Am 6. Januar 1866 gründen 22 badische Unternehmer die „Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim“. Erster Vorsitzender wird der Fabrikant Carl Selbach. Die Unternehmer reagieren damit auf ein Unglück, das sich rund ein Jahr zuvor in der Brauerei zum „Großen Mayerhof“ ereignet hat. Ein Riss in der Hülle des in der Brauerei eingesetzten Dampfkessels hat dabei zu einer Explosion geführt. Ein Toter und mehrere Verletzte sind zu beklagen. Ein geschulter Techniker hätte den Mangel leicht entdecken und die Katastrophe verhindern können. Doch regelmäßige Inspektionen haben nicht stattgefunden. Das Bedienpersonal ist mit den Gefahren des Kesselbetriebs kaum vertraut. Das Unglück ist kein Einzelfall und die Anzahl der Dampfkesselbetreiber steigt schnell. Sowohl die Regierung im Großherzogtum Baden als auch die potenziell betroffenen Industriellen unterstützen daher die Gründung eines Revisionsvereins. Durch regelmäßige Überprüfungen der Kessel sollen künftige Unglücksfälle verhindert werden. Das Modell macht Schule und die Mannheimer Gründung wird zum Ausgangspunkt der technischen Überwachung in Deutschland.
1868: Erster Sachverständiger
Am 13. Oktober 1868 tritt in Mannheim der soeben 29 Jahre alt gewordene Ingenieur Carl Isambert seinen Dienst an. Er ist der erste hauptamtlich tätige Sachverständige eines technischen Überwachungsvereins in Deutschland. Bereits wenige Tage später unternimmt Isambert eine erste Inspektionsreise. Das Ergebnis ist ernüchternd: Etliche Kessel weisen gefährliche Mängel auf. Besitzer und Kesselwärter verstehen vielerorts nicht einmal die Grundlagen von Anlagensicherheit. Isambert hilft, wo er kann. Ein Jahr später zieht er auf der Mitgliederversammlung des Mannheimer Vereins Bilanz: Akute Explosionsgefahr bestehe bei keinem der geprüften Kessel mehr.
1870: Revisionsverein in Bayern
Am Nikolaustag des Jahres 1869 tritt der Kupferfabrikant Abraham Lismann ans Rednerpult des Polytechnischen Vereins in München. Lismann hat seine Bühne gut gewählt, denn zu seinen Zuhörern zählen viele der angesehensten Naturwissenschaftler und Techniker im Königreich Bayern. Lismann, der in seinem Unternehmen selbst drei Dampfkessel betreibt, regt die Gründung eines „Vereins zur Prüfung und Überwachung der Dampfkessel für das diesrheinische Bayern“ an. Die Anwesenden, unter ihnen der Konstrukteur Carl Linde und der Brauereibesitzer Gabriel Sedlmayr, setzen umgehend einen Ausschuss ein, um den Plan umzusetzen. Dieser Kreis erarbeitet eine gedruckte Broschüre samt Statutenentwurf für den zu gründenden Verein, die allen Kesselbetreibern im geplanten Einzugsgebiet zugestellt wird. Auch in Augsburg, Bayreuth, Nürnberg und Würzburg findet die Idee Zustimmung. Am 23. April 1870 wird der Bayerische Dampfkessel-Revisionsverein (BDRV) bei einer Versammlung im Pavillon des Englischen Caféhauses in München aus der Taufe gehoben. Erster Vorsitzender wird der Lokomotivfabrikant Georg Krauss.
