. 2017 (11 Uhr ), 15.01.2017 (15 Uhr), 31.01.2017 (11 Uhr)

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