In der Abteilung Neuronale Systeme des MPI für Hirnforschung wird Streifenköpfigen Bartagamen in Narkose ein Loch in den Schädel gebohrt. Über dem Loch wird eine Elektrodenkammer befestigt, durch die über einen Zeitraum von 3 Tagen Elektroden in bestimmte Bereiche des Gehirns der Echsen geschoben werden. Bei einem Teil der Tiere werden Bereiche des Gehirns geschädigt, indem Chemikalien in das Gehirn gespritzt werden, oder es wird ein Stück des Gehirns herausgeschnitten. Über die in das Gehirn eingelassenen Elektroden werden dann bis zu 6 Nächte lang die Aktivitäten von Gehirnzellen gemessen. Am Ende der Versuche werden die Tiere getötet, ihr Gehirn wird entnommen und untersucht. Mit den Versuchen soll ergründet werden, was im Gehirn der Bartagamen passiert, während sie schlafen (2).
In der Einrichtung werden unter anderem neuronale Schaltkreise und ihre Rolle bei Empfindung, Wahrnehmung und Verhalten sowie beim Schlafen untersucht. Dabei setzt die Abteilung gezielt auf eher exotischere „Versuchs“tiere. In vorausgegangenen Publikationen wurden neben Bartagamen auch Rotwangen-Schmuckschildkröten verwendet (3). Ziel sei es dabei, die Evolution des Gehirns und des Schlafes zu verstehen.
„Nach dieser Logik ließen sich ähnliche Versuche an jeder beliebigen Spezies rechtfertigen“, kritisiert Dr. Johanna Walter, wissenschaftliche Referentin bei Ärzte gegen Tierversuche. „Ein möglicher Erkenntnisgewinn lässt sich für jeden noch so abwegigen Versuch leicht formulieren. Dass solche Begründungen ausreichen, um grausame Versuche an beliebigen Tierarten durchzuführen, gleicht einem Freibrief für die Forschenden“, so Walter weiter.
Dass die hier thematisierten Versuche an Bartagamen kein Kuriosum sind, für das ein paar wenige Reptilien ihr Leben lassen mussten, verrät ein Blick in die durch das Bundesinstitut für Risikoforschung betriebene Datenbank AnimalTestInfo, in der in Deutschland genehmigte Tierversuchsvorhaben veröffentlicht werden (4). In dieser Datenbank findet sich ein Eintrag aus dem Jahr 2021, in dem 6.880 Bartagamen zur Untersuchung der Hirnfunktion beantragt wurden sowie ein darauf aufbauender weiterer Eintrag aus dem Jahr 2022 über 2.814 Bartagamen, bei denen ebenfalls die Hirnfunktion untersucht werden soll, wobei in beiden Tierversuchsvorhaben explizit die Untersuchungen am schlafenden Tier erwähnt werden. Insgesamt sind es also 9.694 Bartagamen, welche beantragt und genehmigt wurden.
„Auch wenn die Datenbank AnimalTestInfo die genehmigten Tierversuche anonymisiert veröffentlicht, dürfte es sich bei diesen Tierversuchsanträgen um Anträge des Max-Plank-Instituts für Hirnforschung handeln. Bartagamen gehören nicht gerade zu den weit verbreiteten „Versuchs“tieren und die auf AnimalTestInfo angegebenen Versuchsziele sind praktisch mit denen, die auf der Homepage des MPI beschriebenen werden, identisch“, begründet Walter ihre Vermutung.
Die Arbeiten mit exotischen Tieren am MPI für Hirnforschung werden in hochrangigen Journalen publiziert und im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) prominent und langfristig finanziert – aus Mitteln des Bundes und der Länder und somit aus Steuergeldern. „Hier drängt sich die Frage auf, ob wir als Gesellschaft das wirklich wollen. Grundlagenforschung und Erkenntnisgewinn sind gut und wichtig, aber nur, solange keine Lebewesen dadurch geschädigt werden. Wollen wir es wirklich unterstützen, dass Forscher ihre Karrieren darauf aufbauen, Elektroden in die Gehirne möglichst verschiedener exotischer Tiere einzulassen? Sind uns einzelne –
eher Schnappschüssen gleichende – Erkenntnisse über die Evolution des Schlafes das Leben Tausender Bartagamen wert? Und wollen wir das mit unseren Steuergeldern finanzieren? Die Bevölkerung, welche sich mehrheitlich für eine Abschaffung von Tierversuchen ausspricht (5), würde diese Fragen sicherlich verneinen“, so Walter.
Die Versuche mit Bartagamen am MPI laufen derweil weiter, die Genehmigung wurde laut AnimalTestInfo im Jahr 2022 für 5 Jahre erteilt. Kürzlich hat sich die Abteilung Neuronale Systeme außerdem einer neuen Spezies zugewannt: Cephalopoden, zu denen Tintenfische gehören (6). Hier soll unter anderem das Tarnverhalten der Tiere, welche die Färbung und Struktur ihrer Haut an ihre Umgebung anpassen können, auf Ebene der neuronalen Schaltkreise erforscht werden, was wiederum durch in das Gehirn der Tiere geschobene Elektroden untersucht wird. Auch hier findet sich ein passender Eintrag in AnimalTestInfo (4). Beantragt und genehmigt wurden 3.816 Kopffüßer.
Quellen:
- Ärzte gegen Tierversuche: Tierversuchszahlen 2021 https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/....
- Fenk L.A. et al. Interhemispheric competition during sleep. Nature 2023; 616(7956):312–318
- Norimoto H. et al. A claustrum in reptiles and its role in slow-wave sleep. Nature 2020; 578(7795):413–418
- AnimalTestInfo - Datenbank zu Tierversuchsvorhaben in Deutschland https://www.animaltestinfo.de/....
- Ärzte gegen Tierversuche: 77 % der EU-Bürger befürworten Ausstieg aus dem Tierversuch https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/....
- Tarnung bei Kopffüßern: Die Suche nach guten Übereinstimmungen, Pressemitteilung des MPI für Hirnforschung vom 28.06.2023 https://brain.mpg.de/....