1877: Der Erfolg spricht für sich
Walther Gyssling, Chefingenieur des Bayerischen Dampfkessel-Revisionsvereins, kann stolz sein, als er den Mitgliedern über das Geschäftsjahr 1877 Bericht erstattet. Seit fünf Jahren ist keiner der mehr als 1.000 Dampfkessel, die vom Verein überwacht wurden, explodiert. Von solchen Erfolgsquoten sind die staatlichen Prüfer, die parallel zu den Prüfern des BDRV agieren, weit entfernt: An von ihnen begutachteten Anlagen kommt es allein im Jahr 1878 in Bayern zu zwei Explosionen. Auch in Württemberg, wo ein Dampfkessel-Revisionsverein 1875 entsteht, verzeichnet die selbstverantwortliche technische Überwachung beeindruckende Erfolge: In seinem ersten Jahresbericht 1877 berichtet der Stuttgarter Vereinsingenieur Heinrich Bellmer, dass er in den vergangenen zwölf Monaten nicht weniger als 172 mit unmittelbarer Explosionsgefahr verbundene Mängel behoben habe.
1881: Einheitliche Standards
Inzwischen gibt es fast überall in Deutschland Dampfkessel-Revisionsvereine. Doch noch kann jeder Sachverständige weitgehend selbst entscheiden, was er unter einer ordnungsgemäßen Funktion versteht. Obwohl bereits seit 1873 der deutsche Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen existiert, gibt es keine verbindlichen Standards für die Sicherheit von Dampfkesseln. Doch zwischen Mai und Juni 1881 einigt sich der Verband mit dem Verein deutscher Eisenhüttenleute auf Grundsätze zur Materialprüfung beim Bau von Dampfkesseln. Mit diesen sogenannten Würzburger Normen setzt die technische Überwachung erstmals schon beim Bau der Kessel an, um die Wahrscheinlichkeit von Unfällen im Voraus zu minimieren. In dieselbe Richtung weisen die 1884 verabschiedeten Hamburger Normen, die Richtlinien für die Berechnung der Kesselkörper aufstellen.
1888: Grenzüberschreitende Kooperationen
Auch jenseits der deutschen Grenzen findet die Idee der technischen Überwachungsvereine immer mehr Anhänger. Einige ausländische Vereine sind inzwischen sogar dem in Hannover beheimateten Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen beigetreten. Deshalb benennt sich die deutsche Dachorganisation 1888 in Internationaler Verband von Dampfkessel-Überwachungsvereinen um. Während die Politik noch fast ausschließlich in nationalen Kategorien denkt, steht für die Pioniere der technischen Überwachung außer Frage, dass Sicherheit nicht vor Ländergrenzen haltmachen darf.
1903: Dampf und Strom
Am Anfang der industriellen Revolution steht die Dampfmaschine, doch inzwischen werden immer mehr Maschinen elektrisch angetrieben. Bereits seit 1900 existiert in Bayern ein Revisionsverein für elektrische Anlagen. Viele der Mitglieder gehören zugleich dem Dampfkessel-Revisionsverein an, da sie in ihren Unternehmen beide Technologien einsetzen. So ist es nur konsequent, dass sich die beiden Vereine in Bayern 1903 zum Bayerischen Revisionsverein zusammenschließen. Im selben Jahr richtet der Badische Dampfkessel-Revisionsverein eine elektrotechnische Abteilung ein.
1906: Wegbereiter des Automobils
Im September 1906 erlässt die badische Regierung eine Verordnung, welche die Überprüfung von Kraftfahrern und Automobilen im Großherzogtum vorschreibt: „Wenn ein Kraftfahrzeug in Betrieb genommen werden soll, hat der Eigentümer hiervon dem Bezirksamt seines Wohnorts eine schriftliche Anzeige zu erstatten. [...] Der Anzeige ist das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen beizufügen.“ Mit der Durchführung der Prüfungen wird der Badische Dampfkessel-Revisionsverein beauftragt. Um der neuen Aufgabe gewachsen zu sein, arbeitet der Verein mit der Firma zusammen, deren Name untrennbar mit der Erfolgsgeschichte des Automobils verknüpft ist: Bei Benz & Co. werden zwölf Kessel-Ingenieure zu Kfz-Sachverständigen ausgebildet. Der Name Benz ist bereits damals allen Automobilbegeisterten ein Begriff. Immerhin hat Carl Benz 1886 mit seinem Patent-Motorwagen Nummer 1 den ersten praxistauglichen Kraftwagen der Geschichte entwickelt. Im August 1888 hat Bertha Benz mit einem von ihrem Ehemann entwickelten Fahrzeug, dem Motorwagen Nummer 3, die 106 Kilometer lange Strecke zwischen Mannheim und Pforzheim bewältigt und damit die erste Überlandfahrt eines Automobils unternommen. Jetzt, im Jahr 1906, nimmt in Mannheim, der Geburtsstadt des Autoverkehrs, auch die technische Überprüfung von Kraftfahrzeugen ihren Anfang.
