Der Libanon befindet sich aktuell in einer katastrophalen ökonomischen, politischen und gesundheitlichen Lage. Das Land befindet sich im freien Fall, wie es die internationalen Medien beschreiben. Ebenfalls hoch dramatisch, aber weniger im Fokus: die Lager der syrischen Flüchtlinge im Land. Rund zwei Millionen Syrer sind vor dem inzwischen zehn Jahre andauernden Krieg im eigenen Land in den Libanon geflohen. Davon lebt ein Großteil direkt hinter der syrischen Grenze (dem Anti-Libanon Gebirge) in der Bekaa-Ebene. Hier gibt es über 2.000 Flüchtlingscamps, die von keiner Hilfsorganisation betreut werden. Die Camps stehen auf Grundstücken, die ein Landbesitzer verpachtet. Die Menschen leben in rudimentären Zelten, für die sie monatlich bis zu 30 Euro Miete zahlen müssen. Um ihre Versorgung müssen sich die Geflüchteten in unbetreuten Camps selbstständig kümmern und diese auch selbst bezahlen. Da die meisten Familien nichts haben, schicken sie ihre Kinder als Erntehelfer auf die Felder, da diese Arbeit nicht ausdrücklich verboten ist, im Gegensatz zur Arbeit Erwachsener Flüchtlinge.
Winter
Der Winter nahe der Berge ist hart. Auch tagsüber hat es häufig Minusgrade, es schneit oder regnet und die Böden weichen auf. Die Plastikplanen der Zelte schützen weder vor Kälte noch vor dem Hochwasser, wenn der Schnee wieder schmilzt. Die Menschen behelfen sich mit kleinen Öfen, wenn sie sich Feuerholz leisten können. Nach jeder Überschwemmung müssen neue Teppiche und Matratzen gekauft werden, die einzige Einrichtung, die sie besitzen.
Zitat Jacqueline Flory, Leiterin des Zeltschule e.V.: „Die Situation der geflüchteten Syrer ist im Winter besonders dramatisch. Nur durch eine dünne Zeltplane von Schnee und Eis getrennt zu sein ist vor allem für die Kinder lebensgefährlich. – Jedes Jahr aufs Neue wieder die Befürchtung zu haben, dass es nicht der letzte Winter ist, den man so schutzlos in der Fremde überstehen muss, schürt Hoffnungslosigkeit und Resignation in den Camps.“
Versorgungslage
Die Explosion des Beiruter Hafens vor einem halben Jahr hat die Infrastruktur nachhaltig geschwächt: Viele Import-Produkte gibt es nicht mehr oder zu horrenden Preisen. Aktuell haben wegen des harten Lockdowns sogar die Supermärkte geschlossen, deren Regale zuletzt wie leergefegt waren. Die Hyerinflation treibt die Preise derartig in die Höhe, dass auch viele Libanesen leiden. Über 80% der Libanesen leben unter der Armutsgrenze. Ihre Verzweiflung und Wut entladen sich in Protesten, wie jüngst in Tripolis, aber auch in zunehmender Feindseligkeit gegenüber den Flüchtlingen im Land.
Zitat Jacqueline: „Je schlechter es den Gastgebern geht, desto weniger Toleranz haben sie gegenüber den Gästen. Der Libanon ist als Staat gescheitert, völlig unabhängig von den syrischen Flüchtlingen, die zu keinem Zeitpunkt staatliche Gelder erhielten. Die Angst unserer Geflüchteten ist groß, entweder erneut vertrieben zu werden oder im Libanon noch einmal zu erleben, wovor sie in Syrien geflohen sind: einen Bürgerkrieg.“
Corona und Home Schooling
Social Distancing ist in einem beengten Zeltlager kein realisierbares Konzept. Die Grundstücke sind voll belegt. Die Zelte stehen dicht an dicht. Zuhause bleiben würde bedeuten, den ganzen Tag in dunklen und zum Teil unbeheizten Zelten zu verbringen. Ärztliche Betreuung gibt es nur in Notfällen in ambulanten Stationen in der Region. Eine Impfung wird es wahrscheinlich für die Geflüchteten nie geben.
Das Virus macht den Menschen in den Lagern jedoch keine Angst, sie haben Schlimmeres erlebt, sagen sie. Ihre größere Sorge ist, dass die Schulbildung ihrer Kinder wieder unterbrochen ist, da der landesweite Lockdown auch die Zeltschulen betrifft. Der Verein Zeltschule wirkt mit ‚Home Schooling‘ Konzepten entgegen. Die Lehrer unterrichten die Kinder per Whats App, legen Aufgabenblätter vor die Zelte und sammeln die erledigten Aufgaben dort am Abend wieder ein.
Zitat Jacqueline: „Der Distanzunterricht ist für unsere Zeltschule-Kinder sehr schwierig. Anders als unsere Kinder in Deutschland sitzen sie nicht in geheizten Kinderzimmern mit Computer, Handy, Büchern, Spielzeug…. Sie sitzen auf dem Boden kalter, unmöblierter Zelte, die sie sich meistens mit 10 weiteren Familienmitgliedern teilen. Die Strategien, die wir für den Distanzunterricht entwickeln mussten, waren nicht einfach, aber diese Kinder dürfen keinen weiteren Tag Unterricht versäumen, nachdem viele von ihnen bereits Jahre durch Krieg und Flucht verloren haben.“