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Heilig Abend 1945: Woher weiß das Christkind das?

Geschichten aus Weihnachten in schwerer Zeit: Schmuck beim „Hamstern“ gegen Backzutaten eingetauscht

(lifePR) (Niestetal, )
„Morgen backen wir Weihnachtsplätzchen“ – was heute selbstverständlich ist, war für viele purer Luxus in der Nachkriegszeit. Das schildert Rosi Lenk in ihrer Geschichte von 1945, die für sie und ihre Geschwister in aller Bescheidenheit und doch mit großem Glück an Heiligabend endete. Zu finden ist sie im neuen Buch des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge „Licht in der Dunkelheit”.

Es war an einem Novembertag, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, und es war die Zeit, in der in Deutschland Hunger und Kälte den Alltag bestimmten.

Während vor allem in deutschen Städten die Lebensmittelversorgung miserabel und demzufolge der Hunger besonders groß war, konnten sich die auf dem Land lebenden Menschen glücklicherweise von ihren landwirtschaftlichen Produkten ernähren. Nahrungsmittel wurden rationiert und es gab sie in den Geschäften – sofern überhaupt etwas da war – nur auf Lebensmittelkarten. Erst nach der Währungsreform 1948 füllten sich wieder die Regale und eine bessere Zeit begann.

In ihrer großen Not taten die Stadtbewohner etwas, was offiziell verboten war: Sie machten sich auf den Weg zu Hamsterfahrten. Weil diese nicht erlaubt waren, musste man befürchten, dass das Mitgebrachte bei Kontrollen beschlagnahmt wurde und man dann mit leeren Händen zu seiner hungrigen Familie zurückkehrte.

Eine Bahnfahrt war zu dieser Zeit billig und so machten sich Menschenmassen in überfüllten Zügen oft einige hundert Kilometer weit auf den Weg in ländliche Gebiete. Bezahlt wurde nicht mit Geld – nein, es musste etwas Brauchbares gegen Lebensmittel eingetauscht werden.

Meist waren es Frauen, die diese Strapazen auf sich nahmen, weil die Familienväter aus dem irrsinnigen Krieg nicht mehr oder noch nicht zurückgekehrt waren. Auf ihren Hamstertouren suchten die Frauen oft sogar bereits abgeerntete Kartoffelfelder ab in der Hoffnung, ein paar Kartoffeln für zu Hause zu finden.

Auch mein Vater setzte sich über das Hamster­Verbot hinweg und ging „hamstern“, um seine Familie – wir waren vier Kinder – satt zu bekommen. Dabei nahm er zum Tausch alles mit, worauf im Haushalt verzichtet werden konnte. Viel war es nicht, denn wir waren im Krieg ausgebombt worden.

In dem erwähnten November verhökerte mein Vater auch das, wogegen er sich immer gesträubt hatte: Mutters privaten Schmuck. Er fand einen interessierten Landwirt, der ihn großzügig belohnte mit Mehl, Zucker und Eiern. Sogar Speck bekam er.

Als Vater damit nach Hause kam, verkündete unsere Mutter voller Glück: „Morgen backen wir Weihnachtsplätzchen“ – nach entbehrungsreichen Jahren etwas ganz Besonderes, was sich damals nicht viele Stadtmenschen leisten konnten.

Und weil das Glück manchmal im Doppelpack kommt, ergab es sich, dass eine benachbarte Bergmannsfamilie am Tag zuvor eine große Ladung Kohlen per Pferdefuhrwerk angeliefert bekommen hatte. Die mussten vom Gehsteig in den Keller geschoben werden. Mein älterer Bruder mit seinen damals nicht einmal zehn Jahren machte sich nützlich und erhielt als Dankeschön ein paar Eimer Kohlen. Nun konnte das Backfest stattfinden.

Während wir drei Geschwister den Teig kneteten und wir uns sehnlichst wünschten, den rohen Teig essen zu dürfen, war mein Bruder als Heizer im Einsatz. Der nostalgische Kohleofen musste ständig geschürt werden, damit die erforderliche gleichmäßige Hitze erhalten blieb.

Als das Gebäck gebacken war, durften wir die verunglückten Plätzchen naschen. Alle anderen kamen in große Schüsseln, die Mutter auf die Fensterbank stellte, damit das Christkind sie abholen konnte, um sie an Weihnachten wieder zu bringen.

Das war dann auch so. Am Heiligen Abend standen sechs gut gefüllte Teller duftend unter dem spärlich geschmückten Christbaum. Jetzt durften wir die Raritäten nach Herzenslust und mit Heißhunger essen.

Und während wir uns die Plätzchen schmecken ließen, rätselten wir immerzu, wie sich das Christkind wohl merken konnte, dass es sich hier um unser eigenes Gebäck handelte und dieses nicht mit anderem verwechselt hatte, wo es doch allein in unserer Straße so viele Kinder gab. Aber Mutter wusste – wie immer – eine kluge Antwort: „Das Christkind kann alles und es weiß alles!“

Text: Rosi Lenk

Anisplätzchen

Rezept zu den Weihnachtserinnerungen an 1945 von Rosi Lenk,
veröffentlicht im Volksbund-Weihnachtsbuch
„Licht in der Dunkelheit – Weihnachten in schwerer Zeit“ 2022


Zutaten:
3                             Eier
250        g             Zucker
250        g             Mehl
1             EL           ganzer Anis

Eier schaumig rühren; esslöffelweise Mehl, Zucker und Anis unterheben und 20 Minuten (ganz wichtig!) rühren; den Teig in kleinen Häufchen mit zwei Kaffeelöffeln auf ein gefettetes und bemehltes Backblech geben. Mindestens 8 Stunden (am besten über Nacht auf dem Küchenschrank) ruhen lassen. Danach dürfen die Plätzchen nicht mehr glänzen und müssen auf dem Blech verrückbar sein. Bei 12 Minuten bei 180 ° Ober-/Unterhitze (wichtig!) backen.

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Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Die Geschichte hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. im Band 4 der Reihe „Weihnachtsgeschichten in schwerer Zeit“ veröffentlicht. Sein Titel: „Licht in der Dunkelheit“ (2022). Das Buch ist über www.volksbund.de/mediathek oder per Mail über bestellungen@volksbund.de kostenfrei erhältlich. Der Volksbund ist ein gemeinnütziger Verein und finanziert seine Arbeit über Mitgliedsbeiträge und Spenden.

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