1913: Aufzugsprüfung wird Standard
Elektrische Aufzüge werden von den Revisionsvereinen seit 1907 (Baden) und 1908 (Bayern) überwacht. Doch wie oft und ob überhaupt Prüfungen stattfinden, liegt anfangs im Ermessen der Betreiber. Dies ändert sich in Baden mit einer Verordnung der Landesregierung vom Sommer 1912, welche für Personenaufzüge alle zwei Jahre, für Lastenaufzüge alle vier Jahre Untersuchungen vorschreibt. Sämtliche Ingenieure des Badischen Revisionsvereins werden per Ministerialerlass zu Sachverständigen für Fördertechnik erklärt. Daraufhin finden 1913 erstmals flächendeckende Aufzugsprüfungen in Baden statt. Ein neues Geschäftsfeld ist erschlossen.
1914: Rückschläge im Krieg
Die Kriegserklärungen Deutschlands gegenüber Russland und Frankreich im August 1914 werden von großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit begeistert aufgenommen. Doch bald schon zeigen sich die verheerenden Folgen des entfachten Kriegs, auch mit Blick auf die Revisionsvereine: Die Arbeit im seit 1888 existierenden Internationalen Verband kommt zum Erliegen. Auch die Normenkommission stellt ihre Arbeit ein. Zahlreiche Sachverständige werden bereits kurz nach Kriegsausbruch zum Wehrdienst eingezogen oder melden sich freiwillig. Gleiches trifft auf das Fachpersonal in den Mitgliedsunternehmen zu. Das anlagentechnische Know-how sinkt, während gleichzeitig immer weniger Prüfungen stattfinden. Unglücksfälle sind die Folge, etwa im Dezember 1916 in Nürnberg: Dort platzt durch eine Fehlbedienung der Wasserkessel eines Großkraftwerks, drei Menschen sterben. Fast einen Tag lang bleibt die gesamte Stadt ohne Strom. Erst 1921 wird die Dachorganisation – nun als deutscher Verband – neu gegründet.
1921: Erste Schritte im Umweltschutz
Emissionsschutz ist keine Erfindung der 1980er-Jahre. Der Bayerische Revisionsverein widmet sich dem Thema vielmehr schon kurz nach seiner Gründung. Bereits 1879 berät der Verein den Magistrat der Stadt München zum Thema Rauchgasverhütung bei Dampfkesselfeuerungen. Im Jahresbericht 1912 machen die bayerischen Sachverständigen gegen den Trend zu immer niedrigeren Schornsteinen mobil: Diese seien, so die fortschrittliche Position des Vereins, „wegen der schädlichen Rauchgasbestandteile [...] mit Rücksicht auf die in der Nachbarschaft befindlichen Menschen, Tiere und Pflanzen [...] nicht zulässig“. 1921 erstellt der Bayerische Revisionsverein ein Gutachten über die Staubbelastung durch Feuerungsanlagen. Auch hier fordert er, beim Bau der Schornsteine Mindesthöhen einzuhalten.
