Der Beschluss des Kabinetts, Gebetswachen vor Beratungsstellen zu verbieten, ist ein massiver Eingriff in die Rechte auf Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Lebensrechtlern genauso zu gewähren ist wie etwa Umwelt- und Klimaschützern.
Das ist offensichtlich auch Familienministerin Paus bewusst, weswegen sie das Narrativ bedient, die Beter stellten eine unzumutbare Belästigung für die Schwangeren und das Personal in den Beratungsstellen und Arztpraxen dar. Ein stilles Gebet kann per Definition nicht Hass und Hetze sein, sondern ist ein letzter Versuch, die oft verzweifelten Frauen in ihrer Notlage sowie ihre ungeborenen Kinder durch Gebet zu begleiten. Handelte es sich hierbei um nicht hinnehmbare Belästigungen, so gäbe es mit dem Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen ein hinreichendes Instrument, um diese Belästigungen zu unterbinden. Zudem gilt: Wäre es zu entsprechenden Verfahren gegen die Beter gekommen, wären die Medien voll von Berichten darüber gewesen. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als immer wieder dieselben Fotos von einer kleinen Gruppe still betender Menschen zu veröffentlichen, deren mitgeführtes Bildmaterial völlig harmlos ist.
Das Bundeskabinett holt hier die ganz große Keule raus, um das stille Gebet vor einer Handvoll Beratungsstellen und Abtreibungspraxen zu unterbinden. Sie offenbart damit ein merkwürdiges Frauenbild – warum mutiert eine selbstbewusste Frau, die sich in großer Selbstbestimmtheit für eine Abtreibung entschieden hat, auf dem Weg in die Einrichtung zu einer schwachen, beeinflussbaren Person, der die Konfrontation mit ein paar friedlichen Betern nicht zuzumuten ist? Deren Selbstbestimmung wird durch die Regelung eben nicht gestärkt, wie Familienministerin Paus auf X verlauten ließ, sondern geschwächt, denn Selbstbestimmung bedeutet Wahlfreiheit auch darüber, welche Beratungsangebote ich wahrnehmen möchte. Die Entscheidung, mit den Betern zu reden oder nicht, wird den Frauen endgültig genommen.
Sie offenbart aber auch ein erschütterndes Demokratieverständnis. Allein in Berlin hat die Staatsanwaltschaft bis Ende September 2023 2500 Strafverfahren gegen die Klimaaktivisten eingeleitet. Hingegen ist keine einzige Verurteilung von Betern vor Abtreibungseinrichtungen oder Beratungsstellen bekannt. Im Gegenteil: Immer wieder hob die Justiz hervor, dass das Menschenrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei, und es keinen Schutz vor Konfrontation mit unliebsamen Meinungen geben könne. Wer nun wegen einer Handvoll Gebetswachen ein Gesetz auf den Weg bringt, Aktivisten, die mit ihrem Einsatz für den Klimaschutz auf gefährliche Weise in den Verkehr eingreifen, jedoch weitestgehend ignoriert, offenbart sein mangelndes Demokratieverständnis und seinen eisernen Willen, missliebige Meinungen und Personen durch den Entzug der Grundrechte zum Schweigen zu bringen.