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Der irrationale Homo Oeconomicus

Finanzexperte Prof. Dr. Tristan Nguyen zum neuen Behavioral-Finance-Ansatz in der Finanzwissenschaft

(lifePR) (Stuttgart, )
Anleger verhalten sich rein ökonomisch gesehen nicht immer rational, auch wenn sich das nachteilig auf den Ertrag ihrer Kapitalanlagen auswirkt − so zu lesen im aktuellen Monatsbericht der Bundesbank. Dieser Erkenntnis folgend, müssten in Forschung und Praxis auch psychologische und soziologische Faktoren mit berücksichtigt werden, bei-spielsweise um Kapitalmarktphänomene wie die Preisbildung auf den Finanzmärkten zu erklären. Diese Lücke füllt der Behavioral Finance-Ansatz, der den "Faktor Mensch" mit einbezieht und damit die bisherige Forschung um das verhaltenswissenschaftliche Element ergänzt.

Muss sich die Wirtschaftswissenschaft also von der Vorstellung des immer und überall rational handelnden Homo Oeconomicus verabschieden, der ja bisher Grundlage von Finanztheorie und praktischer Anlageberatung war? "Auf jeden Fall bedeutet Behavioral Finance eine Erweiterung des Denkansatzes", sagt Prof. Dr. Tristan Nguyen, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschafts-lehre und Prorektor für Forschung an der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr (WHL). "Das bis-herige wirtschaftswissenschaftliche Gebäude stützt sich darauf, dass Menschen sich in Finanz-fragen rational verhalten, aber die Realität ist anders. Menschen handeln aus ökonomischer Sicht oft irrational - beispielsweise, wenn sie nicht genügend private Zusatzaltersvorsorge abschließen, obwohl abzusehen ist, dass ihre gesetzliche Rente nicht ausreichen wird." Ein weiterer typischer Fehler ist, dass Anleger ihr Geld auf zu wenige Anlageformen verteilen und damit ein höheres Risiko eingehen.

Typische Anlagefehler durch umfassende Kundeninformation beheben?

Bisheriger Forschungskonsens ist, dass sich solche individuellen Anlegerfehler begrenzen lassen, indem der Kunde alle notwendigen Informationen bekommt, "bei der Rentenversicherung bei-spielsweise über die genaue Höhe seiner Versorgungslücke, oder in anderen Fällen das Wissen über die verschiedenen Anlagetypen, die infrage kommen", so Nguyen. In diese Richtung zielen auch die staatlichen Regulierungsmaßnahmen der letzten Jahre. Das Resultat: Eine kaum zu be-wältigenden Flut von eng mit Finanzchinesisch bedruckten Blättern, die jeder Bankkunde während der Anlageberatung unterschreiben muss.

Nicht mehr als sieben Punkte auf einem Blatt

Die Behavioral-Finance-Forschung berücksichtigt hier, dass Menschen nicht in der Lage sind, alle Informationen zur gleichen Zeit zu verarbeiten und diese dann häufig auch nicht systematisch auswerten. "Diese Forschungsergebnisse können als Anregung für den Gesetzgeber dienen, den Anlegerschutz in anderer Weise als bisher zu verbessern", erklärt Tristan Nguyen. Beispielsweise sei es erwiesen, dass die meisten Kunden nicht mehr als sieben unterschiedliche Informationen auf einer DIN-A4-Seite verarbeiten könnten. Die staatliche Regulierung könne daher vorschrei-ben, die Gestaltung der Informationsblätter zu ändern und so die Inhalte besser zu vermitteln − die Wesentlichkeit habe hier Vorrang vor der Vollständigkeit.

Die Umsetzung der Ergebnisse aus der Behavioral-Finance-Forschung sieht Nguyen klar auf der Ebene der übergreifenden Finanzmarktregulierung: "Wenn Änderungen notwendig werden, muss man diese auf der Makroebene in Angriff nehmen. Die Verantwortung darf nicht auf den einzelnen Anlageberater abgeschoben werden", sagt der Volkswirtschaftler.

Faktor Mensch ist systemrelevant

Die Behavioral-Finance-Forschung steht noch ganz am Anfang, auch was den Einfluss ihrer Ergebnisse auf praktische Maßnahmen angeht. Der Bundesbank-Bericht lässt jedoch keinen Zweifel daran, wie wichtig der neue Forschungsansatz ist, der die Rolle des menschlichen Verhaltens in der Finanzwelt mit einbezieht − und das in doppelter Hinsicht: Unmittelbar für die finanzielle Lage jedes Einzelnen, mittelbar für das Funktionieren des Finanzsystems. Phänomene wie beispielsweise ein Herdenverhalten auf dem Aktienmarkt, die durch das (ökonomisch gesehen) irrationale Verhalten verschiedener Marktakteure zustande kämen, könnten zu Instabilitäten und Schwankungen am Finanzmarkt führen und Krisen verschärfen.

Prof. Dr. Tristan Nguyen sowie weitere Experten zu den Themenfeldern Wirtschaft und Finanzen stehen Ihnen über das AKAD-Expertencenter für Rückfragen und Interviews zur Verfügung: http://experten.akad.de

Die Wissenschaftliche Hochschule Lahr in Kürze

Die Wissenschaftliche Hochschule Lahr (WHL) gehört zur AKAD-Gruppe. Sie ist eine universitäre Business-School und bietet Akademikern die Möglichkeit, im Fernstudium berufsbegleitend einen Master- oder MBA-Abschluss zu erlangen. Das Fächerspektrum umfasst Management, Finance & Banking, Wirtschaftspädagogik und Clinical Resesarch Management.
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