1923: Hyperinflation
Mitgliedsbeiträge und Prüfgebühren bilden seit jeher die finanzielle Basis für die Revisionsvereine. Diese Basis zerfällt, als der Wert der Reichsmark ins Bodenlose sinkt. Um dem drohenden Bankrott zu entgehen, erhöht etwa der badische Verein seine Mitgliedsbeiträge im Jahr 1923 zunächst auf das 500-fache, dann auf das 1.000-fache und schließlich auf das 3.000-fache. Doch die Geldentwertung schreitet weit schneller voran: „Eine längere Dienstreise, mit voraussichtlich genügenden Geldmitteln angetreten, musste des Öfteren unterbrochen werden, da das mitgenommene Geld im Handumdrehen verschwunden war, und Nachsendungen durch die Post das gleiche Schicksal erfuhren, ehe sie den Empfänger erreichten.“ Erst mit Einführung der Rentenmark im November 1923 können die Revisionsvereine zu einer soliden Wirtschaftsweise zurückkehren.
1930: Fliegende Bauten
Das Münchener Oktoberfest hat sich Ende der 1920er-Jahre längst als größtes Volksfest Bayerns etabliert. Auch Fahrgeschäfte gibt es dort seit Ende des 19. Jahrhunderts, doch bis dato werden diese nicht systematisch überwacht. Da die Konstruktionen immer wagemutiger und gefährlicher werden, geben die Bayerischen Staatsministerien des Äußeren, des Inneren und für Landwirtschaft und Arbeit im Sommer 1929 eine Verordnung heraus: Der Bayerische Revisionsverein soll regelmäßig die „Fliegenden Bauten“ im südlichen Bayern prüfen. 1930 werden erstmals drei Vereins-Ingenieure auf der „Wiesn“ eingesetzt, um drei Achterbahnen, drei Toboggan-Rutschen und eine „Autobahn“ auf Schwachstellen zu untersuchen. Durch die wiederkehrende Tätigkeit auf dem größten Volksfest der Welt entwickeln die Münchener Ingenieure eine führende und einzigartige Kompetenz im Bereich „Fliegende Bauten“, die bis heute weltweit gefragt ist.
1938: Neuordnung und Gleichschaltung
Direkt nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 beginnen die Nationalsozialisten, den demokratischen Rechtsstaat zu zerschlagen. Unabhängige Vereine und Institutionen werden „gleichgeschaltet“, Schlüsselpositionen mit Anhängern der NS-Ideologie besetzt. Dieses Schicksal ereilt auch die Revisionsvereine. Zudem findet eine „Selbstgleichschaltung“ statt. Der Bayerische Revisionsverein ordnet bereits frühzeitig die Verwendung des Hitlergrußes an, jüdische und politisch andersdenkende Mitarbeiter werden aus dem Verein gedrängt. Im März 1938 kommt es zu einer grundlegenden Umgestaltung der technischen Überwachung in Deutschland: Aus den bisher 37 Institutionen im Reichsgebiet werden 14 regionale Überwachungsvereine, die erstmals einheitlich als TÜV (Technische Überwachungsvereine) bezeichnet werden. An die Stelle der individuellen Statuten tritt eine Einheitssatzung. Für Unternehmen mit überwachungspflichtigen Anlagen wird die Mitgliedschaft im jeweils zuständigen TÜV verpflichtend. Damit wird das System der technischen Überwachung modernisiert und national vereinheitlicht. Der Preis dafür ist hoch: Die Vereine verlieren ihre Unabhängigkeit und damit einen ihrer wichtigsten Werte.
1943: Im Bombenhagel
Der von Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg kehrt ab 1943 nach Deutschland zurück. Die immer häufiger werdenden Angriffe alliierter Bomberverbände treffen neben zahlreichen Industrieanlagen vor allem die Zivilbevölkerung in den deutschen Großstädten. Unter den Bedingungen des „totalen Kriegs“ ist eine geordnete technische Überwachung praktisch unmöglich. Nicht nur die Mitgliedsunternehmen, auch die Vereine selbst sind von den Zerstörungen betroffen. In Mannheim erleidet die Hauptverwaltung des für Baden und Württemberg zuständigen Überwachungsvereins bereits 1943 mehrere Bombentreffer. Bis Kriegsende werden auch die Vereinsgebäude in Augsburg, München, Nürnberg, Stuttgart, Ulm und Würzburg schwer beschädigt. Regional kommt die Tätigkeit der TÜV damit völlig zum Erliegen.
