Die Retrospektive vereint auf 2.000 Quadratmetern neben acht nie zusammen gezeigten komplexen Installationen eine Auswahl der wichtigsten Gemälde, Zeichnungen und Filme von Jean-Jacques Lebel. Sie gibt damit einen tiefen Einblick in das vielgestaltige Werk des Künstlers, der aufs Engste mit den Poeten und Intellektuellen der Beat Generation verknüpft ist.
Das Werk und das Wirken Lebels spannt sich über einen Zeitraum von sechs Jahrzehnten. Seine früheste Arbeit in der Ausstellung datiert von 1951, ein kleines Gemälde mit dem Titel The Medicine Man. 2013 ist seine letzte Arbeit entstanden, die durch ein Labyrinth mit den Grausamkeiten der folternden amerikanischen Soldaten im Gefängnis Abu Ghuraib führt.
Von internationalem Rang und als "kaleidoskopischer Künstler", so der Titel einer Doktorarbeit über Lebel (Sophie Delage: Jean-Jacques Lebel. Un artiste kaléidoscopique. Dissertation, Universität Paris 2006), hat dieser seit seiner ersten Ausstellung (Galleria Numero Florenz, 1955) und seinem ersten Happening (Paris 1960) bis heute zur bedeutenden Dynamisierung einer der lebendigsten und erfinderischsten Gegenströmungen unserer Zeit beigetragen - des künstlerischen "Aktionismus". Als Zeit- und Weggenosse von Beuys, Brock und Vostell gilt Lebel - zeitgleich mit dem Wiener Aktionismus in Österreich - als der Initiator des Happenings in Frankreich.
Mit seinen über 100 öffentlichen Interventionen, seinem Epoche machenden Festival de La libre Expression (1964 bis 1968) und dem Festival International Polyphonix (ab 1979), an denen Tausende Künstler, Dichter, Philosophen, Filmemacher und Musiker aller Richtungen teilgenommen haben, war und ist Lebel der Impulsgeber zahlreicher künstlerischer wie auch politischer Manifestationen. Seine Werke wurden in zahlreichen Einzel- oder Gruppenausstellungen in den weltweit angesehensten Museen gezeigt, nicht minder aber auch an Orten des "underground".
In zahlreichen Texten, Artikeln und Poesien hat Lebel zum Widerstand aufgerufen. In seinen Aktionen hat er sich mit den wichtigsten Künstlern seiner Zeit verbündet. Im Grand tableau anti-fasciste collectif von 1961 klagen Lebel, Erro, Enrico Baj, Roberto Crippa, Gianni Dova und Antonio Recalcati den seit 1954 tobenden Algerienkrieg an, der sich mit seinen "Polizeioperationen, seiner Folter, seinem sklavenhälterischen Hurrapatriotismus hinter dem Lappen der Tricolore verbirgt" (Lebel). Das fünf auf vier Meter messende Gemeinschaftswerk, das unter anderem das von französischen Fallschirmspringern gefolterte arabische Mädchen Djamila zeigt, während seiner Ausstellung in der Mailänder Galerie Brera 1961 von 20 Polizisten aus dem Rahmen geschnitten und abtransportiert. Der "Beleidigung der Ehre von Papst Johannes XXIII und der Staatsreligion" angeklagt, verschwand das Gemälde für 27 Jahre in der Mailänder Questura, erst 1988 wurde es stark beschädigt zurückgegeben. Immer wieder haben die Aufstände Lebels scharfe Gegenreaktionen provoziert. Als man ihn nach seinem, in der Karlsruher Ausstellung zu sehenden Happening 120 minutes dédiées au Divin Marquis (Paris, 1966) der Obszönität bezichtigte, entgegnete er folgerichtig: "Das Obszöne liegt heute nicht mehr im Sexuellen, es liegt in der Politik selbst."
In seiner Jugend Surrealist und Freund von André Breton, hat sich Lebel später den Dichtern der Beat Generation Ginsberg, Corso, Burroughs, McClure, etc. zugewandt, deren Werke er übersetzt und veröffentlicht hat. Von seiner ebenso umfassenden Kenntnis der Beat Generation zeugte bereits im vergangenen Jahr im ZKM und drei anderen internationalen Stationen die von ihm kuratierte Ausstellung Beat Generation / Allen Ginsberg. Als Freund von Marcel Duchamp, Félix Guattari und Gilles Deleuze war und ist Lebel ein wachsamer Streiter für die libertäranarchistische Ethik und die sozial-subversive Aufgabe jedes Künstlers, der dieses Namens würdig ist.
Mit dieser Ausstellung kehren erstmalig auch - in den Jahren 1914-1918 produzierte - Infanteriepatronen nach Karlsruhe zurück. Offensichtlich haben während des Krieges Soldaten der französischen wie der deutschen Seite auf gleiche Weise aus Geschosshülsen Vasen, Trinkkrüge, Kerzenleuchter, Aschenbecher, Musikinstrumente und Opiumpfeifen hergestellt.
So zeigt die Ausstellung eine in der ehemaligen Karlsruher Waffenfabrik, in deren großen Hallenbau heute das ZKM untergebracht ist, hergestellte Geschosshülse, die in einen kapellenähnlichen Kerzenleuchter umgewandelt wurde, auf dem man praktischerweise vor dem Tod im Schützengraben auch eine Tasse Kaffee warmhalten konnte. Jean- Jacques Lebel greift hier den Aspekt der Umwandlung von "instruments de l'horreur" zu "instruments de la paix" auf, der in der Ausstellung mit hunderten ausgefallenen Exemplaren illustriert wird.
Kurator: Bernhard Serexhe
Die groß angelegte Ausstellung steht im Kontext der von Peter Weibel am ZKM initiierten Reihe zum "Globalen Aktionismus". Parallel zur am 23. Mai im ZKM | Museum für Neue Kunst eröffneten Ausstellung Beuys Brock Vostell (24.05.-09.11.2014) gibt sie unter dem Titel Die höchste Kunst ist der Aufstand Einblicke in Wirken und Werk eines der wohl wichtigsten Protagonisten des politischen Aktionismus in Frankreich.
Ab der Eröffnung am 25. Juli ist Jean-Jacques Lebels Hauptwerk Monuments à Félix Guattari Teil der Sammlung des ZKM. Mit dem von 1992-1994 geschaffenen Werk Monuments à Félix Guattari setzt er seinem Freund und Mitstreiter, dem französischen Psychiater und Philosophen Félix Guattari, ein Denkmal.
Jean-Jacques Lebel wird bei der Ausstellungseröffnung anwesend sein.
Zur Ausstellung erscheint eine umfassende bebilderte Broschüre in deutscher und englischer Sprache.