Ausgehend vom Oktett «LOVE in, Doppelquartett mit Henry», in dem Oehring auf ein Lied Purcells Bezug nimmt, stellen Blindman und Quatuor Danel die musikalischen Welten dieser beiden höchst individuellen Komponisten, zwischen denen 400 Jahre Musikgeschichte liegen, einander gegenüber. Oehrings Schaffen ist zutiefst von seinen Erfahrungen als Kind taubstummer Eltern geprägt. Momente des menschlichen Lebens wie Einsamkeit, Entfremdung, Angst und Sprachlosigkeit finden in seiner Musik kompromisslosen Ausdruck. Aus der Gegenüberstellung mit Purcell entwickelt sich ein faszinierendes Spiel mit dem Klang, ein Spiel, das ein Potenzial der Reibung und der Verschmelzung gleichermaßen einschließt.
Blindman und Quatuor Danel zählen zweifellos zu den derzeit spannendsten Musikexporten Belgiens. Hat das Quatuor Danel in den siebzehn Jahren seines Bestehens zahlreiche pioniervolle CD-Einspielungen unternommen, gesellt sich die Formation Blindman rund um «Superhirn» Eric Sleichim zu den weltweit führenden Saxophonensembles, das mit künstlerischer Selbstverständlichkeit die Sphäre des Saxophonspiels um Elektronik und visuelle Inszenierung erweitert.
Eric Sleichim über Helmut Oehring
Der deutsche Komponist Helmut Oehring ist Sohn tauber Eltern. Er selbst bemerkte dies erst, als er im Kindesalter zu einer anderen Familie gebracht wurde, um sprechen zu lernen - eine schockierende Erfahrung für den Jungen. Die Laute, die seine Mutter stets mit tiefer Stimme von sich gegeben hatte, waren ihm bis dahin als selbstverständlich erschienen.
Als Jugendlicher absolvierte Helmut Oehring eine Ausbildung als Baufacharbeiter und brachte sich in dieser Zeit auch das Gitarrespielen und Komponieren bei. Aufgrund der Taubheit seiner Eltern war das Sehen für ihn immer ein wichtigerer Faktor als das Hören. Sogar als Komponist denkt und träumt Helmut Oehring in Zeichensprache. Sind diese Erfahrungen der Grund dafür, dass er Instrumentalklänge meist stark verfremdet einsetzt?
Dass er Streicher umstimmt, Schlagwerk und Metall so präpariert, dass nichts mehr natürlich klingt und vibriert? Als Musiker muss man sich auf die Klangsprache Oehrings einlassen, auf ihr Zeit- und Rhythmusempfinden, auf ihre Bewegung und räumliche Gestaltung. Es ist als ob man neu sprechen lernte auf seinem Instrument.
In dem Werk «LOVE in, Doppelquartett mit Henry» nimmt Helmut Oehring Bezug auf ein Lied Henry Purcells. Es bildet in diesem Konzert den Ausgangspunkt für eine Gegenüberstellung des deutschen Zeitgenossen mit dem englischen Barockkomponisten, in Gestaltet derer zwei weit voneinander entfernte musikgeschichtliche Epochen aufeinanderprallen.
Was Oehrings und Purcells Werke allerdings miteinander teilen, ist die Individualität des Ausdrucks. Beide Komponisten lassen sich in keine Schablonen pressen - auf der einen Seite Oehring, dessen ungewöhnliche Lebensgeschichte sein künstlerisches Schaffen immens prägt, auf der anderen Seite Purcell, dessen «fantasias a 4» von 1680 sich dem damaligen Zeitgeist entzogen: Was uns heute als berückende Melodien zu Herzen geht, klang in barocken Ohren verworren oder sogar rückgewandt. Doch Purcells Verknüpfung von «veralteten» Stilelementen mit einer kühnen Harmonik erwies sich als pioniervoll; nicht zuletzt antizpieren die Fantasien, ursprünglich für Gamben geschrieben, die später entstandene Gattung Streichquartett.
Blindman Saxophone Quartet
Eric Sleichim Künstlerische Leitung, Altsaxophon
Piet Rebel Tenorsaxophon
Koen Maas Sopransaxophon
Raf Minten Baritonsaxophon
Quatuor Danel
Marc Danel Violine
Gilles Millet Violine
Vlad Bogdanas Viola
Guy Danel Violoncello
- Eric Sleichim (*1958) «Gestimmtseit» (2004) für Streichquartett, Saxophonquartett und Live-Elektronik
- Helmut Oehring (*1961) «STILLE.MACHT.» (1999) Fassung für Saxophonquartett und Elektronik von Eric Sleichim
- Henry Purcell (1659 - 1695) Fantasia Nr. 2 in B-Dur (1680) für Streicher zu vier Stimmen
- Helmut Oehring «MARIE B.» (1999) Streichquartett Nr. 2
- Henry Purcell Fantasia Nr. 1 in g-moll (1680) Fassung für Saxophonquartett Helmut Oehring «LOVE in, Doppelquartett mit Henry» (2006) für Streichquartett und Saxophonquartett