1948: Neugründung im Westen
Während technische Sicherheit in der sowjetischen Besatzungszone Sache des Staates wird, können sich die Überwachungsvereine im Westen wieder etablieren. Zunächst arbeiten sie bei weitgehend unklarer Rechtslage ohne offizielle Anerkennung, aber doch mit Duldung der alliierten Besatzungsbehörden weiter. Noch vor Gründung der Bundesrepublik werden in den Jahren 1948 und 1949 die meisten regionalen Organisationen wieder in die Vereinsregister eingetragen. Auf Basis neuer Satzungen kehren die westdeutschen TÜV-Gesellschaften zur Selbstverwaltung zurück. Anstelle der 1938 eingeführten Zwangsmitgliedschaft tritt erneut das Prinzip der Freiwilligkeit.
1951: Verkehrssicherheit bekommt Priorität
Das eigene Auto steht für viele Westdeutsche in der Wirtschaftswunderzeit ganz oben auf der Wunschliste. Der zunehmende Individualverkehr wird jedoch zum Sicherheitsproblem. Bereits 1951 reagiert der Gesetzgeber, indem er für alle zulassungspflichtigen Kraftfahrzeuge regelmäßige Hauptuntersuchungen vorschreibt. Mit der Durchführung werden fast überall die Technischen Überwachungsvereine beauftragt. Darüber hinaus kommt den Vereinen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr zu. Vorreiter ist hierbei der TÜV Stuttgart, der im März 1952 ein medizinisch-psychologisches Institut für Verkehrssicherheit ins Leben ruft. Unter dem Dach dieses MPI soll die Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen bei Fahrern mit häufigen Unfällen oder solchen mit speziellen gesundheitlichen Beschwerden überprüft werden. Im November 1954 wird auch in Bayern die erste Medizinisch-Psychologische Untersuchungsstelle (MPU) eröffnet.
1957: Die Anfänge der Kernenergie
Ende der 1950er-Jahre gilt die Atomkraft weltweit als Technologie der Zukunft. Über politische Parteigrenzen hinweg herrscht Einigkeit, dass die Bundesrepublik bei der Nutzung schier unbegrenzter nuklearer Energieressourcen eine Vorreiterrolle spielen sollte. Im Herbst 1957 richtet der TÜV Bayern eine Arbeitsgruppe Kernenergie und Strahlenschutz ein und erstellt ein Sicherheitsgutachten für den Forschungsreaktor München, der am 31. Oktober des Jahres in Betrieb geht. Auch beim Aufbau des ersten Atomversuchskraftwerkes in Kahl bei Aschaffenburg (1958–1960) und bei der Errichtung des ersten deutschen Leistungskraftwerkes in Gundremmingen (1963–1966) sind die Münchener TÜV-Sachverständigen als Gutachter gefragt.
1964: Auslandsgeschäft
Schon in den 1960er-Jahren gibt es erste Ansätze für eine Ausweitung des Geschäftes über die deutschen und europäischen Grenzen hinaus. Regelmäßig werden TÜV-Sachverständige ins Ausland gerufen, um bei der Aufklärung technischer Defekte zu helfen – besonders dann, wenn die betroffenen Anlagen von deutschen Unternehmen geliefert wurden. So brechen Mitarbeiter des TÜV Bayern 1964 nach Südafrika auf, um einen Unfall an einer Personen-Seilschwebebahn zu untersuchen. Die Sachverständigen des TÜV Baden reisen in dieser Zeit regelmäßig nach Frankreich, um dort Mustergutachten für Fahrzeuge zu erstellen, die zum Import in die Bundesrepublik vorgesehen sind.
