Das Abenteuer Geburt ist überstanden, das Neugeborene liegt friedlich im Arm der Mutter, der Vater strahlt und die Großeltern, Tanten und Onkel feiern den neuen Erdenbürger. Dann stehen plötzlich Ärzte mit besorgten Gesichtern am Bett und bitten um ein Gespräch. Diagnose Galaktosämie! An diesen Moment kann sich Silke Wallisch-Prinz, Mutter der mittlerweile fast siebenjährigen Samira noch genau erinnern:
SWP „Samira wurde mit geplantem Kaiserschnitt entbunden und uns beiden ging es danach gut. Die Freude über das Familienglück war groß. Samira war wie alle anderen Neugeborenen auch. Als nach zwei Tagen die Milch endlich kam, war für mich die Welt in Ordnung. Es war ein großer Wunsch, meinem Kind die beste Nahrung, nämlich die Muttermilch geben zu können. Es gab keine Anzeichen dafür, dass irgendetwas anders ist, als bei anderen Kindern. Sie nahm langsam zu und entwickelte wie viele andere Neugeborene eine leichte Gelbsucht, die aber noch nicht behandelt werden musste. Bis zu Ergebnissen des Neugeborenen-Screenings war alles in Ordnung. Dass irgendetwas nicht stimmt war mir bewusst, als der Chefarzt mich und Samiras Vater zu einem Gespräch bat. Er teilte uns mit, dass das Neugeborenen-Screening bei Samira auf die Klassische Galaktosämie angeschlagen hatte. Samira müsse nun sofort auf die Neugeborenen Intensivstation. Alles war wie im Film: Die Zeit steht still. Man hört sein Kind schreien und kann nichts machen. Es vermischten sich unheimlich viele Gefühle miteinander. Aus dem eben noch vermeintlich gesunden Baby wurde ein Säugling mit vielen Kabeln, Zugängen und Schläuchen: Zentralzugang, Magensonde, Venenzugang, EKG und EEG-Kontrolle. Ein kleines Würmchen übersät von Überwachungsgeräten.“
Was konnten Ihnen die Ärzte denn zur Diagnose sagen?
SWP „Die behandelnden Ärzte haben offen und ehrlich geäußert, dass sie von dieser Erkrankung mal gehört hatten, jedoch selbst keinen Patienten behandelt haben. Selbst der Chefarzt der Station, der seit über 30 Jahren in dieser Klinik arbeitet, hatte solche einen Fall noch nicht. Instinktiv haben die Ärzte erstmal alle Symptome behandelt. Die Nahrung wurde umgestellt auf Soja SL und alle zwei Tage wurde Blut abgenommen, Samira wegen der Gelbsucht bestrahlt. Von Tag zu Tage hatte man das Gefühl, dass sie sich besser mit der Materie auskennen und sich auf den „aktuellsten Stand“ gebracht haben.“
Wie kommt es, lieber Herr Dr. Kotzka, das Ärzte diese genetisch bedingte Krankheit nicht kennen?
JK „Galaktosämie tritt einfach sehr selten auf. Der Krankheit liegt i.d.R. eine Mutation der Galaktose-1-phosphat-Uridyltransferase (GALT) zugrunde, ein zentrales Enzym des Galaktoseabbaus. Die Mutation des GALT-Gens wird autosomal-rezessiv vererbt und hat eine Wahrscheinlichkeit von 1:40.000.“
Kein Wunder also, dass Samiras Ärzte in der Klinik noch nie ein Neugeborenes mit Galaktosämie gesehen haben, diese Krankheit ist also wirklich extrem selten! Wie wird sie denn entdeckt und warum ist es so wichtig, dass keine unnötige Zeit verstreicht?
JK „Im Rahmen des Neugeborenscreening werden nach der 36ten Lebensstunde einige Tropfen Fersenblut abgenommen und auch auf einen Enzymdefekt der GALT getestet. Neben diesem Schnelltest sollten nach positivem Befund aber auch Sequenzanalysen des GALT Gens durchgeführt werden. Galaktosämie ist eine Stoffwechselkrankheit, bei der der Einfachzucker Galaktose, der auch in Muttermilch enthalten ist, nicht verarbeitet werden kann, sodass er sich im Körper anreichert und zu massiven physiologischen Schäden führt. Neugeborene beginnen sich ab dem dritten Tag zu erbrechen und weisen eine starke Gelbsucht auf. Bei Fortführung des Stillens oder bei der üblichen Flaschennahrung treten schwerwiegende Leberfunktionsstörungen auf, die letztlich zum Leberversagen führen können, sodass die Säuglinge versterben.“
Welche Therapie gibt es denn, lieber Herr Dr. Kotzka? Wird irgendein Medikament angeboten?
JK „Das Tragische an einer Seltenen Erkrankung wie der Galaktosämie ist, dass es zu wenig Betroffene gibt, um das Interesse an Forschung und Entwicklung bei den Pharmazeutischen Firmen zu wecken. Deshalb kann eine echte Therapie zur Zeit leider nicht angeboten werden. Demensprechend wird empfohlen, Galaktose-haltige Lebensmittel lebenslang zu meiden.
Eine solche Diagnose – und dann so wenige Informationen! Wo haben Sie sich Rat und Unterstützung geholt, liebe Frau Wallisch-Prinz?
SWP „Alle wichtigen Informationen zum Thema Stoffwechsel haben uns die Ärzte erklärt. Aber über den genauen Verlauf der Erkrankung oder mögliche Folgen konnte man uns wenig sagen. Beim Googlen bin ich auf die Galaktosämie Initiative Deutschland, eine Elterninitiative, die es mittlerweile über 30 Jahre gibt, gestoßen und klickte ich mich durch die Seite. Noch in der Klinik haben wir unsere Anmeldung für den Verein ausgefüllt und auch per Mail eine betroffene Mutter kontaktiert. Hier gab es viele Infos und vor allem Verständnis. Schließlich hat ein Termin in der Diätberatung der Stoffwechselambulanz in Jena, fünf Tage nach der Diagnose, viele Fragen beantwortet und unsere Ängste etwas beruhigt.
Ein krankes Kind, liebe Frau Wallisch-Prinz, welche was fürchtet man da und was hat Ihnen außer dem Selbsthilfeverein Gal ID geholfen, zur Ruhe zu kommen?
SWP „Gerade in den ersten Tagen wird man von einer ständigen Angst begleitet: Welche Schäden wird mein Kind haben? Man braucht ein gutes Netz an Menschen die einen auffangen und Trost spenden, zuhören und einfach da sind, wie unsere Eltern und Geschwister. Auch die Klinik war toll. Man hat uns ein Familienapartment auf dem Klinikgelände zur Verfügung gestellt bis zur Entlassung. Die Seelsorge hat uns ihre Unterstützung angeboten. Die Ärzte haben stets ein offenes Ohr gehabt. Aber alle Ängste kann einen das nicht nehmen.
Wie, liebe Frau Wallisch-Prinz, war die erste Zeit mit dem Baby zuhause und wie blicken Sie in die Zukunft?
SWP „Die Grund Nahrung der ersten Monate ist klar. Das Baby bekommt eine Flasche mit SL Nahrung. Mit der Flasche sein Kind zu füttern ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Das machen schließlich viele, auch wenn der Trinkrhythmus mit drei Stunden, auch nachts, ganz schön kurz ist! Natürlich waren wir zu Beginn sehr verunsichert, aber, man wächst mit der Erkrankung mit.