1969: Erste Tochtergesellschaft
Während die TÜV mit staatsentlastenden Tätigkeiten wie der Kfz-Prüfung und der gutachterlichen Betreuung von Industrieanlagen im Fokus der Öffentlichkeit stehen, bleiben sie als Akteure in der Privatwirtschaft häufig noch unsichtbar. Dennoch stellt TÜV Bayern Ende der 1960er-Jahre erstmals die Weichen für Geschäftsmodelle im freien Wettbewerb, was heute typisch ist für TÜV SÜD: 1969 kauft der Verein die Elektroberatung Bayern GmbH (EBB), die als Beratungsstelle für die Elektrifizierung der bayerischen Landwirtschaft bereits 1926 entstanden ist. Mit der Akquisition wird erstmals ein deutscher TÜV über eine Tochtergesellschaft im freien Wettbewerb tätig.
1973: Tarifverträge
Insgesamt acht der elf in der Bundesrepublik tätigen Technischen Überwachungsvereine schließen sich 1972 zur Tarifgemeinschaft TÜV e.V. zusammen. Mit von der Partie ist anfangs auch TÜV Bayern. Doch als im August 1973 ein erster, maßgeblich von der Gewerkschaft ÖTV verhandelter Tarifvertrag vorgestellt wird, sprechen sich rund 75 Prozent der Mitarbeiter des damaligen TÜV Bayern gegen die Annahme aus. Im Oktober 1973 gründen daraufhin elf Mitarbeiter in München-Unterhaching den Interessenverband „Bedienstete in der Technischen Überwachung (btü)“.
1977: Geprüfte Sicherheit
Eine Skibindung ist ein sensibles Produkt. Fehler in der Konstruktion oder Fertigungsmängel können fatale Unfälle nach sich ziehen. Doch wie kann Verbrauchern Orientierung gegeben werden, wenn eine belastbare Qualitätsprüfung ein Messlabor und fundierte sportmedizinische Kenntnisse voraussetzt? Diese Frage stellen sich findige Mitarbeiter des TÜV Bayern, die sich „Sicherheit für den Verbraucher“ auf die Fahne geschrieben haben. Beim Bundesministerium für Arbeit entsteht die Idee eines allgemein anerkannten Siegels für „Geprüfte Sicherheit“ (GS-Zeichen). Das Konzept ist nicht neu, doch bisher waren alle Versuche, flächendeckende Prüfsiegel zu etablieren, an mangelnder Abstimmung zwischen Industrie, Verbänden, Prüfinstituten und Politik gescheitert. Dieses Mal jedoch ist die Initiative erfolgreich: Im Winter 1977/78 findet das GS-Zeichen seinen Weg auf hunderttausende Skier in bundesdeutschen Geschäften. Bald ist es bei den Verbrauchern fast genauso bekannt wie die „TÜV-Plakette“ für Kraftfahrzeuge.
1980: Einheitliche Ausbildung
1979 beschließen die Technischen Überwachungsvereine Baden, Bayern, Saarland und Stuttgart, eine Mitarbeiterschule zu gründen. Nachdem diese am 1. Januar 1980 ihre Arbeit aufgenommen hat, zeigt sich schnell, dass die Aus- und Weiterbildung auf einer einheitlichen Basis viele Vorteile hat: Die Teilnehmer der Seminare profitieren gegenseitig von ihren Erfahrungen.
1983: Neue Zentrale in München
Nach 80 Jahren verlässt der TÜV Bayern das Vereinsgebäude in der Kaiserstraße in München-Schwabing und bezieht eine neue Hauptverwaltung in der Westendstraße – die heutige Konzernzentrale von TÜV SÜD. Parallel dazu wird in der benachbarten Ridlerstraße ein modernes Prüfzentrum eingeweiht. Der Umzug soll auch Ausdruck eines Kulturwandels sein: Mehr Kundennähe, so heißt die Devise.
1989: TÜV Product Service GmbH
In einer Denkschrift, entstanden unter der Federführung von Wolfhart Hauser, stellt der TÜV Bayern 1988 den Ansatz eines „Worldwide Approval“ vor, die weltweit anerkannte Produktzertifizierung. Selbst im eigenen Haus stößt die Idee zunächst auf Skepsis. Doch Hauser lässt sich nicht beirren. Er regt an, dass die deutschen TÜV gemeinsam eine Organisation gründen, die auch jenseits der Grenzen der angestammten Überwachungsgebiete privatwirtschaftlich tätig wird. Sie soll globalen Unternehmen den einzigartigen Service bieten, ihre Produkte mit nur einem einzigen Zertifizierungspartner weltweit auf den Markt zu bringen. Das Konzept wird maßgeblich von Karl Eugen Becker gefördert, der seit 1983 den TÜV Bayern mit großem Erfolg führt und umfassend modernisiert. Damit ist der Weg zur Gründung der TÜV Product Service GmbH frei, die 1989 als Gemeinschaftsunternehmen der Technischen Überwachungsvereine Bayern, Hannover und Hessen ihre Arbeit aufnimmt.
1990: Neugründungen und Fusionen Im März 1990 lassen ehemalige Mitarbeiter des Amtes für technische Überwachung der DDR den zuerst 1878 in Chemnitz gegründeten sächsischen Überwachungsverein wieder aufleben. Unterstützt wird der Aufbau des TÜV Chemnitz (ab Juli 1990 TÜV Sachsen) vom TÜV Bayern. Beide Seiten arbeiten auf eine baldige Fusion hin, die 1992 Wirklichkeit wird. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, sind zunächst der TÜV Baden und der TÜV Stuttgart an der Reihe: Aus den beiden Überwachungsvereinen geht der TÜV Südwest hervor. Die von Wirtschaft und Politik seit Langem geforderte Zusammenführung der beiden TÜV-Organisationen in Baden-Württemberg ist Realität.
1991: Erste Niederlassungen in Asien und USA
Der Geschäftsbereich Product Service wird zum Motor für die weitere Entwicklung des Auslandsgeschäfts. Parallel zum Wachstum in Deutschland entstehen erste asiatische Niederlassungen in Hongkong, Japan und Taiwan. In Nordamerika werden parallel dazu die Tochterunternehmen TÜV Product Service Inc. mit Standorten in Kalifornien, Massachusetts und Oregon sowie Emaco Product Service Inc. in San Diego gegründet.
1996: TÜV SÜD entsteht
Mit 8.500 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden DM Jahresumsatz entsteht der größte Technische Überwachungsverein in Deutschland. Rückwirkend zum 1. Januar 1996 erfolgt die Vereinigung der Unternehmensgruppe TÜV Bayern und des TÜV Südwest zur TÜV Süddeutschland AG (ab 2005: TÜV SÜD AG). Auch der TÜV Hessen wird durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung im März des Jahres Teil des neuen Unternehmens. Karl Eugen Becker, Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Aktiengesellschaft und der wesentliche Architekt der Fusion, will das Unternehmen nun vor allem international weiterentwickeln.
1998: TÜV SÜD im Netz
Der Weg ins World Wide Web beginnt für TÜV SÜD im Jahr 1998: Zeitgleich starten neben der Konzernwebseite auch spezialisierte Dienstleistungen. Autofahrer können sich nun online zur Haupt- und Abgasuntersuchung anmelden, um die Wartezeit zu minimieren. Auch die Seminare der TÜV SÜD Akademie können jetzt online gebucht werden. In einer Zeit, in der viele Firmen ihre Internetpräsenz vor allem als bessere Visitenkarte verstehen, nutzt TÜV SÜD bereits die ersten interaktiven Möglichkeiten des Netzes.
2001: Das Oktagon
Viele Autofahrer erinnert es an die sechseckige Plakette an ihrem Fahrzeug: das blaue Achteck von TÜV SÜD, das seit Ende der 1990er-Jahre bei Medizinprodukten eingesetzt wird. Offizielles Firmenlogo wird das Zeichen 2001. Fünf Jahre später erhält das Oktagon durch den hinzugefügten Schatten ein dreidimensionales Aussehen. Auch international kommt das Oktagon gut an: Die Acht ist nicht nur in der abendländischen Tradition positiv verankert, sondern sie gilt auch in China als Glückszahl. Und wer noch ein Telefon mit Wähltastatur besitzt, kann sehen: Bei der Ziffer 8 stehen die Buchstaben „TUV“.
2006: Internationale Meilensteine
Im März 2006 vollzieht TÜV SÜD die bisher größte Akquisition in der Firmengeschichte und übernimmt die in Singapur beheimatete PSB-Gruppe. Da PSB unter anderem in den Bereichen Management-systeme und Produktprüfungen eine starke Position in Südostasien hat, gilt die Übernahme als der entscheidende Meilenstein beim Ausbau des Asien-Geschäftes. Im folgenden Jahr werden auch am anderen Ende des asiatischen Kontinents die Weichen für die Zukunft gestellt: Unter dem Dach von TÜVTÜRK beginnt TÜV SÜD gemeinsam mit zwei regionalen Partnern, in der Türkei ein Netz von rund 200 Kfz-Service-Centern aufzubauen, um für alle der rund zwölf Millionen im Land zugelassenen Kraftfahrzeuge ab 2009 regelmäßige Hauptuntersuchungen nach deutschem Vorbild zu ermöglichen.
2009: Vision vom emissionsfreien Auto
Die Technischen Überwachungsvereine sind seit den Anfängen der Industriegesellschaft Wegbereiter für neue Technologien. 2009 knüpft TÜV SÜD an diese Tradition an und unterstützt die Markteinführung von Fahrzeugen mit Elektroantrieb. Während die seit 2004 zum Konzern gehörige TÜV Hanse GmbH einen detaillierten Prüfkatalog für Elektroautos entwickelt, konzipiert TÜV SÜD in München den weltweit ersten dynamischen Crashtest für Pkw mit Lithium-Ionen-Akkus. 2010 nimmt TÜV SÜD die weltweit erste Hauptuntersuchung an einem vollelektrisch fahrenden Pkw vor und erarbeitet die erste EU-weite Zulassung für ein Elektroauto. Das Unternehmen setzt sich 2009 das ehrgeizige Ziel, weltweit der Marktführer bei der Prüfung von Batterien für E-Fahrzeuge zu werden.
2010: Übernahme von GRC
In den Bereichen Risikomanagement und Schadensverhütung gilt die US-amerikanische Global Risk Consultants Group als weltweiter Marktführer. Im Mai 2010 wird die Unternehmensgruppe Teil des TÜV SÜD-Konzerns. Dies ist nur eine von zahlreichen internationalen Akquisitionen, die TÜV SÜD im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stärken. Dies spricht gleichermaßen für eine solide finanzielle Basis wie für das Unternehmensziel, weltweit für Sicherheit und Qualität zu sorgen.
2015: Echte Internationalität
Die Zahl der Beschäftigten bei TÜV SÜD wächst seit Jahren kontinuierlich. Im Frühjahr 2015 beschäftigt TÜV SÜD erstmals mehr Mitarbeiter im Ausland als in Deutschland. Diese Entwicklung belegt das Vertrauen der Kunden und ist das Ergebnis von 150 Jahren erfolgreicher Arbeit der Mitarbeiter von TÜV SÜD. Starke Wurzeln und ein seit 1866 unveränderter Auftrag, Menschen, Umwelt und Sachgüter vor den schädlichen Auswirkungen der Technik zu schützen bilden auch in Zukunft die Basis für den Erfolg des Unternehmens.
Weitere Informationen zum Konzern unter www.tuev-sued.de.